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Branche auf des Messers Schneide

Werkzeugschleifer müssen auch produzieren, oder sie verkümmern
Branche auf des Messers Schneide

Kaum irgendwo lassen sich Fertigungskosten so direkt beeinflussen wie an der Werkzeugschneide. Dennoch dürfte das Nachschleifen allein kaum die Zukunft der 1200 deutschen Schärfereien sichern. Was der Markt verlangt, ist der Mix aus Service und Sonderproduktion. Lachende Dritte sind die Anbieter von Werkzeugschleifmaschinen und -Software.

„Der Service allein bringt immer weniger“, sagt Dr.-Ing. Wilfried Saxler. Seien es derzeit gerade einmal zwei von zehn Schleifereien, die neben dem Schärfen auch die Fertigung von Neuwerkzeugen anböten, werde dieser Anteil mittelfristig auf 30 % und höher steigen, schätzt der Geschäftsführer des Fachverbands Deutscher Präzisionswerkzeugschleifer e.V. (FDPW) die Reaktion ein. „Arbeiten heute meist mittlere bis größere Betriebe als verlängerte Werkbank der Hersteller, werden es bald kleinere und auch Unternehmen des Zuschnitts Vater und Sohn sein.“ Dieser Trend sei verbindlich.

2007 hatten die 1200 deutschen Werkzeugschleifbetriebe an die 1 Mrd. Euro umgesetzt. Dies liegt über den Zahlen des Vorjahres. Der Anteil der Standardtools am Geschäft indes ist kräftig gesunken. Sie nachzuschärfen, wird gegenüber dem Neukauf immer weniger interessant. So hatte der Break-even für HSS-Spiralbohrer vor wenigen Jahren noch bei 3 mm Durchmesser gelegen. Waren sie stumpf geworden, wurden sie durch neue ersetzt. Werkzeuge unterhalb dieser Größe nachzuschleifen, rechnete sich nicht. Heute dagegen werden bereits 4-mm-Bohrer, deren Schneide zuvor laufend nachgeschliffen wurde, nach Einmalgebrauch in die Tonne gehauen.
Bei Großserienfertigern wie der Automobilbranche sei die Wirtschaftlichkeitsgrenze sogar noch weiter nach oben verrutscht, berichtet Saxler. Dort liege sie zwischen 6 und 7 mm Durchmesser. Ähnlich – wenn auch weniger dramatisch – verläuft die Entwicklung bei anderen Standardtools mit vergleichsweise einfacher Geometrie wie Schaftfräsern und Senkern. Früher bis zu 20 Mal und mehr nachgeschliffen, landen die kleineren Formate jetzt schon nach deutlich weniger Reanimationsversuchen in der Schrottkiste. Mehr und mehr bricht den Schleifern damit auch dieses Segment weg.
Sonderwerkzeuge hingegen sind voll im Trend. Der gefühlte Anteil in der Metallbearbeitung wächst überaus kräftig, ist aber kaum zu belegen. Es gibt jedoch Beispiele mit Aussagewert. Hersteller wie die Kennametal-Tochter Rübig etwa verweisen darauf, dass mittlerweile 70 % ihres über 4000 Bohr-, Senk-, Reib- und Fräswerkzeugtypen umfassenden Programms kundenspezifisch angefertigt werden. Geschäftlich gescheit, bietet das Unternehmen auch gleich die Wiederaufbereitung der Tools im eigenen Haus an. Als Ex- und Hopp-Ware sind solche Tools zu teuer. Andererseits werden sie ihrer geometrischen Komplexität wegen kaum öfter als zwei bis drei Mal nachgeschärft. Dann ist die Untergrenze der Toleranz erreicht. Vor allem für die technisch besser ausgerüsteten Schleifbetriebe tut sich insoweit ein neues Geschäftsfeld auf. Als Grundformel gälte: Das eine tun, ohne das andere zu lassen. Nachdrücklich empfiehlt der FDPW seinen 280 Mitgliedern, sich über die bloße Dienstleistung – das Nachschleifen von Werkzeugen – hinaus auch auf deren Engineering und Produktion nach Kundenwunsch einzurichten. „Tun wir es nicht, droht der Verlust geschäftlicher Eigenständigkeit und das Verkümmern als Sublieferant“, warnt Verbands-Chef Saxler.
Und nun die frohe Botschaft: Die Software- und Maschinentechnik dafür ist mittlerweile so weit entwickelt, dass paralleles Werkzeugschleifen und -fertigen kaum noch investives Risiko birgt. Im größeren Rahmen wären dies Bearbeitungszentren, wie sie die Markt beherrschenden Hersteller Anca, Ewag, Walter Maschinenbau oder Schütte anbieten. Im kleineren Kontext – und mehr als Ergänzung dieser Maschinen – sind es CNC-Schleifautomaten wie die von Darex. Dank ausgetüftelter Hard- und Software auf der Höhe der Zeit machen sie beides möglich: die klassische Dienstleistung Werkzeugschärfen wie auch die Produktion von Sondertools.
