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Pressen von Glasoptiken löst das Schleifen und Polieren ab

Pressen von Glasoptiken löst das Schleifen und Polieren ab
Ungeschliffen – und doch wie poliert

Pünktlich zum WZL-Jubiläum hat auch das Fraunhofer IPT ein Highlight zu bieten: Die ausgegründete Aixtooling GmbH eröffnet Europa die Chance, Glasoptiken rein umformtechnisch herzustellen – bislang eine japanische Domäne.

Wer gerne fotografiert, hat das Staunen in den letzten zehn Jahren nicht verlernt: Mit den Kameras sind die Optiken immer kleiner geworden – aber keineswegs schlechter. Zoom-Objektive mit Brennweiten von 28 bis 300 mm für Kleinbild-Spiegelreflexkameras waren früher undenkbar. Heute sind sie gerade mal faustgroß und genügen den Ansprüchen von ambitionierten Hobby-Fotografen. Ihr Geheimnis ist die asphärische Optik: Die Entwickler entwerfen Linsen aus Glas, die von der traditionellen Kugelform (Sphäre) gezielt abweichen, um Abbildungsfehler zu vermeiden. Sie machen Platz raubende Korrekturlinsen überflüssig und lassen die Objektive schrumpfen. Nur einen Nachteil haben aspherische Optiken: Das Schleifen und Polieren ist wesentlich aufwändiger. Japanische Spezialisten machten daher vor über zehn Jahren aus der Not eine Tugend und entwickelten das so genannte Präzisionsblankpressen. Dabei entstehen Glaslinsen in einem einzigen umformtechnischen Fertigungsschritt, und zwar zu moderaten Stückpreisen. Mit dieser Erfindung hängte die asiatische die europäische Optikindustrie bei Massenartikeln ab – wie jeder Foto-Fan heute weiß.
 
Dieser Rückstand könnte künftig kleiner werden oder in manchen Bereichen sogar verschwinden. Das jedenfalls lässt die Ausgründung der Aixtooling GmbH aus dem Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie (IPT) in Aachen erwarten. Das neun Monate alte Spin-off hat sich dem Werkzeugbau für das Präzisionsblankpressen verschrieben. Anfang April dieses Jahres präsentierten die Aachener ihr erstes Hartmetallwerkzeug zum Pressen von Freiformoptiken, das die typischen Qualitätsanforderungen an Abbildungsoptiken erfüllt. „Mit dieser Technologie stellen wir uns erstmals gegen den japanischen Massenmarkt“, sagt der Geschäftsführer und IPT-Wissenschaftler Dr Thomas Bergs.
 
Klingt kühn, doch nur auf den ersten Blick. Kaum eine Hochschul-Ausgründung steht auf einem so stabilen Fundament wie die IPT-Tochter Aixtooling. Die Fraunhofer-Forscher beschlossen vor rund zehn Jahren, sich die wissenschaftlichen Grundlagen des Präzisionsblankpressens zu erarbeiten. Das IPT ist geradezu prädestiniert dafür durch sein Know-how und seine Ausstattung in der Ultrapräzisionsbearbeitung. Ein weiteres Plus ist die Partnerschaft mit dem Werkzeugmaschinenlabor WZL, das nunmehr über 100 Jahre Erfahrung in Zerspantechnologien verfügt. Vor sechs Jahren konnten die IPT-Wissenschaftler mit der Toshiba Machine Co. Ltd. denjenigen Hersteller als F+E-Partner gewinnen, der den japanischen Markt mit den „Glass Moulding Press Machines“ (GMP) versorgt. Jetzt, wiederum Jahre später, setzt Toshiba zum Sprung in den europäischen Optikmarkt an und möchte seine GMP auch hierzulande verkaufen. Die europäische Optikindustrie zeigt Interesse an der Technologie. Sie pocht aber auf einen heimischen Werkzeugbau. Es sollen keine neuen Abhängigkeiten entstehen. Der japanische Maschinenbauer benötigt daher einen hiesigen Werkzeugbauer als Partner, der sich auf die Ultrapräzisionsbearbeitung vesteht und das Präzisionsblankpressen beherrscht – und das ist seit 2005 die Aixtooling GmbH.
 
Die Erfolgsaussichten des Start-ups basieren auf drei Säulen: der Zusammenarbeit mit dem Maschinenhersteller Toshiba, der Kompetenz im Präzisionswerkzeugbau und nicht zuletzt auf dem am IPT erworbenen Know-how über das Präzisionsblankpressen. Dr. Bergs gründete Aixtooling mit seinen IPT-Kollegen Bernd Bresseler und Guido Pongs als Mit-Gesellschaftern. „Wir haben intensiv nach Veröffentlichungen über den Prozess recherchiert“, berichtet Pongs. „Außer Patenten haben wir aber nur wenig gefunden.“ Die Aachener vermuten, dass die Entwicklungsarbeit in Japan seinerzeit größtenteils in der Industrie stattgefunden hat und sich vor allem auf empirische Erkenntnisse stützt. Wissenschaftliche Grundlagen sind aber wichtig, um auch komplexere Optiken zu pressen, wie sie etwa in der Medizin-, Laser-, Sensor oder Sicherheitstechnik benötigt werden. Und das ist die Chance für das IPT und Aixtooling. Denn teilweise sind heute Freiform-Konturen verlangt, die durch Schleifen und Polieren nur sehr aufwändig oder gar nicht realisiert werden können. Fast immer geht es darum, Abbildungsgänge mit verringerten Linsenzahlen und kürzeren Bauräumen zu realisieren. Auf solche Spezial-Optiken in kleinen bis mittleren Stückzahlen will sich Aixtooling zunächst konzentrieren. Dr. Bergs: „Für jedes optische Problem, bei dem Ultrapräzision gefordert ist, können wir eine Lösung anbieten.“
 
