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Übung macht den Meister – zum Manager in der Fertigung

Ausbildung zum Industriemeister mit neuen Inhalten und stärker an der Praxis orientiert
Übung macht den Meister – zum Manager in der Fertigung

Übung macht den Meister - zum Manager in der Fertigung
Die Weiterbildungsordnung für den neuen Industriemeister Metall ist eine mittelschwere Bildungsrevolution. Jetzt lernen die angehenden Meister anhand von Beispielen aus dem Arbeits-alltag ihre künftige Rolle als Manager in der Produktion.

Peter Becker ist Journalist in Berlin

Der Betrieb von Martin Muster produziert Pneumatikzylinder. Es soll eine neue Produktreihe eingeführt werden. „Erarbeiten Sie einen Vorschlag zur Ermittlung der Materialkosten für die einzelnen Bauteile.“ Für die neue Produktreihe hat Meister Rupp eine Gruppe von 25 Beschäftigten zusammenzustellen. Einer der Ausgewählten nimmt ihn nach der Besprechung beiseite und eröffnet ihm, dass er doch lieber in seiner alten Gruppe bleiben würde. „Zeigen Sie eine Gesprächsstrategie auf, um den Mitarbeiter doch noch für die neue Gruppe zu gewinnen.“
Das ist betriebliche Praxis pur. Allerdings stammt die Aufgabe aus der Prüfung für den Industriemeister Metall vom Herbst des letzten Jahres. Es handelt sich um eine der Situationsaufgaben, wie sie im Mittelpunkt des neuen Konzepts stehen. Hier wird nicht mehr Stoff nach Fächern gelernt und abgefragt. Vielmehr werden ganzheitliche Aufgabenstellungen aus dem Arbeitsalltag nach allen Aspekten bearbeitet. Am Beispiel unserer Pneumatikzylinder in Sonderbaureihe heißt das: der Prüfling muss Antworten auf die technischen Fragen bei der Fertigung und Montage geben, hat dabei die Gegebenheiten in der Werkshalle, etwa das Vorhandensein von Krananlagen, zu berücksichtigen und muss sich zudem noch mit Problemen in der Mitarbeiterführung auseinandersetzen.
„Handlungsorientierter Qualifikationserwerb“ nennt sich das Konzept im schöns-ten Pädagogendeutsch. Im Klartext verbirgt sich dahinter eine mittelschwere bildungspolitische Revolution. Denn dass der Lernstoff auch Praxis beinhalten muss, ist eine alte Forderung der Bildungsreformer.
Und das Konzept mit den spröden Pädagogenbegriffen zieht schon Kreise. „Im kommenden Frühjahr wird auch der Industriemeister Druck und Medien umgestellt“, sagt Jochen Reinecke vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK). Im Chemiebereich steht die Novellierung bevor, und in der Elektrobranche redet man schon darüber. „Darüber hinaus wollen wir auch andere Weiterbildungsprüfungen auf handlungsorientierte Aufgaben umstellen“, ergänzt Reinecke, der bei dem Kammernverband für Aufstiegsfortbildung in den technischen Berufen zuständig ist.
Wie sich die Tätigkeit des modernen Meisters verändert hat, war aus der Forschung bekannt. Er würde weniger ein bloß handwerklicher Könner als ein „Manager vor Ort“ sein. Zu seinen Aufgaben sollte gehören: Die Teams etwa in der Produktion zu motivieren, zu führen und zu beraten, ihr Arbeiten zu koordinieren und den Arbeitsprozess zu moderieren. Damit nicht genug: Durch den Umgang mit Kunden und Zulieferern würden ihm zusätzliche Aufgaben im Dienstleistungsbereich erwachsen.
Weil die Beteiligten glaubten, dass sie sich lange Übergangsfristen nicht leisten konnten, ließen sie das Konzept gleich auf Firmen und Kammern los. Immerhin wurden drei bundesweite Modellprojekte eingerichtet, die die Umsetzung wissenschaftlich auswerten und die Erfahrungen in das Lernen und Prüfen zurück fließen lassen sollten.
Das Unternehmen soll 1200 lackierte Blechbiegeteile liefern. Dem Prüfling werden die Materialkosten pro Stück sowie die Rüst- und Arbeitszeiten in Stanzerei, Biegerei und Lackierei mit vielen kleinen Details vorgegeben. „Stellen Sie einen Arbeitsplan mittels Balkendiagramm dar. Ermitteln Sie die komplette Durchlaufzeit sowie die Selbstkosten pro Stück.
