Die dezentrale Automatisierung autarker Maschinenmodule bietet dem Maschinen- und Anlagenbauer spürbare wirtschaftliche Vorteile. In dem im BMW-Werk Dingolfing eingesetzten Türenhandlinggerät steuert der Motion Controller Movi-PLC von SEW-Eurodrive komplexe Bahnbewegungen.
Die niederbayerische Kreisstadt Dingolfing ist ein wichtiger Fertigungsstandort der BMW Group. In einem der Produktionsgebäude werden hier die Türen für Modelle der BMW 5er Reihe mit Hilfe eines Türenhandlinggeräts (THG) montiert. Neben Konecranes aus Thalgau als Generalunternehmer und der Schiller-Gruppe aus Osterhofen war auch der Bruchsaler Automatisierungsspezialist SEW-Eurodrive maßgeblich an dieser Lösung beteiligt.
Das mechanische Herzstück der Anlage bilden die elektro-pneumatische Hubsäule und der Greifarm. Sämtliche Bewegungen in vertikaler Richtung werden von der Hubsäule durchgeführt. Bei der Entnahme der Tür aus dem Gehänge und ihre Zustellung zur Karosse kommt es auf absolute Positioniergenauigkeit an. Das wird durch den elektro-pneumatischen Betrieb der Hubsäule realisiert, bei dem die Hauptlast von der Pneumatik getragen und die exakte Positionierung durch einen Servoantrieb ermöglicht wird. Beim Einhängen der Tür an der Karosse arbeitet die Säule rein pneumatisch und ermöglicht dem Werker, die Tür mit geringer Handkraft um einige Zentimeter zu bewegen. Die gesamte Handlingeinheit ist an einer Linearführung über dem Montagebereich aufgehängt. Sie wird durch einen synchronen Servomotor CM71L von SEW-Eurodrive angetrieben, der das Drehmoment über ein Servogetriebe BSKF gleichzeitig auf beide Antriebsstränge des Handlingsgeräts überträgt. So kann das THG entlang der Schubplatte präzise verfahren werden und verkantet nicht.
Bei der Wahl des Installationskonzepts setzten die Konstrukteure und Planer auf einen mitfahrenden Schaltschrank, der die Zahl der bewegten Kabel erheblich reduziert. Um die erforderliche Technik auf dem vorhandenen Platz unterzubringen, entschieden sich die Experten für das kompakte Mehrachs-Servoverstärkersystem Moviaxis von SEW-Eurodrive. Mit Hilfe des Motion Controllers Movi-PLC und geeigneter Algorithmen gelang es, die Linearachse im Bereich der Türenhubstation automatisch an die Bahnplanung des Robotikmoduls zu koppeln und so die anspruchsvollen technischen Vorgaben von BMW zu lösen. Hierzu erläutert Projektingenieur Matthias Christenn vom SEW-Service Center in Kirchheim/München: „Die Kombination von Robotik und Motion-Control auf einem System bietet durch die höhere Durchgängigkeit der verfügbaren Informationen neue Ansatzpunkte, applikative Aufgabenstellungen zu lösen und dabei gleichzeitig die horizontale und vertikale Integration in die gegebene Anlagenperipherie zu vereinfachen.“
Die an der Hubstation herrschenden Platzverhältnisse erlauben nur enge und verwinkelte Bewegungen, die bei einer manuellen Entnahme der Türen vom Werker eine hohe Konzentration erfordern würde. Daher kam hierfür eine Robotiklösung mit Servoantrieben in Betracht. Zwar wäre eine Einzelachsbewegung der Servoantriebe die einfachste Lösung. Jedoch hätte die sequentielle Kombination dieser Bewegungen aufgrund der vorherrschenden Kollisionsbedingungen die vom Automobilhersteller geforderte Taktzeit nicht erfüllt. Dieses Problem löste SEW mit einer Bahnsteuerung auf Basis des Motion Controllers Movi-PLC. Weil das Softwaremodul „AxisGroupControl Kinematics“ eine Auswahl für die im Handlingbereich gebräuchlichen Roboterkinematiken beinhaltet, mussten lediglich die konstruktiven Mechanikdaten über die Konfiguration des Robotikmoduls eingegeben werden. Die Standardfunktionalität des Softwaremoduls wird über die Profinet-Schnittstelle der Movi-PLC mittels Prozessdaten der überlagerten SPS zur Verfügung gestellt, die darüber die Funktion des Handlinggeräts steuert.