Mögliche Anwendungen gibt es genug. Zum Beispiel ließen sich Hochleistungs-Diodenlaser kompakter bauen, wenn für die Strahlformung eine einzige optische Linse ausreichen würde. Diese müsste dann aber mit komplizierter, freigeformter Fläche herzustellen sein. Ein weiteres Beispiel sind Optiken für Head-up-Displays, die wichtige Informationen für den Autofahrer einblenden. Bernd Bresseler vom Trio der Aixtooling-Gründer weist außerdem darauf hin, dass die Bedeutung von diffraktiven Optiken wachsen wird, wenn sie sich durch abformende Verfahren wie das Präzisionsblankpressen fertigen lassen. Es handelt sich dabei um Optiken mit mikrostrukturierten Oberflächen, die das Licht durch ihre Beugungseigenschaften bündeln. „In diesem Bereich sind wir dabei, die Japaner im Know-how zu überholen.“
 
Zur Thematik startet im Mai ein europäisches Verbund-Projekt mit einem Gesamtbudget von 16 Mio. Euro, in dem 20 Partner an der Entwicklung des Präzisionsblankpressens für anspruchsvolle Optikkomponenten arbeiten. Die Koordination des Projektes übernimmt das IPT – Aixtooling und das WZL sind Partner.
 
Das Präzisionsblankpressen ist ein äußerst komplizierter Prozess. Infrarotstrahler heizen die Formeinsätze und Glas-Rohlinge zeitgleich auf, damit es zu keinen Abweichungen durch die verschiedenen Wärmeausdehnungskoeffizienten kommt (isothermes Aufheizen). Bei Temperaturen zwischen 450 und 800 °C wird der Glas-Rohling verformt. In der anschließenden Abkühlphase drückt das Werkzeug nach, um Schrumpfungsvorgänge im Glas auszugleichen. Das Ergebnis hängt von vielen Einflussfaktoren ab wie Aufheiz- und Abkühlgeschwindigkeiten, Temperatur- und Presskraftverläufen und mehr oder weniger bekannten Materialkennwerten.
 
Da sich keine Nacharbeit anschließt, gehen sämtliche Genauigkeitsanforderungen auf die Form über. Gute Optiken verlangen Oberflächengüten im einstelligen Nanometer-Bereich und Formabweichungen deutlich unter 1 µm. Dem Werkzeugbau kommt daher eine Schlüsselfunktion zu. Auch das unvermeidliche Schwinden der Gläser in der Abkühlphase muss beim Auslegen und Herstellen der Formen berücksichtigt werden. Die Wissenschaftler am IPT arbeiten daran, die Zahl der Iterationszyklen bis zum optimalen Werkzeug zu verringern und den Prozess durch die Simulation immer besser in den Griff zu bekommen. „Für komplexe Optiken wollen wir die korrigierte Werkzeugform möglichst im Vorhinein bestimmen können“, erläutert Bresseler das Ziel, „so dass wir im Idealfall gleich beim ersten Pressen ein einsatzfähiges Bauteil erhalten.“
 
Für die Weiterentwicklung des Formenbaus kommt dem IPT die Partnerschaft mit dem WZL zugute. Beide Institute arbeiten an optimierten Schleif- und Polierprozessen für optische Oberflächengüten. Nicht zuletzt geht es darum, die Kosten für die hochwertigen Formeinsätze in Grenzen zu halten und zu senken. Das „duktile Schleifen“, eine Spezialität des WZL, bietet sich zum Beispiel an, um Keramikformen mit optischer Qualität herzustellen – und zwar möglichst ohne anschließendes Polieren. Damit die Diamantkörner „duktil“ wirken und keine Sprödausbrüche bewirken, sind sie extrem feinkörnig. Ein parallel aktiver elektrochemischer Abrichtprozess sorgt dafür, dass die Diamantschleifscheibe kontinuierlich unverbrauchte Korngenerationen freisetzt.
 
Für eine andere Entwicklungslinie nutzt das IPT neuere Glassorten, die sich bereits bei Temperaturen um 300 °C umformen lassen und damit geringere thermische Ansprüche an die Formen stellen. „Wir haben ausprobiert, ob wir dafür nickelbeschichtete Stähle aus dem Kunststoff-Spritzguss verwenden können“, berichtet Pongs. Dabei sei es gelungen, gedrehte Freiformflächen mit monokristallinen Diamantwerkzeugen in optischer Qualität zu erzeugen. Bresseler hält sogar das MKD-Bearbeiten von Stahl nicht mehr für unmöglich: „Wir konnten nachweisen, dass das Überlagern einer hohen Ultraschallfrequenz den Verschleißmechanismus signifikant reduziert.“
Stück für Stück sollen solche Erfolge in die Arbeit von Aixtooling einfließen. Zunächst geht es den Machern jedoch darum, die Möglichkeiten des Präzisionsblankpressens in der optischen Industrie bekannt zu machen. Aixtooling hat inzwischen eine komplette Supply Chain vom Werkstofflieferanten bis zum Spezialbeschichter aufgebaut. „Zwischen der Anfrage nach einer komplexen optischen Komponente bis zur Auslieferung erster Muster dürfen maximal acht Wochen vergehen“, setzt sich Geschäftsführer Dr. Bergs als Ziel. Zurzeit laufen Machbarkeitsstudien für etliche potenzielle Auftraggeber. Und die ersten Musterserien seien bereits auf dem Weg zu Kunden.
 
 
Von unserem Redaktionsmitglied Olaf Stauß olaf.stauss@konradin.de
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