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Unternehmen ziehen ihre Fachkräfte selbst heran

Qualifikation: Spezialisten werden händeringend gesucht
Unternehmen ziehen ihre Fachkräfte selbst heran

Spezialisten scheinen wie vom Erdboden verschluckt zu sein. Findige Unternehmen haben auf die Notlage reagiert und qualifizieren ihre Mitarbeiter jetzt in eigener Regie.

Monika Etspüler ist Journalistin in Sindelfingen

Momentan werden viele Fachkräfte gesucht, doch der Markt ist wie leergefegt“, sagt Hans Georg Schappacher vom IHK-Bildungshaus Grunbach. In der Maschinenbaubranche ist die Situation besonders drastisch. Wie vom Erdboden verschluckt sind Fertigungstechniker mit Erfahrung in CNC-Programmierung und -Bedienung. Fachkräfte mit CAD-Kenntnissen scheinen vom Aussterben bedroht, und Spezialisten auf dem Gebiet der Automatisierungstechnik sowie der konventionellen Steuerungstechnik gehören ins Raritätenkabinett. „Also bleibt den Unternehmen nichts anderes übrig, als die eigenen Mitarbeiter zu qualifizieren“, schlussfolgert Hans Georg Schappacher.
Was Fachkräftemangel für ein Unternehmen bedeuten kann, bekam die Bahmül-ler Maschinenbau – Präzisionswerkzeuge GmbH in Plüderhausen vor knapp zwei Jahren zu spüren. Der Hersteller von Rundschleifpräzisions- und Wellpappeverarbeitungsmaschinen sah sich durch den Quantensprung in der Dieseleinspritztechnik massiv unter Druck gesetzt, denn damit verbunden war die Herstellung ganz neuer, hochgenauer Maschinen. „Mitarbeiter, die dieses Know-how beherrschen, muss man mit der Lupe suchen. In den Fachhochschulen aber gehört die Schleiftechnologie noch immer zu den exotischen Randerscheinungen“, erklärt Karl Reichenecker, der Kaufmännische Leiter des Unternehmens. Bahmüller blieb also nichts anderes übrig, als Fachkräfte selbst heranzuziehen. „Uns ging es darum, qualifizierte Mitarbeiter noch besser zu qualifizieren.“ Die Lösung, erzählt Reichenecker, sei von einem älteren Mitarbeiter eines Kunden gekommen, der noch keine Lust verspürte, sich aufs Altenteil zurückzuziehen. Er verfasste einen modular aufgebauten Leitfaden, anhand dessen die Firmenangehörigen vom Facharbeiter über den Konstrukteur bis zum Vertriebsmitarbeiter weitergebildet werden können. Die Schulungen finden regelmäßig im eigenen Haus statt, so dass keine langen Wege anfallen, die Zeit und Nerven kosten. Für das 260 Mann starke Unternehmen eine lohnende Sache, denn der Umsatz stieg seit 1996 von 38 Mio. DM auf 72 Mio. DM im Jahr 2000.
Qualifikation gilt als ernstzunehmende Angelegenheit. Die Firma Bahmüller stellt da keinen Einzelfall dar. „Die Bereitschaft, Mitarbeiter zu schulen, ist enorm gestiegen“, beobachtet Andrea Schubode von der IHK Stuttgart. Über 48000 Weiterbildungswillige zählte allein das Rationalisierungs- und Innovationszentrum der Deutschen Wirtschaft e. V. (RKW) im vergangenen Jahr, 9000 mehr als im Vorjahr.
Allen Unkenrufen zum Trotz nehmen prozentual mehr Mitarbeiter aus Klein- und Mittelbetrieben an Qualifikationsmaßnahmen teil als aus Großbetrieben, so das Resultat einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln. Knapp 60 % der befragten Unternehmen nutzen das Angebot externer Seminare und Lehrgänge, fast genauso viele führen interne Lehrveranstaltungen durch. Die Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie stehen dem in nichts nach. 7 Mrd. DM ließen sie sich die betriebliche Weiterbildung im vergangenen Jahr kosten. Heiß begehrt waren Seminare und Lehrgänge zum Thema „Technik“ und „Produktionsverfahren“, die mit 43 % auf Platz eins rangierten.
Das IHK-Bildungshaus beispielsweise bietet eine dreimonatige Ausbildung zum Metallfacharbeiter an. Diese Zusatzqualifikation erlaubt es einem Metallarbeiter, elektrotechnische Arbeiten auszuführen – eine Tätigkeit, bei der normalerweise sein Zuständigkeitsbereich endet und der des Elektrotechnikers beginnt. Grundlagenlehrgänge führen in die Programmierung und Bedienung von CNC-Maschinen ein. Sie sind gedacht für Betriebe, die auf Grund des engen Arbeitsmarktes keine Fachkräfte finden und eigene Mitarbeiter qualifizieren wollen.
Ab Oktober besteht erstmals die Möglichkeit, sich in einem fünfmonatigen Kurs inklusive Betriebspraktikum zum Servicetechniker (IHK) ausbilden zu lassen. Die Maßnahme wird aus Landesmitteln und aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds gefördert. Deshalb betragen die Kursgebühren statt 15000 DM lediglich 1500 DM. Voraussetzung für die Teilnahme an dem Kurs ist ein Facharbeiterabschluss als Industriemechaniker oder Industrieelektroniker.
