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Umformtechniker liebäugeln mit Keramik-Walzen

Forschungs-Kooperation: Walzen-Standzeit soll um Faktor 3 steigen
Umformtechniker liebäugeln mit Keramik-Walzen

Auch in die Umformtechnik dringen keramische Werkstoffe vor: Die Böhler Edelstahlwerke, das ISFK Leoben und Mittelständler Tekowe prüfen zur Zeit, ob sich Drähte auch mit KeramikWalzen umformen lassen. Das Ziel ist eine dreifach höhere Walzen-Standzeit.

Hans-Jürgen Bittermann ist freier Fachjournalist in Lambsheim

Speziell konstruierte Prototypen von Keramik-Walzen sind bei der Böhler Edelstahl GmbH & Co. KG im österreichischen Kapfenberg in der Erprobung. Ihre Aufgabe ist das Walzen von Draht. Doch warum sollen die bisher verwendeten Hartmetall-Walzen ersetzt werden? Dr. Walter Zleppnig, technischer Betriebsleiter in Kapfenberg: „Obwohl wir das weltweit modernste Walzwerk betreiben, stehen wir unter Kostendruck. Wir müssen also ständig darüber nachdenken, wie die Produktionskosten zu senken sind. Zudem erwarten die Kunden immer bessere Toleranzen. Beide Zielsetzungen stoßen an natürliche Grenzen bei den derzeit eingesetzten Werkzeugwerkstoffen.“
Bei der Produktion von Draht in der Umformtechnik kommen traditionell Walzen aus Hartmetall (Wolframcarbid-Kobalt-Legierungen) zum Einsatz. Paare mit einer rundlichen Ausnehmung (Kaliber) walzen das Vormaterial (Knüppel) so lange hin und her, bis der Draht im gewünschten Durchmesser vorliegt. Da mehrere Walzenpaare mit kleiner werdenden Kalibern hintereinander angeordnet sind, entsteht der Draht aus hochlegiertem Stahl oder einer Superlegierung quasi in einem kontinuierlichen Walzvorgang. Im Umformprozess kann sich das Walzgut auf Temperaturen bis zu 1300 °C erhitzen. Dabei erwärmen sich die Walzen lokal sehr stark und müssen gekühlt werden.
Bei Hartmetall-Walzen führt die kombinierte thermische und mechanische Beanspruchung zu Schäden auf der Oberfläche. Zwangsläufig kommt es zum Verschleiß. Speziell bei den ersten Walzenpaaren, die besonders stark beansprucht werden, bildet sich auf Grund der Temperaturwechsel ein Rissmuster aus. Bei den anderen Walzenpaaren überwiegt der mechanische Verschleiß als Schadensursache. Beide Schäden machen es notwendig, dass die Walzen-Oberfläche nach einer bestimmten Produktionsmenge neu zu schleifen ist. Schon nach einigen wenigen Überschleifungen müssen die Walzen sogar komplett ausgeschieden und erneuert werden.
Die Suche nach Werkstoffen, die einen höheren Durchsatz bei engeren Toleranzen ermöglichen und zugleich höhere Prozess-Temperaturen zulassen, endete fast zwangsläufig bei der Technischen Keramik: „Keramik-Walzen versprechen höhere Standzeiten und ein deutlich verbessertes Verschleißverhalten. Das hat direkte Auswirkungen auf die Qualität des verarbeiteten Walzstahles“, so Dr. Zleppnig. Realistisch seien Standzeitverbesserungen um den Faktor 3. Das senkt die Kosten für das Nachschleifen und die Rüstkosten. Außerdem müssen Böhler-Kunden ihre Produkte (Bohrer, Gewebe) durch die höhere Qualität des Drahtes kaum noch nachbearbeiten. Die meisten ziehen ihren Draht nämlich weiter auf noch kleinere Dimensionen. Je besser die Oberflächenqualität des Ausgangs-Drahtes ist, desto weniger werden die Kunden-Werkzeuge beansprucht.
Ein Nebeneffekt beim Ersetzen von Hartmetall- durch Keramik-Walzen ist die mögliche Gewichtseinsparung. Die Walzenpaare müssen täglich mehrmals gewechselt werden, da häufig Drähte mit unterschiedlichen Abmessungen gefertigt werden. Dies erfolgt manuell, unter räumlich beengten Bedingungen und teilweise auch bei großer Hitze. „Es ist ein Unterschied, ob der Mann vor Ort eine Walze aus schwerem Hartmetall austauschen muss oder eine wesentlich leichtere Keramik-Walze“, erklärt Zleppnig. Hartmetall-Walzen haben ein Gewicht von 25 bis 30 kg, vollkeramische Walzen sind hingegen mit nur 6 kg ausgesprochen leicht. Bei anderen Konstruktionsvarianten (teils keramisch, teils metallisch) könnten Walzen mit etwa 10 kg Gewicht hergestellt werden. Welche Lösung auch immer zum Tragen kommt: Die Gewichtseinsparung erleichtert die Arbeit am Walzgerüst wesentlich.
Ein weiterer Vorteil betrifft die Kühlung der Walzen. Da Keramiken deutlich temperaturbeständiger sind als die meisten Metalle, wird sich die Kühlung reduzieren oder sogar gänzlich einsparen lassen. Daraus ergeben sich auch qualitative Vorteile. Denn die Kühlflüssigkeit kühlt natürlich immer auch den Draht mit und senkt somit die ideale Verarbeitungstemperatur. „Bei Wegfall oder Minderung der Kühlung erhöht sich die Qualität des Drahtes enorm“, ist Zleppnig sicher.
In einem Vorprojekt bei Böhler konnte laut Prof. Dr. Robert Danzer, Vorstand des Instituts für Struktur- und Funktionskeramik (ISFK) der Montan-Universität Leoben in Österreich, bereits gezeigt werden, dass vollkeramische Walzen sehr gute Standzeiten aufweisen (herkömmliche Hartmetall-Walze: Durchsatz etwa 500 t Walzstahl bis zum nächsten Schleifen, Keramik-Walze: 2000 t). Anders als im Vorprojekt wurde nun aber darauf geachtet, dass die Keramik-Walzen bei den Herstellkosten konkurrenzfähig gegenüber den Hartmetall-Walzen bleiben. Daher wurden Herstellvarianten entwickelt, bei denen nur die höchstbeanspruchte Verschleißfläche aus der relativ teueren Keramik besteht, der Rest des Bauteiles aber aus Stahl. Gesintert wird das Keramikmaterial von der H.C. Starck Ceramics GmbH & Co. KG in Selb (frühere CFI).
Die Tekowe GmbH arbeitet die Bauteile aus den Sinterkörpern heraus. Dem Verschleißschutz-Spezialisten aus Bonefeld kommt damit ein wichtiger Part zu. Denn das Schleifen der beanspruchten Oberflächen ist für das Projekt ein entscheidender Schritt, weil ein falsches Bearbeiten unbeabsichtigt Risse in die Oberfläche einbringen könnte und damit die Festigkeit des Bauteiles vermindern würde. Keramiken sind wesentlich empfindlicher als metallische Werkstoffe. Bearbeitungsbedingte Oberflächenschädigungen können die Festigkeit des Bauteils merklich heruntersetzen und seine Funktionsfähigkeit gefährden. Hingegen kann richtiges Schleifen sogar Schäden mindern, wie Tekowe-Geschäftsführer Joachim Kozlowski betont: „Mit Hilfe der geeigneten Schleiftechnik ist es möglich, Druckeigenspannungen in den Oberflächen zu erzeugen, die potenzielle Risse zusammenpressen und dadurch ihr Ausbreiten behindern.“
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