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Wie Aluminium zum Blech erster Wahl wurde

Alu-Karosse Audi A8: Automationsgrad von 25 auf 85 % angehoben
Wie Aluminium zum Blech erster Wahl wurde

Besonders Audi ist es zu verdanken, dass Aluminium gegenüber Stahl eine Aufholjagd als Konstruktionswerkstoff angetreten hat – auch zum Nutzen des Maschinenbaus. Welchen Stand die Alu-Technologie heute erreicht hat, zeigt das Beispiel des A8 mit überarbeiter Alu-Karosserie.

Klaus Vollrath ist freier Fachjournalist in Herne

Aluminium ist für uns kein Credo. Uns geht es nicht um Werkstoffe an sich, sondern um Leichtbau im Automobil“, macht Dr. Klaus Koglin klar, Leiter Technologieentwicklung der Audi AG. Seit Einführung der selbsttragenden Stahlkarosserie bei Opel vor rund 70 Jahren habe es im Karosseriebau weitgehend eine Monokultur gegeben. Und die lasse sich jetzt überwinden: Der Automobilkonstrukteur gewinnt Freiheitsgrade hinzu. Zusätzlich kommt es zu positiven Rückkopplungen zwischen den Werkstoffen. Beispielsweise hat die erfolgreiche Umsetzung des Spaceframe-Konzepts bei den Audi-Modellen A8 und A2 mit Alu-Karosserie dazu geführt, dass inzwischen auch auf der Stahlbau-Seite über Spaceframe-Ansätze mit Feingussknoten nachgedacht wird. Für Koglin verbessert diese neue Kreativität die Möglichkeiten, die Wünsche des Marktes zu erfüllen: nach Fahrzeugen, die bei aller Sparsamkeit und Sicherheit ein Maximum an Sportlichkeit und Fahrspaß bieten. Stahl wie Aluminium müssen sich daran messen lassen, ob sie geeignet sind für die Umsetzung dieser Ziele. Hybridbauweisen sind dabei ebenso denkbar wie Monokulturen.
Aluminium musste eine Aufholjagd antreten, um den enormen Vorsprung von Stahl zu verringern: „Die Qualifizierung von Aluminium als Karosseriebau-Werkstoff für die Serie war ein langer Prozess, der schrittweise vollzogen werden musste“, berichtet Frank Venier, Leiter Technologieentwicklung im Neckarsulmer Aluminium-Zentrum von Audi. Bei Stahl sei die Technologie der Erzeugung und Verarbeitung über lange Zeiträume perfektioniert worden. Das könne nicht in einem einzigen Kraftakt aufgeholt werden. Statt- dessen haben die Audi-Ingenieure in der Entwicklung der verschiedenen Aluminium-Modelle (vom alten A8 über den A2 bis zum überarbeiteten A8) jeweils Schwerpunkte gesetzt und die Qualifizierung über die Jahre schrittweise vorangetrieben. Beim ersten A8 ging es ihnen vorrangig um die Realisierbarkeit des Audi-Spaceframe, dessen Reparaturkonzept und um das Ziel, ein wirklich einzigartiges Fahrzeug für die Oberklasse zu bauen. Dafür nahmen sie Abstriche beim Automatisierungsgrad in Kauf, der mit 20 bis 25 % relativ niedrig lag. Inzwischen ist laut Venier die damals noch heiß diskutierte Reparierbarkeit von Alu-Fahrzeugen kein Thema mehr. Schon den ersten A8 stuften die Versicherungen besonders günstig ein. Erst beim nächsten Modell, dem kleineren A2, konzentrierten sich die Audi-Entwickler auf die Mechanisierung der Fertigung und erreichten einen Automationsgrad von 85 %. Damit wurde in etwa Gleichstand mit aktuellen Stahlmodellen wie dem A3 erzielt.
Auch bei den Blechen für die Außenhaut musste einiges getan werden. Noch vor wenigen Jahrzehnten definierte sich ein Karosserieblech über vergleichsweise wenige Parameter wie Dicke, Legierung, Festigkeit und Oberflächenzustand. „Heute ist das für uns kein ,Blech’ mehr, sondern ein komplexes System mit zahlreichen genauestens definierten Eigenschaften“, sagt Koglin. Beim Festlegen der Anforderungen müsse der gesamte Lebenszyklus des Produkts berücksichtigt werden. Besonderes Augenmerk gilt hier dem Verschlanken der Verarbeitungsprozesse durch Einsparen von Zwischenschritten. Um die Karosserie nicht separat aushärten zu müssen, wurden zum Beispiel spezielle Legierungen für die Außenhaut entwickelt, die für das Aushärten die Trocknungswärme des KTL-Prozesses nutzen (KTL = Kataphoresische Tauchlackierung). Bei Blechen, die nicht geschweißt, sondern mit kalten Verfahren wie Stanznieten, Falzen oder Kleben gefügt werden, kann das früher erforderliche Waschen und Passivieren entfallen.
