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Wunsch und Wirklichkeit klaffen oft noch auseinander

Supply Chain Management: Wo die schwachen Glieder der Zulieferkette sitzen
Wunsch und Wirklichkeit klaffen oft noch auseinander

Jede Kette ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied. Qualitätsprobleme und Bedarfsschwankungen bringen Wertschöpfungsabläufe immer wieder durcheinander. Jetzt reift in den Unternehmen die Erkenntnis, dass sich Schwachstellen nicht immer vermeiden lassen. Aber wer sie kennt, kann auf Probleme besser reagieren.

Thomas Baumgärtner ist Journalist aus Kusterdingen

Als Bosch jüngst wegen fehlerhafter Dieseleinspritzpumpen Bänder bei Mercedes und anderen Automobilgrößen lahm legte, da schienen die Grundfesten deutscher Produktionsverbünde ins Wanken geraten zu sein. Schnell war in der veröffentlichten Meinung von einem kaum mehr einholbaren Imageschaden die Rede. Mit „Nachteil durch Technik“ überschrieb die Financial Times Deutschland in Anspielung auf einen Audi-Werbeslogan einen bissigen Kommentar zu der Zulieferpanne.
Während viele Kommentatoren die Schlamperei und die Anfälligkeit der Zulieferketten beklagten, schauten die Besonnenen und die Fachleute woanders hin. Supply-Chain-Experten interessierte am Fall Bosch vor allem eines: das Krisenmanagement.
„Fehlerhafte Teile lassen sich nicht vermeiden“, zeigt sich Reinald Wolff gelassen. Die Frage sei nicht, ob das mal passiert, sondern wann und vor allem, „ob die Betroffenen einen Notfallplan in der Tasche haben“, so der Berater von der Managementconsulting Schmid und Wolff in Herrenberg.
Unter Experten ist klar, dass schlanke und schnelle Lieferketten störanfällig sind. Sie bewegen sich bewusst in engen Grenzen. Wenn sich Fehler nicht ganz vermeiden lassen, so müssen sie gut gemanagt werden, so das Credo vieler Supply-Chain-Experten. Und da kommt Bosch unter den kritischen Augen der Beobachter gar nicht mal so schlecht weg.
Natürlich sei ein Bandstillstand eine Katastrophe, pflichtet Wolff vielen lautstarken Kritikern bei. „Aber bei Bosch wurde der Fehler selbst und schnell erkannt, der Kunde sofort informiert“, argumentiert der Consultant. Gleichwohl sei es unerlässlich, den schwachen Gliedern der Zulieferketten ständig hinterher zu sein. Viele davon sind schon lange bekannt.
„Eines der Hauptprobleme im Supply Chain Management ist der Umgang mit Nachfrageschwankungen und das Einplanen von kurzfristigen Aufträgen“, benennt Thomas Mandl von der ICG Infora Consulting Group GmbH in Graz einen Problem-Klassiker. Unregelmäßigkeiten führen meist zu hohen Kosten. Oft sind es kleine Ursachen, die sich über die Zulieferkette zu großen Wirkungen aufschaukeln – der gefürchtete Bullwhip-Effekt.
Um die Nachfrage trotz großer Schwankungen immer befriedigen zu können, werden gerne Lagerbestände aufgebaut oder Fertigungskapazitäten vorgehalten. Als vermeidbare Ursachen für den Bullwhip-Effekt gelten:
  • Änderungen in den Bedarfsvorhersagen
  • Zusammenfassungen von Bedarfen zu scheinbar optimalen Bestellmengen
  • Lieferkürzungen bei unerfüllter Nachfrage und Reaktion der Kunden auf diese Lieferantenpolitik
Doch die Strategien, um Probleme bei SCM-Konzepten zu reduzieren, verfangen nicht so richtig. Seit Jahren geben sich unzählige echte oder auch nur vermeintliche Experten und Berater bei den Unternehmen die Klinke in die Hand. Mit insgesamt eher bescheidenem Erfolg. Noch immer knirscht es in vielen Wertschöpfungsketten, und es entstehen hohe Kosten.
Nach einer noch unveröffentlichten Studie der Frankfurter PRTM Management Consultant muss man sich in den Betrieben zunächst einmal von falschen Vorstellungen und althergebrachten Überzeugungen verabschieden. Als Beispiel nennt die Studie:
  • Hohe Lagerbestände garantieren keineswegs einen hohen Lieferservice: Ein Teilnehmer der PRTM-Studie hat beispielsweise mit 58 Tagen Lagerbestand eine Liefertermintreue von 97 %, hingegen konnte ein Unternehmen mit einem Lagerbestand von 160 Tagen nur eine 68%ige Termintreue erreichen. Fazit: Entscheidend ist es, die richtigen, das heißt, die benötigten Artikel, lagerhaltig zu haben; Planungs- und Bestandsmanagementprozesse bestimmen die Höhe und den Mix der Lagerbestände.
