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Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!

Risikomanagement in der Beschaffung
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!

Wer die Gefahren interner und externer Beschaffungsprozesse ignoriert, verliert nicht nur Geld, sondern auch sein Image. Ein frühzeitig in die Supply Chain installiertes Risikomanagementsystem hilft, den Schaden zu verhindern oder wenigstens zu begrenzen.

Von unserem Redaktionsmitglied Susanne Schwab susanne.schwab@konradin.de

„Wenn etwas schief gehen kann, tut es das auch und zwar im ungünstigsten Augenblick und im größtmöglichen Umfang.“ Andreas Kemmler, Einkaufsleiter bei einem schwäbischen Automobilzulieferer, kennt Murphy’s Gesetz. Erst vor kurzem konnte ein Auftrag eines wichtigen Kunden nicht rechtzeitig bearbeitet werden, weil der Drahtlieferant des Unternehmens zuerst die falschen Spulen lieferte und sich anschließend die Auslieferung des richtigen Materials durch einen Unfall des Lkw verzögerte. Der Kunde, der dringend auf seine Zulieferteile wartete, drohte mit Schadensersatzklagen, sollten in seiner Montagehalle die Bänder still stehen.
Nur ungern erinnert sich Kemmler an den Ärger und den Zusatzaufwand, den diese Lieferverzögerung mit sich brachte. Schon öfters gab es Schwierigkeiten mit seinem Haus- und Hoflieferanten, einem Bekannten seines Chefs und außerdem im Preis recht günstig. Doch in Zukunft will sich der Einkaufsverantwortliche nicht mehr nur auf einen Drahtlieferanten verlassen. Zu groß sind die wirtschaftlichen Risiken bei einem Lieferausfall.
Die internen und externen Risiken, denen sich Unternehmen in der Beschaffung aussetzen – sei es durch Insolvenzen bei nationalen Lieferanten als auch durch Währungs-, Liefer- oder Qualitätsschwierigkeiten im Global Sourcing – werden häufig viel zu lange ignoriert. Nicht selten steht plötzlich der wirtschaftliche Erfolg oder im schlimmsten Fall sogar die Existenz des Unternehmens auf dem Spiel.
Abhilfe schafft ein beschaffungsorientiertes Risikomanagement. Dabei geht es um Wege und Mittel, potenzielle Risiken zu erkennen und sie möglichst zu vermeiden. Prävention, nicht Trouble Shooting, heißt hier die Devise, die Dr. Robert Fieten, Vorstandsmitglied im Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME), Frankfurt/M., den Unternehmen ans Herz legt. Denn auf diesem Feld gibt es für die deutschen Einkäufer seiner Meinung nach noch viel zu tun. „Obwohl sich die Risikoanfälligkeit in der Versorgungskette in den vergangenen Jahren deutlich erhöht hat, ist ein präventives Risikomanagement im Einkauf immer noch unterentwickelt“, beklagt Dr. Fieten. Der Wissenschaftler und Managementberater fordert deshalb, den Kreis der üblichen Kriterien bei der Lieferantenbewertung, also Preis, Qualität und Liefertreue, um finanzwirtschaftliche Kennzahlen zu erweitern. Dies gilt umso mehr, als die Kreditinstitute im Zuge ihrer neuen Eigenkapitalvorschriften (Basel II) dazu übergehen, Kredite nur noch unter sehr restriktiven Bedingungen zu vergeben oder zu verlängern. Angesichts der dünnen Eigenkapitaldecke vieler kleiner und mittlerer Unternehmen werde diese Praxis in den nächsten Jahren dazu führen, dass die Zahl der Insolvenzen in Deutschland auf neue Rekordhöhen klettert, so die Meinung der Finanzexperten. Im Idealfall erkennt der Einkäufer frühzeitig, wenn sich bei einem strategischen Lieferanten eine Krise anbahnt, und handelt sofort.
Die Realität sieht aber häufig ganz anders aus, weiß BME-Vorstand Dr. Fieten: „Nach unserer Erfahrung wird der Einkauf meist erst in einer späteren Phase tätig, nämlich dann, wenn ein Lieferant bereits in eine Liquiditätskrise geraten ist oder seinen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen kann.“
