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Vorsorge fürs Leben danach

Werkzeugbau: Deutsche können sich Mit Datenmanagement profilieren
Vorsorge fürs Leben danach

Für den Werkzeugbau ist die Vielfalt industrieller Serienprodukte Segen und Fluch zugleich. Sie bedeutet zwar eine angenehme Auslastung, bringt aber auch den Auftrag zu Archivierung und Management der Daten mit sich. Gerade hier jedoch könnte sich die deutsche Branche international weiter profilieren.

Die Vielfalt industrieller Serienprodukte wächst ungebrochen, und damit die Zahl der Werkzeuge, Formen, Vorrichtungen und Gesenke, die für die Herstellung gebraucht werden. So sind im Automobilbau – Deutschlands größtem Werkzeugbau-Kunden – die Basistypen von drei in den 60er Jahren auf heute jenseits 25 explodiert. Hatte der Neuwagenkäufer vor 20 Jahren noch die Wahl zwischen 140 Modellen, so sind es nach Untersuchungen der Oberhausener ANP Management Consulting derzeit über 330. Laut Herstellerverband VDA wurden 2005 weltweit 64,9 Mio. Personenkraftwagen gebaut. Die Nutzfahrzeuge hinzugenommen, entspricht dies einer durchschnittlichen Auflage von 180 000 Einheiten je Modell.

Im Gegenzug schrumpfen die Produktzyklen. Bleiben wir auch hierzu im Automobilbau, denn diese Branche fährt von ehedem sieben Modelljahren derzeit rasant in Richtung drei. Hinzu kommt ein Plus an Varianten und Sondermodellen. Damit nimmt die Gesamtzahl der zur Herstellung von Fahrzeugteilen erforderlichen Werkzeuge weiter kräftig zu.
Zwar entsprechen diese Modellwechsel längst nicht dem mit nur einem Jahr kurzlebigen Marktauftritt eines PCs, eines Toasters oder Duftwasserflakons. Dafür jedoch ist das Produkt Kfz mit all seinen Komponenten erheblich komplexer, und der Aufwand im Werkzeug- und Formenbau ist enorm. Daran ändert auch die Gleichteil- und Plattformpolitik der Autobauer nichts. Sie federt den Boom ein Stück weit ab, tut aber wenig am Trend und auch nichts am Zwang zur Nachsorge für die ausgemusterten Tools. Schließlich wollen die Ersatzteilproduktion und Neuauflagen zuverlässig organisiert sein.
Wie viele Werkzeuge für Ur- und Um-, Gieß- und Spritz- sowie Stanz- und Folgeschnitttools bis dato gebaut worden sind oder derzeit werden, kann auch der VDWF – der Verband deutscher Werkzeug- und Formenbauer in Schwendi – nicht sagen. Sicher ist nur, dass vor allem der Kunststoffspritzguss zugelegt hat. Betrug sein geschätzter Anteil in deutschen Kraftfahrzeugen Ende der 50er Jahre (Produktion 1959: 1,5 Mio. Einheiten) noch 10 %, waren es 1980 (3,5 Mio. Fahrzeuge) bereits rund 20 %. 2006 – die Binnenproduktion beträgt inzwischen 5,35 Mio. Autos, weltweit stellen deutsche Konzerne 10,7 Mio. Kfz her – dürften gespritzte Kunststoffteile an die 60 % ausmachen.
Jede dieser Komponenten ist letztlich ein diversifiziertes Massenteil, und jedes Spritzgießtool ein Schwergewicht. So wiegt schon das Werkzeug für eine kleinere Verschlusskappe zwischen drei und fünf Tonnen. Special Tools für Großteile wie Zierleisten, Stoßfänger oder Schweller bringen schnell das Zehnfache auf die Waage.
Was aber geschieht nach Auslauf der Produktion mit ihnen? Wie werden sie organisiert mit Blick auf die europäischen Lieferbereitschafts-Vorschriften für Standard- und Sicherheitsteile? Welche übernationalen Normen greifen? Grundsätzlich gilt: Eigentümer der ausgebrauchten Tools ist jeweils der Originalteilelieferant (OEM) oder der Hersteller des Endprodukts selbst. Soweit dieser kein eigenes Lager hat, bleibt die Aufbewahrung meist Sache des Werkzeugbauers.
Genau hier aber liegt die Crux, denn nach einer Studie der Mercer Management Consulting werden von den weltweit über 5000 Zulieferern bis 2015 lediglich 2800 übrig bleiben, und von den bislang unabhängigen Automobilkonzernen dürften dann nur mehr neun oder zehn eigenständig sein. Sie treten dann in die Teileverantwortung für die übernommenen Wettbewerber. Den gesetzlichen Rahmen dafür setzt in Europa die Gruppenfreistellungsverordnung der EU. Die erforderliche Datenbasis – beginnend beim Werkzeug als erstem Glied der Wertschöpfungskette – sollte fundiert sein, ist in der Praxis jedoch weitgehend zerfleddert.
Laut Untersuchungen der Fraunhofer-Gesellschaft werden bereits 2008 über 70 % eines Autos von Zulieferern gebaut, deren Zahl sich jedoch – siehe oben – in den nächsten zehn Jahren nahezu halbiert. Und seinerseits hat jeder dieser so genannten 1-tiers seine eigenen Lieferanten und Werkzeugbauer, und diese wiederum ihre gewachsene Datenhaltung. Allgemein verbindliche Standards und Empfehlungen zum Handling und Format der Informationen, bedauert der VDWF, gebe es bislang nicht. Lückenlose Dokumentation sei jedoch selbstverständlich in der Branche und bei großen Projekten ohnehin Auflage.
Durchgehend und datentechnisch schlüssig organisiert, hätte die wachsende Halde ausgemusterter, geparkter oder auch bis zur Ersatzteilfertigung zurückgelegter Werkzeuge dabei durchaus auch das Zeug zur Folgenutzung. Immerhin boomen Messen wie die Karlsruher Resale – Ausstellung für gebrauchte Investitionsgüter – bereits im 13. Jahr. Und zwei von dreien der zuletzt 10 000 Besucher kommen aus dem Nicht-EU-Ausland. Auch dieses Zweit- und Drittgeschäft mit bewährten Betriebsmitteln würde durch standardisierte Datenhaltung erleichtert.
Bloße Ablage ist jedoch keineswegs Archivierung: Nicht jede in einem 2½D-CAD-System angelegte Konstruktion lässt sich im Volumenmodell bearbeiten. Erschwerend hinzu kommen Wechsel der Betriebssysteme oder generell der CAD-Hersteller. Ab- und Seitwärtskompatibilität ist dabei keineswegs zwingend. Hier könnten sich Deutschlands und Europas Special Tooler vom immer schnelleren Geschäft mit Werkzeugen und Formen abheben und sich qua konsistent vorgehaltener Daten Alleinstellungsmerkmale schaffen.
Bei ihren großindustriellen Auftraggebern längst geläufige Hilfsmittel wie Produktdatenmanagement-Systeme (PDA) und deren Web-basierte Variante PLM (Produktlebenszyklusmanagement) wären die nächst liegende Lösung. Sie vereinfachen nicht nur grundsätzlich das Datenhandling zwischen Wiege und Erstbestattung der Werkzeuge, sondern auch die Änderungskonstruktion, Reparaturen und die Reaktivierung für Neuauflagen. Auch hier könnte die europäische Branche sich als Kontrast zum flotten Geschäft mit Special Tools aus China und Indien profilieren. Das Management rund um die Werkzeug-Senioren steht jedenfalls gerade erst am Anfang.
Wolfgang Filì Journalist in Köln
Archivieren ist das Problem, weniger das Lagern der Tools