  • Eine hohe Anzahl von Produkten muss nicht hohe Lagerbestände zur Folge haben: Ein Betrieb mit 10 000 Artikeln hatte eine Lagerbestandsreichweite von nur 54 Tagen, wogegen ein anderer mit 2500 Artikeln 335 Tage vorzuweisen hatte. Fazit: Schlanke Supply-Chain-Konfigurationen, kombiniert mit effektiven SC-Prozessen, ermöglichen auch bei hoher Produktzahl eine geringe Lagerbestandsreichweite.
  • Viele Distributionsstandorte sichern nicht automatisch einen herausragenden Lieferservice: Teilnehmende Betriebe konnten mit 5 Distributionszentren eine Liefertermintreue von 95 % erzielen, wogegen ein anderer Betrieb mit 95 Distributionszentren nur eine Leistung von 65 % Liefertermintreue aufzeigen konnte.
  • Fazit: Die Gestaltung des Distributionsnetzwerks und die Anzahl der Distributionszentren werden durch den benötigten Lieferservice und den angebotenen Transportservice definiert. Die Nähe zu den Kunden allein reicht nicht aus, um hervorragenden Lieferservice zu sichern. Stabile Prozesse garantieren in einem optimierten Distributionsnetzwerk die Liefertermintreue.
Die PRTM-Berater zeigen sich nach der Studie überrascht, dass zwischen Theorie und Praxis oft eine erhebliche Lücke klafft: „Viele Firmen erkennen die Wirksamkeit bestimmter Maßnahmen. Überraschenderweise nutzen sie diese jedoch nicht vollständig“, konstatiert Harald Greimer, Direktor bei PRTM.
Wie schwer es ist, im Alltag Theorie und Praxis zusammen zu bringen, weiß auch Dr. Michael Dostal. Der Leiter des Lkw-Werkes von Mercedes-Benz in Wörth arbeitet leise, aber beharrlich an einer Prozessoptimierung. Schwierig am Geschäft von Dostal ist das Built-to-Order-Prinzip. Praktisch jeder Lkw wird nach Kundenwunsch gebaut. Bei einem Jahresausstoß von 80 000 Fahrzeugen laufen, einschließlich aller Farbvarianten, maximal 1,7 identische Fahrzeuge pro Jahr vom Band.
Jetzt will der 53-jährige Manager die Lieferantenprozesse mit den internen Prozessen besser synchronisieren. Das Ziel: Trotz Nachfragehoch soll die Lieferzeit deutlich verringert werden. Derzeit liegt sie bei über 80 Tagen. Ein „untragbarer Zustand“, kritisiert Dostal.
Bis vor wenigen Jahren war die Prozesskette in Wörth übersichtlich und klassisch-beschaulich: Der Lieferant produzierte die Teile auf Lager und entnahm sie bei Bedarf, um sie nach Wörth in ein dortiges Zwischenlager zu schaffen. „Jetzt sind wir im Begriff, auf die ganzen Lagertechniken zu verzichten“, beschreibt Dostal. Der Lieferant soll künftig sequenzgenau produzieren und anliefern. Ein umfangreiches Unterfangen bei rund 1300 Lieferanten.
Dostal weiß, dass solche Abläufe in der Theorie schon vielfach durchgespielt worden und auch bei der Pkw-Produktion vielerorts Praxis sind. Aber im Nutzfahrzeugbereich gibt es keine eigene Rohbaulinie pro Fahrzeugtyp. Um rechtzeitig ein Signal an den Lieferanten zu geben, müssen die Fahrzeuge im Werk in einer definierten Reihenfolge auf dem Montageband ankommen. Schon wenn eine Karosserie wegen einer Sonderfarbe die Lackierung zweimal durchlaufen muss, wandeln sich einfache Reihenfolgen in komplizierte Abläufe.
Natürlich hilft IT solche Prozesse zu steuern. Und die SCM-Software-Anbieter werden nicht müde, Heilsversprechen abzugeben. Doch immer wieder gehen die Hilfen an den tatsächlichen Problemen und am Bedarf vorbei. So stellten vor mehr als einem Jahr renommierte Partner wie Fraunhofer, die SCM-erfahrene Manugistics GmbH, das betriebswissenschaftliche Institut der TH Zürich und auch Zulieferer und OEMs eine ausgetüftelte Software-Lösung vor. Li-Net war mit wenig Fördermitteln entstanden. Einziger Schönheitsfehler: Bis heute gibt es keinen einzigen Anwender.
Bullwhip-Effekt: Kleine Ursachen schaukeln sich zu großen Wirkungen auf
Modulare SCM-Software für alle Lebenslagen findet keine Anwender

