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Standard ist immer noch die Maschine nach Maß

Frästechnik aus Italien: als Geheimtipp zu nützlich
Standard ist immer noch die Maschine nach Maß

Potenzial und Absatz klaffen bei Italiens Werkzeugmaschinenbau weit auseinander. Traditionell auf Lösungen für den Einzelfall spezialisiert, hat es die Branche südlich der Alpen bislang verpasst, ihr Know-how im großen Stil für den breiten Markt nutzbar zu machen.

Von Chefreporter Wolfgang Filì chefreporter@fili.net

Italiens Werkzeugmaschinenbauer halten eine Sonderstellung. Zum einen zählen ihre Ingenieure zu den kreativsten Köpfen in Europa und liefern regelmäßig Lösungen, die ebenso genial wie für die Metall bearbeitende Kundschaft geldwert sein können. Zum anderen vermarkten sie ihre Leistungen jenseits der Alpen vergleichsweise schüchtern. Obwohl Deutschland für die italienischen Hersteller der zweitgrößte Abnehmer ist – 14,7 % von 4,63 Mrd. Euro Gesamtproduktionswert wurden 2001 hierhin exportiert – zeigen sich lediglich die großen Unternehmen in Sachen Markt und Technik mitteilsam. Zusammenhängen könnte dies mit dem Umstand, dass es Dritte billiger kommt, vorhandene Entwicklungen zu nutzen, als eigene Forschung zu betreiben, und dass es oft die Technologie-Folger sind, die bei späteren Projekten Geld verdienen und eben nicht die Technologie-Führer. Nachahmung ist der Standard im Geschäft, und so könnte es sein, dass die Unternehmen im Ausland eher auf Geschäftsanbahnung per Empfehlung und Flüsterpost setzen.
Genauso gut möglich ist allerdings, dass die Strukturen der Werkzeugmaschinenbauer südlich der Alpen schlicht und ergreifend anders sind als im Rest der Europäischen Union. So sind die knapp 430 Hersteller fragmentierter als andernorts. Kleine bis mittelständische Firmen herrschen vor. Der typische, oft noch vom Unternehmer selbst oder Familienangehörigen geführte Betrieb hat im Schnitt 70 Mitarbeiter, ist hierarchisch flach gehalten und ohne nennenswerte Fertigungstiefe. Mit seiner überschaubaren Größe platziert er sich dort, wo Wendigkeit und Sachverstand gefragt sind: Das Alleinstellungsmerkmal im Markt besteht darin, dem Kunden exakt, exklusiv und in der Regel technisch exzellent nach dessen Anforderungen gestaltete Systeme zu liefern. Maschinen in größerer Serie sind dagegen selten. Italiens Markenzeichen ist, so scheint’s, auch hier die Fertigung nach Maß und nicht die Ware von der Stange.
Das technische Niveau solcher Anlagen und Verfahren ist entsprechend hoch und auch das Innovationstempo rasant. An die 80 % der Werkzeugmaschinen werden elektronisch gesteuert. 20 % sind integriert – mithin Zellen und Systeme aus mehr als drei Einzelmaschinen, die ihrerseits über Leitrechner verknüpft sind. Kaum eines der Maschinenprogramme – die es trotz der weitgehenden Individualisierung natürlich als Baukasten gibt – ist älter als drei Jahre.
Die FPT Industrie S.p.A. in Santa Maria di Sala (Halle 15.1, Stand C09/C18) ist ein typisches Beispiel solcher Dynamik. 1969 von Gabriele Piccolo gegründet, seitdem in Familienbesitz und auch heute von Piccolo geführt, baut das Unternehmen ab 1979 Frässysteme. Seit sechs Jahren – damals wurde ein Hersteller von Bohrmaschinen mit Fahrständer übernommen – zählen neben Bearbeitungszentren für die Schwer- und Hochgeschwindigkeitszerspanung auch Präzisionsbohrwerke zum Programm. Insgesamt wurden bisher 1100 Einheiten installiert, davon über 140 in Deutschland. Jede zehnte Maschine ist eine Sonderlösung. Die restlichen sind individualisierte Standards aus dem Baukasten. Die Hälfte der FPT-Systeme wird im allgemeinen Maschinenbau eingesetzt und spant vorwiegend in 3 Achsen. 40 % tun im Werkzeug- und Formenbau Dienst sowie 10 % in Luft- und Raumfahrt sowie im Karosseriebau. Dieser Mix ist gewollt. Man will die Abhängigkeit von einer einzelnen Branche vermeiden.