Ein effizientes Risikomanagement umfasst alle notwendigen Maßnahmen, um die Risiken in der Beschaffung zu identifizieren, zu bewerten und zu beherrschen. Prof. Dr. Horst Wildemann, Leiter des Instituts für Betriebswirtschaftslehre der Technischen Universität München und Geschäftsführer der TCW Transfer-Centrum GmbH & Co. KG, einem Beratungszentrum für Unternehmensplanung und Logistik, München, beschäftigt sich seit Jahren mit den Risikoaspekten in der Lieferantenbeurteilung. Der Wissenschaftler und Praxisexperte sieht das Problem der meisten Firmen darin, dass sie die Beschaffungsrisiken dem Versorgungsrisiko unterordnen und dabei die lieferantenbezogenen Risiken unzureichend bewerten. „Die Beschaffungsrisiken sind viel weiter zu definieren. Unternehmen müssen beispielsweise nach Preis-, Qualitäts-, Technologie- und Lieferrisiken unterscheiden und den Perspektiven Markt, Lieferant, Prozess und Produkt systematisch zuordnen.“ Da seiner Meinung nach das Einkaufsvolumen gemessen am Umsatz stetig steigt und bei einigen Industrien zwischenzeitlich einen Wert von 50 % bis 60 % erreicht, werden Frühwarnsysteme für die Unternehmen lebenswichtig. Dadurch können Firmen frühzeitig
  • präventive Versorgungsmaßnahmen, beispielsweise Versicherungen, treffen,
  • Kosten und Fehlleistungen reduzieren,
  • sowie die Lieferantenbasis und Beschaffungsstrategien verbessern
Natürlich kann solch ein System nicht von heute auf morgen installiert werden. Zuerst müssen nach Ansicht von Prof. Horst Wildemann einige Anforderungen erfüllt sein: „Ein effizienter Risikomanagementprozess erfordert ein systematisches und einheitliches Vorgehen, das alle beschaffungsrelevanten Aktivitäten im In- und Ausland umfasst. Firmen müssen ihre eigene, individuelle Risikopolitik definieren.“ Doch gerade kleinere Betriebe verfügen häufig nicht über die personellen Ressourcen, um ein wirksames Risikomanagement zu betreiben. Prof. Dr. Peter Geisler, Einkaufsleiter bei der Siemens Dematic AG, München, rät den verantwortlichen Einkäufern, bei der Risikoeinschätzung auch auf ihr Bauchgefühl zu hören. Dies entbinde jedoch nicht von der Verantwortung, ein Risikomanagement auf systematischer Grundlage zu errichten und dafür zu sorgen, dass es auch tatsächlich angewendet wird. Prof. Dr. Geisler hat gemeinsam mit Stefan Scholz im Geschäftsbereich Electronic Assembly Systems im Geschäftsjahr 2000/2001 einen systematischen Risiko-Management-Prozess im Einkauf entwickelt und implementiert, um Risiken in der Supply Chain frühzeitig bewerten zu können.
Ausgangspunkt des Purchasing-Risk-Management-Systems Prima sind die einzelnen Materialfelder. Systematisch werden die Lieferanten und Risikoteile jedes Materialfeldes gescannt. Auswahlkriterien sind
  • Umsatz und strategische Bedeutung,
  • Ergebnisse aus der Supply Chain,
  • Erfahrungen aus dem Lieferanten- management,
  • die subjektive Risikoeinschätzung sowie
  • das Expertenwissen.
In Risiko-Workshops werden die Ausprägungen von bekannten und möglichen kommerziellen Risiken sowie von Versorgungsrisiken erfasst und bewertet und mit Checklisten dokumentiert. „Standardisierte Risikoklassifizierungen und -bewertungen schaffen dabei für uns die notwendige Transparenz, um punktgenaue Maßnahmen und Strategien zur Risikobeherrschung und -minimierung in den Workshops festlegen zu können“, erläutert Procurement Engineer Stefan Scholz die Vorgehensweise. „Durch die Risikoworkshops ist über alle Hierarchien eine deutlich höhere Identifikation und ein neues Verantwortungsbewusstsein im Umgang mit Risiken entstanden.“ Er ist sich sicher, dass es für den Einkauf vor dem Hintergrund eines weltweit harten Wettbewerbs und maximaler Kundenorientierung heute überlebenswichtig ist, Risiken frühzeitig zu erkennen, die sich negativ auf die vorgegebenen Ziele und die Umsetzung von Strategien auswirken würden. Je früher ein Risikomanagementsystem in der Prozesskette eingesetzt wird, desto effektiver ist die Risikominimierung. Und damit auch der Beschaffungsprozess im Unternehmen.
Prävention statt Trouble Shooting
Jedes Unternehmen braucht eine individuelle Risikopolitik
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