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„Wir sitzen hier im Wohnzimmer des Maschinenbaus“

Messtechnik-Branche schätzt die Nähe zum Kunden
„Wir sitzen hier im Wohnzimmer des Maschinenbaus“

Wenn die Messtechnik eine Heimat hat, dann liegt sie in Baden-Württemberg. Für viele Hersteller ist die Nähe zum Anwender extrem wichtig – und die sitzen fast alle rund um Stuttgart.

Von unserem Redaktionsmitglied Uwe Böttgeruwe.boettger@konradin.de

Anfang der sechziger Jahre gründete der Messtechnik-Spezialist Marposs seine erste Niederlassung in Deutschland. Das italienische Management suchte sich damals Frankfurt/M. als zentralen Standort im Land aus. Von hier aus wollte man das Erfolgsprodukt, eine In-Prozess-Steuerung für Schleifmaschinen, unter die Leute bringen. Vertriebsleiter Helmut Maier erinnert sich: „Das Geschäft brummte, in dem Marktsegment hatten wir damals kaum Wettbewerb.“
In Erwartung von Aufträgen aus allen Himmelsrichtungen stellte die Vertriebsmannschaft immer wieder fest, dass mit Abstand die meisten Anfragen aus dem süddeutschen Raum kamen. Marposs richtete daher ein zusätzliches Büro in Stuttgart ein. Es dauerte nicht lange, da war der schwäbische Ableger erfolgreicher als die Zentrale in Frankfurt. Also verlegte man das Marposs´sche Zentrum schließlich in den Großraum Stuttgart. Zuerst nach Esslingen, dann für viele Jahre nach Fellbach. Im letzten Jahr bezog die Marposs GmbH mit 160 Mitarbeitern ein nagelneues Gebäude in Weinstadt-Endersbach. Maier: „Mit Weinstadt haben wir den richtigen Standort gefunden. Die Verkehrsanbindung ist sehr gut, da sind wir schnell beim Kunden.“
Zu den Abnehmern von Marposs gehören die Automobilindustrie und die Hersteller von Werkzeugmaschinen. „Wenn die eine Anfrage haben, dann wollen sie schnell bedient werden“, versichert Maier. Exklusive Lösungen werden im persönlichen Gespräch beim Kunden erarbeitet. Die Servicetechniker sind bei Bedarf innerhalb weniger Stunden vor Ort. Dieser ständige Kontakt ist für Marposs lebenswichtig. Maier: „Wir haben uns im Stuttgarter Raum etabliert und nie mehr daran gedacht, woanders hinzugehen.“
Dr. Wilhelm Wolf, Geschäftsführer der Renishaw GmbH, hat da ähnliche Ansichten: „Sechzig Prozent der Werkzeugmaschinenhersteller befinden sich in Baden-Württemberg. Für uns kam deshalb nie ein anderer Standort in Frage. Das war von Anfang an klar.“ Die Muttergesellschaft befindet sich in England, die deutsche Niederlassung in Pliezhausen bei Reutlingen.
Renishaw liefert schwerpunktmäßig Messtaster und Zubehör für Koordinaten-Messgeräte und CNC-Werkzeugmaschinen. Die Produkte kommen bei der Prozessüberwachung und Qualitätssicherung in der metallverarbeitenden Industrie zum Einsatz. 50 Mitarbeiter in Pliezhausen kümmern sich seit 1986 um Marketing, Verkauf, Service und Reparatur. Vor zehn Jahren baute man ein Gebäude auf der grünen Wiese. In diesem Jahr folgt eine Erweiterung um 1000 m². Hier sollen ein neuer Vorführraum und ein Service-Center Platz finden. Wolf: „Jetzt müssen wir unsere Geräte zum Kalibrieren nicht mehr nach England schicken. Ab Mai erledigen wir das in Pliezhausen.“
Der Bereich industrielle Messtechnik der Carl Zeiss GmbH in Oberkochen beschäftigt 1250 Mitarbeiter und konnte im letzten Geschäftsjahr 290 Mio. Euro umsetzen. Dr. Rainer Ohnheiser, Leiter des Geschäftsbereichs Portal-Koordinaten-Messgeräte, ist mit der Entwicklung zufrieden: „In den letzten Jahren konnten wir unseren Umsatz kontinuierlich steigern. Heute sind wir der führende Anbieter bei Koordinaten-Messmaschinen mit einem weltweiten Marktanteil von 26 Prozent.“
Oberkochen befindet sich etwas abseits auf der Ostalb – im Volksmund scherzhaft Schwäbisch-Sibirien genannt, weil es dort in der kalten Jahreszeit noch kälter wird als im Rest-Ländle. Aber das stört die Zeissianer nicht im geringsten. In den Fertigungshallen für messtechnische Erzeugnisse herrscht zwangsläufig das ganze Jahr über eine angenehme Temperatur, die hinsichtlich Konstanz nicht mehr zu toppen ist.
