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Wer vor Gericht zieht, braucht viel Geduld

Recht: Worauf Einkäufer in Mittel- und Osteuropa achten müssen
Wer vor Gericht zieht, braucht viel Geduld

Wer vor Gericht zieht, braucht viel Geduld
Vor Vertragsabschluss mit Lieferanten aus den EU-Beitrittsländern sollten alle Rechtsfragen geklärt sein (Bild: EU-Kommission)
Wenn am 1. Mai die mittel- und osteuropäischen Staaten der Europäischen Union beitreten, tritt auch die EU-Verordnung Nr. 44/2001 in Kraft. Sie verpflichtet Unternehmen dazu, die jeweils landesrechtlichen Verträge anzuerkennen.

Obwohl die Staaten Mittel-und Osteuropas (MOE) den Rechtsbestand der EU mittlerweile zu großen Teilen übernommen haben, gibt es in der Praxis noch Defizite. Das bekommen auch diejenigen deutschen Unternehmen zu spüren, die die Region in den vergangenen Jahren zunehmend als Beschaffungsmarkt erschlossen haben.

„Deutsche Rechtstitel in Polen, Tschechien, der Slowakei oder Ungarn durchzusetzen, ist sehr schwierig“, berichtet Martin Neupert, Sozius der Nürnberger Kanzlei Burmeister Neupert Tom (bnt), die sich auf die Rechtsberatung deutscher Firmen im Mittel- und Osteuropageschäft spezialisiert hat. Das liege vor allem daran, dass die Richter in den Beitrittsstaaten mit der Anwendung deutschen Rechts „massiv überfordert“ seien. Die unbefriedigende Situation werde sich auch nach dem Beitritt der MOE-Staaten zur EU nicht wesentlich ändern, befürchtet der Experte.
Für die Durchsetzung eines Rechtstitels sind laut Neupert vor allem die Wahl des Rechts und der Gerichtsstand von Bedeutung. Grundsätzlich gilt bei Rechtsgeschäften zwischen einem deutschen Abnehmer und seinem Lieferanten der Grundsatz der Privatautonomie, das heißt, die Vertragsparteien sind in der Rechtswahl frei. Aus-genommen sind Gesellschafts-, Sachen-, Arbeits-, Steuer-, Zoll-, Delikts- und Vollstreckungsrecht, bei denen in Streitfragen das Landesrecht gilt.
Deutschen Einkäufern empfiehlt Rechtsanwalt Neupert aus eigener Erfahrung, deutsches Recht zu vermeiden. Der Grund dafür liegt in erster Linie darin, dass deutsche Rechtstitel in Mittel- und Osteuropa nur schwer durchsetzbar sind. Zudem können eventuell nötige Übersetzungen – vor allem technischer Dokumente – und Rechtsgutachten den deutschen Kunden viel Zeit und Geld kosten. Demgegenüber steigen bei der Wahl des jeweiligen Landesrechts die Chancen, die eigenen Interessen durchsetzen zu können. Zu den Nachteilen des Landesrechts zählen neben dem Sprach- und Verständigungsproblem auch häufige Gesetzesänderungen, auf die sich deutsche Unternehmen einstellen müssen, sowie die immer noch dürftige Rechtsprechung in den MOE-Ländern.
Bei der Wahl des Gerichtsstands sollte der Einkäufer in jedem Fall den Standort seines Lieferanten vermeiden. Auch wenn die Beitrittsländer in den vergangenen Jahren große Fortschritte auf dem Weg zum Rechtsstaat getan haben, kann die deutsche Vertragspartei nie mit Sicherheit ausschließen, dass ein Gericht im Zweifelsfall für den am selben Ort ansässigen Lieferanten entscheidet. Deshalb empfiehlt es sich, im Vertrag einen anderen Gerichtsstand zu vereinbaren. In diesem Zusammenhang rät Rechtsanwalt Neupert deutschen Firmen, die Verträge mit polnischen Geschäftspartnern abschließen, dazu, den Gerichtsstand Warschau zu vermeiden; die Gerichte dort seien nämlich seit einiger Zeit stark überlastet.
Bei Rechtsstreitigkeiten muss sich der Einkauf in der Regel mit viel Geduld wappnen. So geht beispielsweise ein Titel, den sich ein Einkäufer vor einem deutschen Gericht gegen einen polnischen Lieferanten erstreitet, zuerst an das zuständige Landesjustizministerium, von dort an das Bundesjustizministerium in Berlin, das den Titel an das Auswärtige Amt weitergibt. Das Außenministerium stellt den Titel der deutschen Botschaft und dem deutschen Konsulat in Polen zu, das ihn dem polnischen Außenministerium überreicht, von wo aus er über mehrere Stationen endlich beim zuständigen Gericht eintrifft.
Bis das der Fall ist, vergehen nach Erfahrung von Martin Neupert mindestens neun bis zwölf Monate. Daran wird sich nach Einschätzung des Rechtsanwalts auch nach dem Mai nur wenig ändern. Bei all dem sollte sich der Einkäufer die Erkenntnis von Uwe Wildt, Leiter Allgemeine Beschaffung bei Škoda Auto, vergegenwärtigen: „Wenn man sich mit dem Lieferanten vor Gericht trifft, ist es eh zu spät.“ su
Deutsche Rechtsstitel sind in Osteuropa nur schwer durchsetzbar
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