Weitere Einsparmöglichkeiten ergeben sich bei bestimmten Blechen dadurch, dass die Oberflächen bereits im Herstellwerk eine Passivierung erhalten. Darauf wird zusätzlich ein Trockenschmierstoff für den Umformprozess aufgebracht, der sich abwaschen lässt, KTL-verträglich ist und außerdem den direkten Auftrag von Klebstoffen erlaubt. Aluminium hat auf diesem Gebiet mittlerweile nahezu Gleichstand mit Stahlblech erreicht. Doch die Entwicklung geht weiter: Die Zulieferer forschen bereits intensiv an Lacksystemen, die schon im Walzwerk aufgebracht werden und alle Stanz-, Umform- und Fügeprozesse unbeschadet überstehen sollen.
„Dank der bereits gesammelten Erfahrungen können wir den neuen A8 mit einem Automationsgrad von 80 % fertigen”, freut sich Frank Venier. Beim Auslegen und Optimieren der Fertigungsprozesse kommt inzwischen in großem Umfang die Computersimulation zum Einsatz. Wie schon beim A2 wuchsen die früheren „Knotenelemente“ zu multifunktionalen Großgussteilen heran, die zusammen mit Profilen und Blechen einen steifen Spaceframe-Rahmen bilden.
Auch die Verbindungstechnik wurde weiterentwickelt. Punktschweißen kommt nicht mehr zum Einsatz, dafür werden beim neuen A8 insgesamt 2600 Stanzniete gesetzt. Neben dem konventionellen MIG-Schweißen und dem Laserschweißen kommt beim A8 erstmals das Laser-MIG-Hybridschweißen zum Zug. Dieser Fügeprozess kann Spalte besser überbrücken als das Laserschweißen, bringt weniger Wärme ein als das MIG-Schweißen und bietet Vorteile vor allem beim Fügen von stark unterschiedlich dicken Teilen. Durch Laser-MIG-Hybridschweißen werden unter anderem Blechteile an das stranggepresste Dachrahmenprofil angebracht. Weitere erstmals eingesetzte Fügetechniken sind das Rollfalzen sowie das induktive Gelieren des Klebers, der im Falzbereich von so genannten Hang-on-Komponenten eingesetzt wird.
Trotz der bisherigen Erfolge bei Audi stehen noch einige Herausforderungen an, bevor mit einem breiten Einsatz von Aluminium in Großserien von Autokarosserien zu rechnen ist. Aus Sicht der Kfz-Hersteller arbeiten die Aluminium-Anbieter bisher zu wenig zusammen im Unterschied zu den Stahlherstellern, die sich als Gesamtbranche sehr weitreichend an die Kfz-Hersteller mit ihren Bedürfnissen angepasst haben – beispielsweise durch das Gemeinschaftsprojekt Ulsab (Ultra Light Steel Auto Body). „Die Stahlbranche hat sich im Lauf ihrer Geschichte sehr gut auf die Bedürfnisse der Großserie eingestellt“, sagt Klaus Koglin. Global produzierende Kfz-Hersteller benötigten weltweite Materialverfügbarkeit. Diesen Reifegrad habe die Aluminiumindustrie noch nicht erreicht. Die Branche müsse noch viel tun, um interne Standardisierung und prozesssichere Herstellung auf den Stand zu bringen, den die Stahlbranche inzwischen erreicht hat.
Weiteres Verbesserungspotenzial sieht Koglin in den Wertschöpfungsanteilen am Halbzeugpreis und – last but not least – beim Preis des Werkstoffs an sich. Die Branche sei gefordert, ihre Kostenstrukturen über die gesamte Prozesskette vom Bauxit bis zum einbaufertigen Halbzeug unter ganzheitlichen Aspekten zu hinterfragen. Als deutlichen Nachteil bezeichnen die Automobilbauer aus Neckarsulm und Ingolstadt außerdem die Preisbindung von Aluminium an die Notierungen der Londoner Metallbörse (LME).
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