Für Manager Ohnheiser ist Baden-Württemberg nicht nur aus Sicht von Zeiss, sondern für die gesamte Industrie ein echter Standort-Vorteil: „Wir sitzen hier im Wohnzimmer des Maschinenbaus und der Zulieferindustrie. Das ist das Umfeld, das wir zum Testen unserer Produkte brauchen.“ Denn neue Ideen und Produkte, so Ohnheiser, entstehen nicht nur in den Köpfen der Konstrukteure, sondern vor allem durch enge Zusammenarbeit zwischen Hersteller und Anwender. „Wir sind alle auf Innovationen angewiesen, daran werden wir gemessen“, betont Ohnheiser.
Das Thema Dienstleistung wird Zeiss in Zukunft verstärkt angehen. Viele kleine und mittlere Unternehmen, die kein eigenes Koordinaten-Messgerät betreiben oder sich erst eines anschaffen wollen, lassen ihre Einzelteile bei Zeiss vermessen. Entsprechende Dienstleistungszentren von Zeiss befinden sich in Aalen und Leinfelden-Echterdingen. Auch in diesem Zusammenhang schätzt Ohnheiser den Standort Baden-Württemberg: „Hier wimmelt es von mittelständischen Firmen, die unsere Leistung in Anspruch nehmen wollen und dies wegen der räumlichen Nähe auch tun können.“
Mit dem so genannte Faro-Arm hat Faro Europe auf sich aufmerksam gemacht. Dabei handelt es sich um eine mobile Mess-Station, mit der Messungen direkt an der Fertigungslinie durchgeführt werden können. „Die Messmaschine geht zum Produkt und nicht umgekehrt“ ist das Motto des Unternehmens, das ursprünglich aus der Software-Entwicklung kommt und auch in diesem Bereich heute noch tätig ist. In Europa beschäftigt Faro 110 Mitarbeiter. 50 davon sitzen in der deutschen Zentrale in Stuttgart.
Zu den Hauptkunden zählen die Automobilindustrie und der Maschinenbau. Auch in die Medizintechnik wollen die Stuttgarter jetzt verstärkt einsteigen. Geschäftsführer Wendelin Scharbach fühlt sich in Baden-Württemberg sehr wohl – nicht nur weil er in Karlsruhe studiert hat und sich hier gut auskennt: „Unsere Hauptkunden sitzen um Daimler-Chrysler herum.“
Die Nähe zum schwäbischen Autobauer inklusive der zugehörigen Zulieferindus-trie hält Scharbach für gut, aber nicht für ausschlaggebend: „Mit dieser Technologie ist man regional nicht eingeschränkt. Viel wichtiger ist für uns die Möglichkeit, etwas vom Kunden zu lernen. Wir können uns nicht alles selber beibringen und erarbeiten. Deswegen sind wir hier in der High-Tech-Region gut aufgehoben.“
Für Faro Europe ist Baden-Württemberg ein sehr produktives und kreatives Umfeld, wo man sich zusammen mit dem Kunden weiterentwickeln kann. „Das ist ein Standort-Vorteil und eine Chance, die es zu nutzen gilt“, ist sich Scharbach sicher. „Wir haben gute Kunden, mit denen wir zusammen Software entwickeln können.“
Die Fachmesse Control in Sinsheim nutzte Faro für die Vorstellung eines neuen Produkts. Der so genannte Laser Tracker soll in Zukunft die bestehende Produktpalette um eine hochgenaue, portable Koordinaten-Messmaschine ergänzen. Das Modell eignet sich für das Vermessen von Objekten in der Größe von einem bis zu mehreren 100 m. Der Tracker erzeugt einen Laserstrahl, der vom Anwender mit einem Reflektor über das zu vermessende Objekt geführt wird. Scharbach: „Unser Tracker bietet den größten Arbeitsbereich in der Industrie. Er beträgt 360° horizontal und 130 ° vertikal.“
Der Tracker ist vielseitig einsetzbar und spielt seine Effektivität auch in engen Arbeitsräumen aus. Zusammen mit dem Faro-Arm fühlt sich Manager Scharbach für die Zukunft gerüstet: „Was das Messen in der Fertigung angeht, nehmen wir jede Herausforderung an.“ Im Ländle gibt es davon mehr als genug.
Industrieanzeiger
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