Für den zuverlässigen und sicheren Anlagenbetrieb bei der Türenmontage sorgen verschiedene technische Einrichtungen: Mehrere Achsen des Türenhandlinggeräts werden über Drehgeber abgefragt und ihre Signale durch die Sicherheitsmodule der Baureihe Movisafe UCS B weiterverarbeitet. SEW-Eurodrive entwickelte diese universell einsetzbaren Sicherheitsmodule für höchste Anforderungen beim Personen- und Anlagenschutz. Beim THG sorgen sie für die sichere Überwachung der achsnahen Antriebsfunktion gemäß DIN EN 61800-5-2 und ermöglichen somit ein Arbeiten im Gefahrenbereich. Die Ausgangssignale der Sicherheitsmodule Movisafe UCS B werden an eine Sicherheits-SPS weitergeleitet. Im Fehlerfall schaltet sie die Servoumrichter sicherheitsgerichtet ab. Hierbei wird der Antrieb während seiner Bewegung bahntreu angehalten und dann der Sichere Halt aktiviert.
Die Türenhandlinganlage ist seit Ende August 2009 in Betrieb. Für die Demontage der alten und den Aufbau der neuen Anlage standen lediglich drei Wochen zur Verfügung. Hier erwies es sich als Vorteil, dass die SEW-Spezialisten die Schnittstelle zwischen der übergeordneten Sicherheits-SPS und der SEW-Technik bereits ausführlich testen konnten. Die Servotechnik beinhaltet das geballte Antriebs-, Motion Control- und Sicherheits-Know-how von SEW-Eurodrive. „Ein Handlinggerät auf so hohem technologischen Stand und Automatisierungsgrad ist derzeit einzigartig am Markt für industrielle Handhabungstechnik“, meint Dipl.-Ing. Herbert Pinwinkler, Leiter des Projektes bei Konecranes Lifting Systems. Und Peter Stoiber, Projektleiter bei der Schiller-Gruppe, resümiert: „Für alle Projektbeteiligten war es ein erklärtes Ziel, trotz der komplexen Anlagen- und Personensicherheitstechnik eine sehr hohe Verfügbarkeit zu erreichen.“ Stolz ergänzt er: „Bei einem Verfügbarkeitstest konnte über zehn Schichten eine Verfügbarkeit von mehr als 99,8 Prozent erreicht werden.“ Das beweist die sehr gute Zusammenarbeit der Lieferanten Konecranes Lifting Systems, der Schiller-Gruppe und SEW-Eurodrive.
Dipl.-Ing. Gunthart Mau SEW-Eurodrive, Bruchsal
Weitere Informationen: www.sew-eurodrive.de/produkt/movi-plc.htm
Beteiligte Zulieferer
Mehrere Lieferanten trugen zum Erfolg des Türenhandlinggeräts bei. Generalunternehmer war die Konecranes Lifting Systems GmbH aus Thalgau bei Salzburg. Sie zeichnete verantwortlich für die mechanische Konstruktion, den Bau der Anlage sowie die Projektkoordinierung. Die Schiller-Gruppe in Osterhofen erstellte das Konzept und die Software für die übergeordnete Anlagenperipherie und war für die Hardwareplanung, den Schaltschrankbau sowie die Elektromontage zuständig. SEW-Eurodrive, Bruchsal, lieferte die Antriebs-, Steuerungs- und Sicherheitstechnik und integrierte auf seiner Motion Control-Plattform Movi-PLC advanced die Kinematiksteuerung samt Verwaltung der Karossenpositionen.
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