„Wir brauchen ein firmenübergreifendes Prozesscontrolling“

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NACHGEFRAGT

Die Schwachstellen in Wertschöpfungsketten sind vielfältig. Doch für Thomas Mandl gibt es wenige, aber wichtige Voraussetzungen und Hilfsmittel, um in der Zusammenarbeit besser zu werden.
Was ist die wohl wichtigste Voraussetzung, damit eine Supply Chain funktioniert?
Vertrauen. Mangelndes Vertrauen ist oft der Hauptgrund, warum der Implementierungsstand von SCM-Konzepten in der Praxis gegenüber den in der Theorie entwickelten und von Beratern propagierten Vorgehensweisen noch deutlich zurückbleibt.
Aber über Vertrauen lassen sich keine Lieferantenbeziehungen optimieren.
Nein, aber die IT eröffnet neue Wege und Potenziale in der Abwicklung von Geschäftsprozessen. Es besteht die Möglichkeit, dass Supply-Chain-Partner durch die Bereitstellung von Informationen, die zuvor nur einem der Unternehmen zugänglich waren, finanziell gewinnen können.
Wie kann das praktisch aussehen?
Etwa kann der Händler seine Bestands- und Abverkaufsdaten aufzeichnen und selektiv mit einer ausgewählten Gruppe von Lieferanten austauschen. Um diese Potenziale umzusetzen, müssten auch Änderungen in den Geschäftsprozessen durchgeführt werden. Zum Beispiel würde der Einkauf nur mehr für das Verhandeln von Rahmenverträgen zuständig sein.
An welchen Stellschrauben kann noch gedreht werden?
Wesentlich für Verbesserungen im Supply Chain Management ist ein unternehmensübergreifendes Prozesscontrolling. Ein gutes Supply Chain Controlling basiert auf qualitativ hochwertigen Daten, die im Unternehmen erhoben und zu Kennzahlen verdichtet werden. Ein effizientes Controlling umfasst Kennzahlen zu den Dimensionen Qualität, Kosten und Zeit.
Kennzahlen werden in den einzelnen Unternehmen aber sehr unterschiedlich erhoben.
Genau hier liegt das Problem. Häufig definieren Manager für ihren Bereich Kennzahlen, die von anderen Bereichen im Unternehmen nicht eindeutig verstanden werden. So kann etwa der Servicelevel als Erfüllungsgrad der Nachfrage, der Auftragspositionen oder der Bestellungen definiert werden.
Und wie sollen Kennzahlen vereinheitlicht werden?
Individuell definierte Kennzahlen haben den Vorteil, dass jeder genau das misst, was ihm relevant erscheint. Die Nachteile sind: Werke und Geschäftsbereiche lassen sich kaum vergleichen, zudem können diese Kennzahlen nur schwer aggregiert werden. Effizientes Controlling schafft den Spagat: Es geht auf die individuellen Anforderungen der Kennzahlennutzer bei größtmöglicher Standardisierung ein. tb

Vorteile für Entwicklerteams
Mit Supply On APQP (Advanced Product Quality Planning) sollen sich nach Angaben des Anbieters der Beschaffungs-Plattform Entwicklungsprojekte mit Lieferanten strukturiert planen und transparent abwickeln lassen. Die Vorteile:
  • Jedes Projektmitglied hat über das Supply-On-Modul jederzeit Zugriff auf alle aktuellen Projektdaten.
  • Mögliche Projektverzögerungen lassen sich bereits im Ansatz erkennen und somit meist vermeiden, heißt es in einer Mitteilung..
Siemens VDO Automotive setzt als erstes Unternehmen Supply On APQP im kollaborativen Projektmanagement ein. Martin Illing, Projektleiter APQP bei Siemens VDO, über die Vorteile: „Das Modul ermöglicht es uns, die Projektplanung optimal zu gestalten und die Kommunikation zwischen dem Entwicklungspartner und uns zu standardisieren. Durch automatisierte Terminüberwachung und Eskalationsstufen auf beiden Seiten sinkt der administrative Aufwand. Das Team kann sich auf fachliche Themen konzentrieren. Dies erhöht die Qualität unserer Entwicklungsprozesse und verschafft uns und unseren Partnern Wettbewerbsvorteile.“
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