Wesentliche Neuerung in der Prüfung ist die Bewertung der „handlungsspezifischen Qualifikationen“. Dahinter verbergen sich zwei Situationsaufgaben, die der Kandidat schriftlich in je vier Stunden zu bearbeiten hat. Die Themen kommen aus den Bereichen Technik, Betriebsorganisation sowie Führung und Personal und gehen quer durch die Arbeitsbereiche Betriebserhaltung, Fertigung und Montage. Dazu kommt ein Fachgespräch, das sich ebenfalls auf eine realitätsnahe Situation bezieht. Die Aufgaben werden bundesweit zentral von der Bildungs-GmbH des Kammernverbandes erstellt.
Zwei weitere Prüfungsteile gibt es. Der eine dreht sich um die Ausbildereignungsverordnung. Der andere fragt Basisqualifikationen ab, etwa zu rechtlichen Frage oder zu Themen aus Betriebswirtschaft, Zusammenarbeit am Arbeitsplatz sowie naturwissenschaftlichen und technischen Gesetzmäßigkeiten. Das Abfragen ist aber auch hier nicht theoretisch, sondern erfolgt anhand von Fällen.
Meister Rupp ist neu in der Firma. Er merkt schnell, dass es mit dem Betriebsklima in seiner Abteilung nicht zum Besten steht. „Erläutern und beurteilen Sie methodische Ansätze, wie Meister Rupp Ursachen dafür herausfinden kann.
Inzwischen liegen mehr als erste Erfahrung aus den Modellprojekten vor. Wie sich gezeigt hat, sind alle Beteiligten insgesamt mit dem neuen Konzept sehr zufrieden, auch wenn es noch erhebliche Umstellungsprobleme gibt (siehe Interview). Bei den angehenden Meistern überwiege noch eine passive Konsumhaltung gegenüber dem Lernen, wie es in einem Zwischenbericht heißt (siehe Kasten). Allerdings stellten die Leute sich schnell um, berichtet Dietrich Scholz, vom Bundesinstitut für Berufsbildung (Bibb): „Die Kandidaten schätzen es, wenn man sie eigenverantwortlich und selbständig handeln lässt.“
Schwerer tun sich die Dozenten mit dem neuen Konzept. Denn für sie ändert sich die Rolle: Waren sie ehedem Stoffvermittler und sozusagen Vorturner, geben sie künftig nur noch Hilfestellungen – die Kandidaten finden ihren eigenen Weg, und dabei musste so mancher Dozent schon ungewöhnliche Vorschläge als richtige Lösung absegnen.
Im Betrieb gibt es neue Maschinen, es taucht die Idee auf, die Mitarbeiter beim Maschinenhersteller zu schulen. Meister Rupp weiß aber, dass der Betrieb bisher dafür kein Geld ausgegeben hat. „Formulieren Sie Argumente, die die Geschäftsleitung vom Sinn externer Qualifizierungsmaßnahmen überzeugen.“
Am schwersten tun sich aber die Prüfer mit den Neuheiten. Denn sie, die ehemals in einem eng umrissenen Bereich die absoluten Experten waren, müssen jetzt ganzheitlich an die Aufgaben herangehen und sich auf neue Bereiche einlassen. Da fühlt sich mancher abgewertet und abgewickelt. In dem Zwischenbericht wird deshalb der Vorschlag gemacht, die Prüfungsausschüsse gemischt mit alten und jüngeren Prüfern zu besetzen beziehungsweise je nach Aufgabe die Kommissionen unterschiedlich zu berufen.
Als Meister Rupp durch die Werkstatt geht, bemerkt er, dass ein junger Mitarbeiter ohne Haarnetz an der Maschine arbeitet. Er habe das beim vorherigen Meister auch so gemacht, entgegnet der auf Nachfrage. Rupp wird laut und gibt eine offizielle Anweisung. Der Mitarbeiter schaltet die Maschine ab und verlässt wortlos den Arbeitsplatz. „Beurteilen Sie den Vorgang und beschreiben Sie das weitere Vorgehen von Meister Rupp.“
Infos zum neuen Industriemeister
Über den aktuellen Stand der Dinge in Sachen Indus-triemeister informiert die Internet-Seite www.meistersite.de. Für weitergehende Fragen ist beim Bundesinstitut für Berufsbildung Dietrich Scholz zuständig Tel. 0228/107-1307, E-Mail: scholz@bibb.de.
Die Bildungs-GmbH des deutschen Industrie- und Handelskammertages entwickelt die Lernmaterialien und Prüfungsfragen. Dort sind die Aufgaben plus Lösungen der vergangenen Jahre zum Preis von rund 25 DM zu bekommen, www.dihk-bildungs-gmbh.de/Produkte/Aufgaben/IndM_M/index.html.
Einen Zwischenbericht über die Modellprojekte gibt die Broschüre: „Aus der Arbeit lernen.“ Sie beschreibt das Konzept der Situationsaufgaben, stellt eine Reihe von ihnen vor und umreißt die wissenschaftliche Begleitforschung. Bezug zum Preis von 34 DM beim W. Bertelsmann Verlag, Tel. (0521) 91101-11, E-Mail: bestellung@wbv.de.
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