Generative KI bereichert bereits den Alltag vieler Menschen. Industrieunternehmen stehen bei der Implementierung dieser Technologie jedoch vor einer Herausforderung: Für das Training der KI benötigen sie nicht nur Bilder einwandfreier Produkte (OK-Daten) – sondern auch hunderte Bilder von Mängelexemplaren (NOK-Daten). Was eigentlich von Vorteil ist, wird in diesem Fall zur Hürde. Denn grundsätzlich soll die Produktion möglichst wenig mangelhafte Stücke hervorbringen. Ansätze wie das Training allein mit OK-Daten und die synthetische Generierung von Trainingsdaten auf Basis von CAD-Daten können die Herausforderung lösen.
Mit CAD-Daten künstliche Trainingsbilder generieren
Stehen Anwender zu Beginn eines Fertigungsprozesses, existieren noch keine realen Fotos – weder OK- noch NOK-Daten. Das Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung IGD forscht an Verfahren, mit virtuellen Kameras aus diversen Perspektiven und Orientierungen Bilder der dreidimensionalen Modelle auf Basis von CAD-Daten zu generieren. Anschließend versehen sie das Bauteil virtuell mit unterschiedlichen Materialien und dann einer Vielzahl an Hintergründen. „So lassen sich innerhalb kürzester Zeit zahlreiche Bilder erzeugen und Trainingsdatenbanken aufbauen, ohne je reale Fotos hinzufügen zu müssen§, erklärt Holger Graf, Abteilungsleiter Virtual und Augmented Reality am Fraunhofer IGD.
Das Prüfsystem hat im Betrieb den realen Aufbau und die Produktkonfiguration noch nie zuvor gesehen – und kann dennoch das Objekt erkennen, klassifizieren und dessen Lage schätzen. Zudem verkürzt der Ansatz die Umrüstzeit des Prüfsystems auf beliebige Varianten. Das Fraunhofer IGD entwickelte die Technologie insbesondere für die Zusammenbau- oder Bauzustandskontrolle im Automobil- und Nutzfahrzeug-Bau sowie bei der Betriebsmittelfertigung. Ein weiteres Beispiel zeigt die Anwendung der Lösung in der Fertigung von Airbagzündern: Hier kommt der automatisierten, optischen Qualitätskontrolle eine besondere Bedeutung zu: Das Endprodukt hat eine hohe Sicherheitsrelevanz und kann zudem nicht abschließend getestet werden – die Airbags sind nach einmaligem Auslösen nicht mehr zu verwenden.
Optimal klassifizieren allein mit OK-Daten
In anderen Anwendungsfällen kann die Qualitätsprüfung nicht anhand der CAD-Daten erfolgen. Das liegt daran, dass diese entweder nicht vorliegen oder dass nicht das Produkt in seinem Ursprungszustand, sondern sein Erscheinungsbild nach einer Belastungsprobe beurteilt werden soll. In der Konsequenz müssen die Unternehmen ihre KI-Systeme mit Realdaten trainieren. Um auf die Vielzahl an NOK-Daten verzichten zu können, entwickelte Ulrich Krispel mit seinem Team von Fraunhofer Austria eine Lösung, die allein aus OK-Daten lernt. Diese wurden im Sinne des Produktionsbetriebes als „in Ordnung“ qualifiziert, müssen also nicht nachbearbeitet oder aussortiert werden. Das Verfahren lernt also eine Variation der Normalität und erkennt schließlich auch Abweichungen davon. So kann die KI auch zuvor nicht gesehene Fehler finden. Denn wird die KI klassisch mit NOK-Daten trainiert, ist das ein bekanntes Problem: Sie kann nicht angemessen reagieren, wenn sie mit einem Bild konfrontiert wird, das außerhalb der bekannten Fehlerklassen liegt. Der Grund dafür ist, dass die KI lediglich darauf trainiert wurde, bekannte Fehler zu erkennen und zu klassifizieren.
Vortrainierte neuronale Netze als Basis
Die Fraunhofer-Lösung basiert auf Transfer Learning, also auf vortrainierten neuronalen Netzen, die für die Forschung entwickelt und publiziert wurden. Diese haben bereits gelernt, auf welche Bereiche im Bild sie zur Klassifikation achten müssen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler passen das Modell mit statistischen Methoden auf den Anwendungsfall an. „Vortrainierte neuronale Netze machen es möglich, den Trainingsaufwand so gering wie möglich zu halten“, erklärt Krispel. Die Forschenden identifizieren außerdem für jeden Anwendungsfall das passende Modell. Es soll optimale Ergebnisse hervorbringen, gleichzeitig aber auch schnelle Entscheidungen treffen können.
Denn neben einer möglichst kurzen Trainingszeit kommt es auch auf eine prozessfähige Klassifikationszeit an. Schließlich soll das Prüfsystem die Produktionsabläufe nicht stören, sondern eine kontinuierliche und unterbrechungsfreie Überwachung der Produktqualität in Echtzeit ermöglichen. So können Fehler frühzeitig erkannt und behoben werden.
Zur Evaluierung des Modells genügen einige wenige NOK-Bilder. Die KI markiert Abweichungen von der Normalität farblich – blau für geringe Abweichungen, rot für fehlerhafte Bereiche im Bild.
Manuelle Qualitätssicherung unterstützen
Ob Training ausschließlich mit OK-Daten oder Trainingsdatensynthese – KI-basierte Qualitätskontrolle zahlt auf das übergeordnete Ziel einer wirtschaftlichen Produktion ein. „Unsere Erfahrung zeigt: Die Unternehmen sind neugierig und möchten die Vorteile Künstlicher Intelligenz für sich nutzen. Wir helfen KMUs sowie Konzernen dabei, eine individuell auf sie zugeschnittene Lösung zu finden. Denn jedes Produkt hat seine eigenen Besonderheiten, jede Produktionsumgebung unterschiedliche Anforderungen“, betont Holger Graf. Auch hinsichtlich Bilderfassungssystemen und der technischen Ausstattung unterstützt das Fraunhofer IGD interessierte Unternehmen.
Mit den beiden vorgestellten Ansätzen lässt sich der Aufwand für Anwender enorm senken, ohne bei der Zuverlässigkeit in der Entscheidung zwischen OK und NOK Einbußen verzeichnen zu müssen. Mit der Automatisierung von Qualitätsprüfungen durch KI reduzieren Unternehmen schließlich den Bedarf an manueller Inspektion und minimieren menschliche Fehler, was wiederum Ausschuss und Nacharbeitskosten verringert. Als Ergänzung kann KI somit auch den Fachkräftemangel in der Qualitätssicherung mildern.
Kontakt:
Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung IGD
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