FPT steckt jeweils 5 % vom Jahresumsatz in die Forschung und Entwicklung. Ein Mehrfaches wird in Personal und Strukturen sowie in die materielle Ausstattung und Programmentwicklung gesteckt mit dem Ergebnis, dass das Unternehmen jedes Jahr um durchschnittlich 20 % mehr Umsatz macht als zuvor. Betrug dieser 1997 noch 24 Mio. Euro, lag er 2002 bereits bei 65 Mio. Euro.
Zur Emo stellt FPT das Bearbeitungszentrum Stinger vor. Die fünfachsige Maschine ist eine Weiterentwicklung des Portalfräszentrums Raid. Mit einer Schwenkachse im patentierten Universaldrehkopf sowie einer zweiten im Drehtisch erreicht Stinger einen Arbeitsbereich von 506 mm Höhe, 1300 mm im Durchmesser oder – bei kubischen Teilen – 930 mm Seitenlänge. In X-, Y- und Z-Richtung beträgt die Länge der Achsen 1750, 1400 und 600 mm. Sie werden mit 35 m/min Vorschubgeschwindigkeit verfahren. Die Beschleunigung liegt dabei um 6 m/s². Maximale Drehzahl der Spindel sind 18 000 min-1. Die Leistung beträgt 18 kW, das höchste Drehmoment 80 Nm. Gesteuert wird die Maschine von Siemens- oder Heidenhain-CNC.
Dank der Geometrie des Drehkopfes lassen sich auch komplizierte Werkstücke in Hinterschnitt bearbeiten. Der Längsverfahrweg wiederum ermöglicht es, dass man fünf Werkstückseiten auch mit sehr langen Werkzeugen bearbeiten kann. Der 1000 mm x 1200 mm große Arbeitstisch kann mit 2500 kg belastet werden. Wie der Drehkopf, wird er über Direktantriebe stufenlos rotiert. Weil für diese Achsbewegung keine mechanischen Elemente verwendet werden, ist die Positioniertreue hoch.
Kaum weniger schnittig – wenn auch vor völlig anderem Hintergrund – bewegt sich die Breton S.p.A. in Castello di Godego (Halle 15.1, Stand C27/C48). Das Unternehmen stellt High-Speed-Zerspanungsmaschinen (HSC) für den Werkzeug- und Formenbau her, ist zuvor jedoch mit der Bearbeitung von Natursteinen groß geworden. 1963 gegründet von Marcello Toncelli und seitdem von ihm und Familienangehörigen geführt, machte Breton Anfang der 90er-Jahre erste Versuche mit der Hochgeschwindigkeits-Bearbeitung von Marmor, Granit und mineralischem Verbundmaterial. Die Erfahrungen damit wurden für die Metallbearbeitung genutzt. Seit 1998 zählt Breton zu den am dynamischsten wachsenden Herstellern von HSC-Zentren. Mittlerweile werden 20 % der 83 Mio. Euro Gesamtumsatz mit Systemen für Special Tooler gemacht. Hauptanwender der bis dato etwa 100 installierten Maschinen sind die Automobil- und Luftfahrtindustrie.
In Mailand stellt das Unternehmen sein fünfachsiges Multifunktions-Bearbeitungszentrum Ultrix 800 RT vor. Die Maschine hat ein Portal mit drei Linearachsen. Achse Nummer vier ist ein in den fest stehenden Arbeitstisch integrierter Rundtisch, die C-Achse liegt in der bis zu 30 kW starken und 40 000 min-1 schnellen Motorspindel. In X, Y und Z verfährt die Ultrix mit 60 m/min 800, 900 und 500 mm. Achse A rotiert -30° bis +110°. Die Wiederholgenauigkeit in den linearen Achsen beträgt 3 µm sowie 0.0015° in der Rotation. Das steife, gut dämpfende Gestell aus Metallquarz entstammt der Breton-eigenen Produktion.
Auch die Parpas S.p.A. in Cadoneghe Padova (Halle 15.1, Stand C13) ist typisch für die italienische Branche. Als Hersteller von Frässystemen für Werkzeug- und Formenbau sowie Luft-, Raumfahrt- und allgemeinen Maschinenbau direkter Konkurrent von FPT und Breton, hat sich das Unternehmen – ebenfalls seit Gründung in privatem Besitz sowie von den Familien Parpajola und Pasquetto geleitet – der Hochpräzision verschrieben. Seit 1971 hat Parpas 5000 Maschinen verkauft. Der Jahresumsatz liegt bei 70 Mio. Euro.
Auf der Emo wird das vierachsige Bearbeitungszentrum LHS für große Werkstücke gezeigt. Das Fahrständersystem verfährt zwischen 3000 und 20 000 mm in der X-Achse sowie 2000 und 1250 mm in Y- und Z-Richtung. Die Besonderheit der Maschine ist ihr Gehäuse, eine Art Thermomantel, der den kompletten Fahrständer umschließt und für konstante Temperaturen sorgt.
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