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Vorteile von Mechanik und Hydraulik sind in einem Konzept vereint

Antriebstechnik: Linearmotor in der Presse verhilft zu präzisen Blechformteilen
Vorteile von Mechanik und Hydraulik sind in einem Konzept vereint

Für Blechformteile im Miniaturmaßstab sind bisher erhältliche Pressen überdimensioniert und häufig zu unflexibel. Mit einem modularen Maschinenkonzept und Direktantrieben wollen Forscher Abhilfe schaffen. Und der neue Bandvorschub könnte auch konventionelle Pressen bald flotter machen.

Von unserem Redaktionsmitglied Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de

Linearmotoren sind nicht gerade für ihre Riesenkräfte berühmt. Dennoch gibt es gute Gründe, sie als Antrieb in einer Presse zu verwenden: Für hochpräzise Mikrobauteile aus Blech reichen die 20 kN Presskraft, die am Markt verfügbare Direktantriebe heute bieten, völlig aus. Und Linearmotoren vereinigen zwei Vorteile der bisher üblichen mechanischen oder hydraulischen Antriebe: Sie erreichen hohe Hubzahlen und ermöglichen dem Anwender, die Geschwindigkeits-Weg-Charakteristik über die Steuerung zu verändern. Das wirkt sich positiv auf die Qualität der produzierten Teile aus.
Aufgrund dieser Überlegungen haben Forscher der Technischen Universität Darmstadt ein neues Maschinenkonzept entwickelt und bereits in einem Prototypen umgesetzt. „Wir glauben, das wir mit unserer Anlage einen Markt bedienen könnten, für den es bisher überhaupt keine Lösungen gibt“, sagt Roland Schneider, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Projektleiter am Institut für Produktionstechnik und Umformmaschinen (PtU) der TU Darmstadt.
Die Presse, deren Stößel von einem Linearmotor angetrieben wird, nennen die Darmstädter Stanzrapid. Sie soll vor allem Maschinenbetreibern in kleinen und mittleren Unternehmen mehr Flexibilität bei der Produktion verschaffen. Da sie modular aufgebaut ist und durch zusätzliche Einheiten mit weiteren Stößeln erweitert werden kann, bedeutet ein Produktwechsel weniger Aufwand als bei herkömmlichen Maschinen.
An dem Projekt, das bis zum Frühjahr 2003 vom Bundesforschungsministerium gefördert wird, beteiligen sich Hersteller von Maschinenelementen, die Göppinger Pressenbauer der Schuler AG, die Sulzer Automatic-Systeme Roland Dreher GmbH, die einen neuen Bandvorschub entwickelt, sowie die Münchner Siemens Linear Motor Systems GmbH, die die Antriebe liefert.
Mit dem Protoypen verabschieden sich die Projektpartner von bisher üblichen Lösungen mit Spindel oder Hydraulikzylinder. In solchen herkömmlichen Pressen führt in der Regel ein Werkzeug, das multifunktional konstruiert ist, mit einem Hub mehrere Operationen am Blech aus. Die fertigen Teile müssen in einem weiteren Arbeitsgang aus dem Blechband herausgeschnitten werden.
Die hohen Hubzahlen, die dieses Verfahren wirtschaftlich machen, waren bisher am einfachsten mit einer Kombination aus Elektromotor und mechanischen Übertragungselementen zu erreichen. Deren Kinematik ist an einer bestehenden Maschine nicht leicht zu verändern und in jedem Fall ein Kompromiss: Ein einziger Geschwindigkeits-Weg-Verlauf kann nicht für alle Umformprozesse optimal sein, die das Werkzeug ausführt. Die Alternative, eine Konstruktion mit hydraulischem Zylinder, kommt zwar ohne die mechanischen Übertragungselemente aus und erlaubt es daher, die Bewegung etwas besser an den Prozess anzupassen. Sie erreicht aber keine hohen Hubzahlen.
Einen besseren Ansatz soll nun die Stanzrapid-Maschine bringen. Sie setzt sich gewissermaßen aus mehreren Pressen zusammen, und jedes Modul mit Antrieb, Stößel und Werkzeug übernimmt Einzelaufgaben. Komplexe und aufwendig zu fertigende Werkzeuge, die so verschiedene Verfahren wie Schneiden, Umformen, Biegen, Prägen, Tiefen und Tiefziehen ausführen, gehören dann der Vergangenheit an.
Das Konzept der Darmstädter Forscher, die mehrere Einzelwerkzeuge verwenden, hat eine Reihe von Vorteilen. Jedes Werkzeug wird an seinem Stößel von einem Linearmotor bewegt, der sich passend zum Umformverfahren ansteuern lässt. „Das verbessert die Qualität der Bauteile erheblich“, betont PtU-Mitarbeiter Schneider.