Marktchancen
Schlüssig archivierte und über ganze Hard- und Software-Generationen hinweg zuverlässig verfügbare Daten könnten im internationalen Wettbewerb entscheidend sein. Auch wenn die Zyklen ständig kürzer werden und die Teilevielfalt steigt, sind die Regelwerke zur Garantie und Lieferbereitschaft der Produkte – zumindest in den alten Industrienationen – verbindlicher denn je.

„Zuverlässig archivierte Daten sind das A und O“

502007

Nachgefragt

Herr Gebhardt: Wieso ist die Arbeit mit dem Einlagern der Werkzeuge noch nicht getan?
Es gibt Aufbewahrungspflichten, die sich aus dem Auftrag und – soweit der Kunde zur Automobilindustrie zählt – aus der Gruppenfreistellungsverordnung der EU ableiten. Diese schreibt bis zu 20 Jahre Lieferbereitschaft vor. Hinzu kommt, dass auf Dauer nicht jedes Material zugelassen ist, das zum Marktgang der Produkte noch unkritisch war. Silikone in Kunststoffen etwa sind genau so verboten wie Bremsklötze mit Asbestanteil. Hier würde das Vorhalten der Werkzeuge wenig nützen, denn die für das Substitutionsmaterial ausgelegten Werkzeuge müsste man neu fertigen. Wichtig ist also, dass die entsprechenden Teile und auch die Tools digitalisiert vorliegen.
Heute sind so gut wie alle Serienteile am Rechner konstruiert. Was heißt insoweit: ‚digitalisiert’?
Das Problem ist nicht die bloße Verwaltung der Daten, sondern das systematische Archivieren. Die Informationen müssen im Zweifelsfall über mehrere Generationen von Hard- und Software sowie auch über verschiedene Betriebssysteme hinweg verfüg- und nutzbar sein. Wer schon einmal zwischen verschiedenen Textverarbeitungssystemen und Rechnern gewechselt hat, kennt das Problem.
Muss der Werkzeug- und Formenbau sich also näher mit PDA- und PLM-Lösungen oder integrierten Datensystemen befassen?
Es wäre vielleicht auch international ein Alleinstellungsmerkmal, alle zum Werkzeug gehörenden Daten zuverlässig sauber archiviert und verfügbar vorhalten zu können.
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