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Zeit für das Umrüsten wird drastisch reduziert

Place&Play-Roboter: Wirtschaftlich in der Werkstattfertigung
Zeit für das Umrüsten wird drastisch reduziert

Forscher des Aachener Werkzeugmaschinenlabors (WZL) machen den Roboter für die Werkstattfertigung fit. Ihr Place&Play-Roboter kann in kleinen und mittleren Betrieben die Zeit für das Umrüsten drastisch reduzieren. Jetzt soll das Systemkonzept in einem Anschlussprojekt noch nutzerfreundlicher werden.

Von unserem Redaktionsmitglied Dietmar Kieser – d.kieser@konradin.de

Zehn Minuten von Griff zu Griff – und zwischendurch einen Sechsachs-Knickarm-Roboter von seinem Einsatzort abkoppeln, auf einen Hubwagen stellen, zur nächsten Bearbeitungsmaschine fahren, ihn dort mechanisch justieren und fixieren, elektrisch anschließen und das dort erforderliche Bearbeitungsprogramm starten. Dies gelingt per Place&Play, wie die Wissenschaftler des WZL der RWTH Aachen ihre mobile Robotervariante tauften. Der Begriff lehnt sich an das von der PC-Branche geprägte Plug&Play an, was soviel heißt wie Einstecken und Loslegen.
Auch der Place&Play-Roboter (PPR) „erkennt weitgehend automatisch seine neue Umgebung und ist in kürzester Zeit einsatzbereit“, erläutert Dipl.-Ing Carlos Almeida, der innerhalb der Automatisierungsgruppe am Werkzeugmaschinenlabor das Projekt verantwortet. Kaum Programmieraufwand sei nötig, schildert der Maschinenbauer den Vorzug des Konzepts. Selbst Roboterlaien könnten das Gerät mit wenigen Handgriffen mit der CNC-Maschine verbinden, um diese mit Material zu beschicken.
Profitieren sollen besonders kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) mit Kleinserien- und Einzelfertigung. Der Einsatz eines Industrieroboters kam für sie bislang kaum in Frage. „Als ortsgebundene Station kann ein Roboter in der Produktion geringer Mengen nicht ausgelastet werden und ist deshalb in kleineren Betrieben nicht wirtschaftlich einzusetzen“, begründet Prof. Dr.-Ing. Manfred Weck.
Kleinere Firmen müssen ihre Produktion immer öfter an sich schneller ändernde Kundenwünsche anpassen: Die Vielfalt der Varianten nimmt zu, die Auftragseingänge schwanken, weshalb Maschinen häufig nicht ausgelastet sind. Diese Situation brachten den WZL-Professor und sein Team um Gruppenleiter Jan Gottschald auf die zündende Idee. Bereits 1998 begannen sie mit der Planung eines AiF-geförderten Forschungsprojektes, um einen portablen Roboter zu entwickeln, der sehr schnell auf andere Umgebungen und Aufgaben umrüstbar sein sollte.
In dem westfälischen Möbelhersteller D&K aus Kirchlengern bei Bielefeld fand sich rasch ein Pilotanwender. Im industriellen Einsatz hat sich dann gezeigt, dass der Mobilroboter die Anforderungen eines Mittelständlers erfüllt. „Dem Anwender bietet sich damit die Gelegenheit, den Roboter beispielsweise vier Stunden an der einen Stelle arbeiten zu lassen und nach dem Wechsel genau so lange woanders, wodurch er zu 100 Prozent ausgelastet wird“, hebt Prof. Weck auf die Wirtschaftlichkeit ab.
Zeichnet sich schon bald eine Effizienzrevolution bei kleinen Fertigern ab? Die heutige PPR-Generation kommt dem Ideal schon sehr nahe. Dennoch ist das Funktionsmuster nur ein Vorgeschmack auf das, was industrielle Anwender in den nächsten Jahren erwarten können. Im kommenden Februar läuten die WZL-Ingenieure die zweite Runde ein: Das vom BMBF geförderte Anschlussprojekt Porthos soll den Place&Play-Gedanken in marktgängigen portablen Robotern flexibler, sicherer und noch nutzerfreundlicher umsetzen und den Sprung in die kommerzielle Anwendung vorbereiten. Am Nachfolgemodell arbeiten mit dem Göppinger Haushaltswarenhersteller WMF AG und dem Berliner Motorradwerk der BMW AG zwei Branchenschwergewichte als Endanwender mit.
Damit verlassen die Forscher keineswegs die Ausrichtung auf kleinere Unternehmen. „Auch in manchen Großbetrieben ergeben sich Situationen, die mit denen von Kleinfertigern vergleichbar sind“, sieht Oberingenieur Peter Krüger ein weiteres Einsatzpotenzial für die PPR-Roboter. Der Gedanke dazu kam Professor Weck während einer Exkursion mit seinen Studenten zum Berliner Motorradbauer. Die PS-Boliden werden dort in kleineren Stückzahlen produziert. Da zudem die Varianten ständig wechseln, müssen die Maschinen häufig umgerüstet werden. Dem Wissenschaftler fiel auf, dass „sich viele Arbeitsplätze mit einem Place&Play-Roboter bestücken lassen“. Sein Tipp sei sofort aufgegriffen worden, freut sich Weck, der BMW für die Mitarbeit im neuen Forschungsprojekt gewinnen konnte.