„Im Trend liegen Lehrgänge, die im eigenen Unternehmen als Paket angeboten werden“, beobachtet Hans Georg Schappacher. Trainer, Inhalte und Methoden sind auf die speziellen Bedürfnisse des Hauses zugeschnitten und Theorie und Praxis dadurch eng miteinander verzahnt.
Zu einer solchen Inhouse-Schulung entschloss sich die C. & E. Fein GmbH & Co. KG, Hersteller von Elektrowerkzeugen für Handwerk und Industrie mit Stammsitz in Stuttgart. Anlass war eine völlige Umkrempelung der Montageabläufe. Die vier getakteten Bänder wurden zu acht Linien umgestaltet. „Plötzlich hatte jeder viel mehr Verantwortung. Nicht mehr das Material kam zu den Mitarbeitern. Die Mitarbeiter mussten schauen, dass sie rechtzeitig zu ihrem Material kamen“, erinnert sich Produktionsleiter Heinz Schulmeyer. Außerdem sollten die Beschäftigten des Montagebereichs so fit gemacht werden, dass jeder für jeden einspringen konnte.
Angesichts dieser Umstrukturierungsmaßnahmen reichte der betriebsinterne Meinungsaustausch zur Problembewältigung nicht mehr aus. Unterstützung kam unter anderem vom IHK-Bildungshaus, das firmenintern Seminare zu Themen wie Arbeitsorganisation und Gruppenarbeit abhielt. „Das Resultat dieser Neuorganisation konnten wir schon sehr bald an der Produktivitätssteigerung ablesen“, sagt Heinz Schulmeyer rückblickend.
Nicht so sehr das Geld, vielmehr der Faktor Zeit ist es, der kleinen und mittleren Unternehmen bei Weiterbildungsmaßnahmen zu schaffen macht. Denn Qualifikation bedeutet oft Freistellung, und Freistellungen stören unter Umständen den Produktionsablauf empfindlich. Mit Hilfe elektronischer Medien soll dieses Problem – zumindest teilweise – gelöst werden.
Ein Unternehmen, das diese Richtung konsequent verfolgt und zu den ältesten seiner Art gehört, ist NETG, ein Kürzel, hinter dem die National Education Training Group steht. Dass dem E-Learning eine große Zukunft bevorsteht, daran zweifelt Walter Kunz, der Managing Director für Zentraleuropa, nicht. Doch Angaben, die besagen, dass 88 % der Unternehmen auf diese Schiene bereits eingeschwenkt seien, hält er für völlig überzogen. „Meiner Meinung nach sind es momentan nicht mehr als 5 % – Tendenz steigend“. E-Learning und Tutorengespräche online seien eher eine Ergänzung der bisherigen Lehrgangspraxis. Dennoch wirble die neue Art zu lernen alle konventionellen Weiterbildungskonzepte durcheinander. „Nicht mehr der Dozent bestimmt Inhalt und Tempo, sondern der Mitarbeiter entscheidet selbst, was er in welcher Form beigebracht bekommen möchte.“
In Großkonzernen werden solche Lernformen schon praktiziert, und nach und nach fassen sie auch Fuß in kleineren Betrieben. Doch viele Unternehmen scheuen den Aufwand, der mit der Implementierung einer entsprechenden Software verbunden ist. Eine Alternative, Mitarbeiter auf unkompliziertem Wege zu qualifizieren, ist das Web-Based-Training, bei dem die Seminare einfach über das Internet abgerufen werden können.
Detlef Carstensen, Projektmanager für den Bereich „Neue Medien“ im IHK-Bildungshaus, schätzt, dass etwa 60 % des Web-Based-Trainings sich mit EDV-Anwendungen, Fremdsprachen und IT-Themen befasst. „Die Maschinenbaubranche wird nicht unmittelbar von diesem Trend profitieren“, prognostiziert er. Lernprogramme, die sich mit Technik und Produktion befassen, müssten in hohem Maße interaktiv sein und die Möglichkeit für Simulationen bieten. Das aber setze den Transport großer Datenmengen über den Flaschenhals Internet voraus. Ein weiteres Problem besteht darin, dass die Lernpogramme fortwährend aktualisiert werden müssten. Simulationen aber gehören zu dem Teuersten, was die EDV zu bieten hat. „Das soll jedoch nicht heißen, dass im Maschinenbau Online-Learning keine Chance hat“, so Detlef Carstensen.
Web-tipp
Der Internet-Service des RKW ist ein Netzwerk für Information, Beratung und Weiterbildung im Mittelstand
Das Bildungszentrum für die IHK Region Stuttgart bietet ein breites Programm zum Thema Qualifikation
Der Anbieter von E-Learning-Lösungen präsentiert sein Programm für den deutschsprachigen Raum
Die Dr. Reinhold Hagen Stiftung stimmt ihre Seminare, Kurse, Trainings- und Qualifizierungsmaßnahmen auf die Bedürfnisse der Unternehmen ab
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