Einen weiteren positiven Effekt auf die Wirtschaftlichkeit versprechen sich die Forscher von der Tatsache, dass der Austausch der Werkzeuge viel einfacher werden soll als bisher. Wenn die nächste Bauteil-Serie neue Formen erforderlich macht, bleibt der Antrieb installiert. Schneider lobt: „Der Anwender baut lediglich neue Schneideinheiten an den Linearmotor an und gibt dann neue Vorgaben für die Bewegung in die Steuerung ein.“
Die ersten Teile hat der Prototyp bereits gestanzt und gezeigt, dass er die Erwartungen seiner Entwickler erfüllt. Diese haben im Vorfeld zunächst Berechnungen am Minimalmodell einer Umformmaschine angestellt. So konnten sie die viel diskutierten Nachteile ausgleichen, mit denen beim Einsatz von Direktantrieben in Maschinen zu rechnen ist:
– Ein Kühlsystem fängt die Wärmeentwicklung der Motoren auf.
– Das Maschinengestell ist besonders steif gebaut, um den Belastungen durch die Anziehungskräfte der Magnete im Motor und die dynamischen Bewegungen des Stößels Stand zu halten.
– Um Verformungen an Gestell und Stößel zu vermeiden, sind in jedem Modul zwei Lineardirektantriebe parallel angeordnet. So gleichen sich ihre magnetischen Anziehungskräfte aus.
Je mehr Linearmotoren aber in den Pressenmodulen verwendet werden, desto kritischer wird die Frage nach dem Preis einer solchen Anlage: Durchschnittlich rechnen die Forscher damit, dass ein Anwender bis zu vier Module in Reihe schalten müsste, um komplexere Kleinbauteile zu fertigen. Für diesen Fall haben sie Kostenrechnungen angestellt. „Bei den Investitionskosten liegen wir etwa 15 bis 20 Prozent über den konventionellen Maschinen“, berichtet Schneider. Dieser Wert schlage allerdings nicht auf die Kosten der Werkstücke durch, die die Presse später fertigt. Daran habe der Anschaffungspreis der Anlage nur einen Anteil von rund 40 %. Daher sind die teureren Antriebe nach Schneiders Ansicht kein K.O.-Kriterium für den Stanzrapid.
Darüber hinaus seien Veränderungen im Preisgefüge wahrscheinlich, die die Kostenrechnung stärker zugunsten des Stanzrapid ausfallen lassen. Wie der Hersteller Siemens Linear Motor Systems bereits anlässlich der Emo im Herbst 2001 angekündigt hat, ist durch die zunehmende Nachfrage aus dem Werkzeugmaschinenbereich mit sinkenden Stückkosten für die Antriebe zu rechnen.
Projektpartner für Praxistests gesucht
Konkrete Vergleichszahlen für die Fertigung liegen Schneider zwar noch nicht vor – entsprechende Untersuchungen sind erst für eine spätere Projektphase geplant. Aber die größere Flexibilität in der Produktion könnte nach Ansicht des Wissenschaftlers die höheren Investitionskosten sehr wohl ausgleichen.
Interessenten aus der Industrie haben noch Gelegenheit, als Praktiker in das Projekt einzusteigen und mit zu überprüfen, ob das neue Konzept hält, was die Berechnungen versprechen. Die Wissenschaftler suchen nach Partnern, die Pressen einsetzen und Kleinstteile hochgenau fertigen.
Beim Aufbau der nächsten Module wollen die Forscher ihre bisherigen Erfahrungen nutzen, so dass die Gesamtmaschine noch rationeller arbeiten kann. „Es hat sich beispielsweise gezeigt“, berichtet der Darmstädter, „dass ein interessantes Potenzial im Vorschub der sehr dünnen Blechbänder steckt.“ Bisher würden hierfür Walzenantriebe eingesetzt, die zwar dynamisch, aber nicht sehr flexibel seien. Übernähme ein Linearmotor auch diese Aufgabe, ließen sich die Werkzeugkosten eventuell weiter verringern: Mit einem Direktantrieb würde der Vorschub sozusagen zu einer weiteren Achse. Schneider blickt in die Zukunft: „Wenn man das Blechband mikrometergenau verfährt, könnte ein einfaches Werkzeug auch komplexe Strukturen erzeugen, indem es mehrere Schnitte oder Stanzvorgänge an verschiedenen Stellen desselben Bauteils ausführt.“
Den neuen Bandvorschub entwickeln die Projektpartner der Automatic-Systeme Roland Dreher GmbH aus Sulz/Neckar. „Schnelle Vorschübe werden auf dem Markt dringend benötigt“, hat Thomas Öhler beobachtet, der das Stanzrapid-Projekt bei den Sulzern leitet. Auch wenn noch keine genauen Zahlen vorliegen, rechnet er mit einer möglichen Steigerung der Produktivität von rund 25 %, die mit einem Linearmotor im Vorschub zu erreichen wäre. Der ließe sich nicht nur im Stanzrapid-Konzept nutzen. „Im kommenden Jahr wollen wir diese Vorschübe auch für konventionelle Maschinen anbieten“, kündigt Öhler an.
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