Die Berliner und die Göppinger werden mithelfen, dass künftig vieles noch einfacher geht. Dabei wird am Grundkonzept nicht gerüttelt. Marktgängige Roboter und Steuerungstechnik kombinieren die WZL-Forscher mit einer speziellen Programmierumgebung und einer Bodenbaugruppe, die vor der CNC-Maschine am Hallenboden verschraubt wird. Die Adapter- platte nimmt den Roboter über eine Verriegelungsmechanik auf und verankert ihn fest. Für Carlos Almeida liegt jedoch „der eigentliche Mehrwert der Gesamtlösung in der grafischen Programmieroberfläche, die es dem Bediener ermöglicht, aufgabenorientiert zu arbeiten“. Da es den KMU meist an Roboterspezialisten fehlt, musste eine Programmiermethodik entwickelt werden, die ihren Anforderungen gerecht wird. Ein Ergebnis war das zweistufige Bedienkonzept, das eine einmalige Installation jeder Arbeitsstation durch einen Roboterfachmann vorsieht. In der folgenden Benutzungsphase, also bei einer erneuten Inbetriebnahme des Roboters nach einem Standortwechsel, kann ein eingewiesener Mitarbeiter anhand vordefinierter Operationen Handhabungsaufgaben beschreiben und so den Roboter programmieren.
Place&Play-Gedanke fasziniert auch die Roboterhersteller
Was sich simpel anhört, ist das Ergebnis eines aufwendigen Anpassungsprozesses, der unterschiedlichste High-Tech-Komponenten aufeinander abstimmt: Hard- und Software werden ergänzt durch ein zaunloses, sensorbasiertes Sicherheitssystem, durch mechanische wie auch Energie- und Informationsschnittstellen, sensorgestützte Einricht- und Programmierhilfen sowie eine nachgiebige Greifertechnik. Jetzt geht es darum, den Roboter noch beweglicher, flexibler und bedienungsfreundlicher zu machen – und das möglichst unabhängig vom Hersteller. Im Vorläuferprojekt kam ein System der SEF Roboter GmbH aus Scharnebeck zum Zuge, dann wurde ein modularer Roboter von Amtec, Berlin, und später ein Kuka-Roboter mit der Place&Play-Funktionalität ausgerüstet. Diesmal sind ABB, vertreten durch das Forschungszentrum in Ladenburg, und das Systemhaus Aurob AG, Großlehna, mit von der Partie. Auch die Situation bei der Steuerung und den Antrieben soll sich ändern – noch sind sie in einem Schaltschrank untergebracht. Ein Entwicklungsziel sieht deshalb vor, die gesamte Steuerung in den Roboterfuß zu integrieren.
Auch in puncto Sicherheit haben die WZL-Forscher und der Industriepartner Sick aus Waldkirch die Messlatte hoch gesetzt. Weil gekapselte Sicherheitszäune ein Mobilsystem behindern würden, überwachen Laserscanner und Ultraschallsensoren, die in den Roboter integriert sind, den Boden- und Greifraum. Dieser mehrdimensionale Schutzraum sichert rund um das Handhabungssystem einen unfall- und kollisionsfreien Betrieb. Um den amtlichen Stempel zu erhalten, bereiten die Ingenieure die Sicherheitszelle für die Abnahme durch die Süddeutsche Berufsgenossenschaft vor.
In drei Jahren wird das Porthos-Projekt abgeschlossen sein. Die Zielsetzung deutet darauf hin, dass der Aachener Mobilroboter kaum von der Pole-Position verdrängt wird. Schließlich hat er als Rationalisierungsinstrument durchaus das Zeug, um kleine und mittlere Fertiger in eine günstige Wettbewerbsposition zu bringen. Zudem „fasziniert der Place&Play-Gedanke auch die Roboterhersteller“, bestätigt Professor Weck das Interesse, „weil sie dort größere Anwendungsfelder sehen“.
Forschungsprojekt Porthos: Neue Ansätze in der Robotertechnik
– Flexibilität von Robotern steigern
– Wirtschaftlicher Einsatz bei geringen Losgrößen
– Schnelles Anpassen an verschiedene Umgebungen und Aufgaben
– Verringern des Umrüstaufwands
– Schaffen eines Marktvorsprunges in der Robotertechnik
Verbesserungspotenzial gegenüber dem Vorgänger-Projekt:
– Integration der Steuerung in den Roboter
– Minimieren der Einricht- und Programmieraufwände
– Sensorunterstützte, flexible Werkstückhandhabung
– Abnahme der sensorbasierten Sicherheitstechnik. Unterstützung des Mitarbeiters beim Beheben von Fehlersituationen in der Betriebsphase
– Optimieren von kollisionsfreien Bahnverläufen
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