Ohnehin ist die Abarbeitungsgeschwindigkeit in den vergangenen zehn Jahren durch Direktantrieb der Rotations- und Linearachsen gewachsen. Moderne Maschinen sind steif, im Bereich weniger µm genau und äußerst vibrationsarm. Letzteres danken die Schleifscheiben durch höhere Standzeiten. Und auch an der Oberflächenqualität der bearbeiteten Tools ist wenig zu mäkeln: Die durchschnittliche Rautiefe ging von Rz 1,6 µm auf Rz 1,2 µm zurück. Das entspricht einer Verbesserung um 25 %. Auch die Leistung der meisten Maschinen ist grundsätzlich aufs Produzieren wie auch aufs Nachschleifen ausgelegt.
Für die Serienfertigung werden aber noch weiter reichende Eigenschaften verlangt. „Was die Betriebe brauchen, sind ebenso produktive wie flexible und automatisierbare Anlagen, sagt Dr.-Ing. Paul-Helmut Nebeling, bei der Walter Maschinenbau GmbH in Tübingen für Entwicklung und Konstruktion zuständig. Und prozesssicher müssten die Anlagen sein. Serienfertigung bedeute, dass mannarm und eben nicht auf Zuruf produziert werde. Die anschließende Qualitätssicherung über Messmaschinen sollte direkt verknüpft sein mit dem Datenfluss in der Fertigung, also PPS- und CAD-System bis hin zur NC-Programmierung. Entsprechende Lösungen hält der Markt seit Jahren bereit.
Insoweit meint Werkzeugfertigung weit weniger für die Lieferanten der Schleiftechnik eine Herausforderung, als vielmehr für die überwiegend handwerklich strukturierten Betriebe (siehe Kasten „Deutschlands Werkzeugschleifer“). Es geht auch um neue Abläufe, die in der Software der Maschinen oft aber schon abgebildet sind. Walter-Entwickler Nebeling: „Beim Nachschleifen gibt es die Vorgabe, dass die Werkzeuge beim ersten Schuss qualitativ erzeugt werden können. Dazu sind sowohl einfache Eingabesysteme in der verwendeten Software als auch sichere Identifikationsmöglichkeiten für die bestehenden Werkzeuge in der Maschine erforderlich.“ Beide Anforderungsarten würden in der Anwendersoftware der Walter-Maschinen optimal kombiniert. So kann bereits während der Bearbeitung eines Werkzeuges das folgende programmiert und in die Maschine gegeben werden.
Dr.-Ing. Thomas Boltshäuser, Geschäftsführer der Ewag AG im schweizerischen Etziken, unterstreicht die Rolle der Simulation für das neue Profil der Werkzeugschleifer-Branche: „Bei komplexen Bearbeitungsaufgaben kann das programmierte Werkstück mit Hilfe genauer 2- oder 3-D Simulation bereits vor dem Schleifen untersucht und optimiert werden. Kollisionsbetrachtungen am Bildschirm weisen auf Konflikte hin, bevor es ans Produzieren der eigentlichen Werkstücke – in diesem Fall der Präzisionstools – geht.“
Exakt das, was die Werkzeug produzierenden Schleifbetriebe von den großen Hersteller abheben könnte, wird damit möglich: Neue, kundenindividuelle Geometrien sind schnell erstellt und lassen sich mit reduziertem Aufwand herstellen. „Dies wird zu innovativen Schneidgeometrien führen, durch die sich Unternehmen im Markt profilieren können, so weit es die Kinematik der Werkzeugschleifmaschine und der Prozess zulassen“, schwärmt Boltshäuser.
Des Weiteren denkt Dr.-Ing. Oliver Gerent, dass kompetent entwickelte Werkzeugschleif-Software das Leistungsspektrum von solchen Maschinen erweitern könnte, die von Haus aus weniger vielseitig angelegt sind. „Soweit es die Kinematik zulässt, kann die Achsauflösung und die Genauigkeit bei der interpolierenden Bearbeitung zu einer Verbesserung universell konzipierter Maschinen führen“, sagt der Geschäftsführer der Kölner Schleiftechnik Schütte GmbH. Die Grenzen setze das Gesamtsystem. „Man darf nicht vernachlässigen, dass immer die Komponenten die Einsatzbreite bestimmen – also ein passend ausgewähltes Kühlmittel und wie es zugeführt wird, integrierte Messsysteme, Schleifscheibenauswahl und -wechsel sowie Lade- und Einrichtsysteme. Expertise, die der High-Tech-Handwerker beim Schleifen von Einzelwerkzeugen erworben hat, gilt es mithin in die Serienproduktion, in ihre Planung und auch Steuerung zu übertragen. Die Spezialisierung und der Beratungsaufwand werden damit nicht nur beim Kunden zunehmen, sondern auch im eigenen Haus.
Reibungspunkte mit den etablierten Serienherstellern von Zerspanungstools sieht Wilfried Saxler nicht. „Unsere Branche ist dort stark, wo es um Sonderwerkzeuge in kleiner Serie oder gar in Losgröße 1 geht“, betont der FDPW-Mann. Also überall dort, wo Schnelligkeit und die Lösung sehr individueller Kundenprobleme gefragt sind. Bislang sehe er dies nicht als Geschäftsfeld von Sandvik, Kennametal, Iscar und Co. „Die großen Hersteller wollen und können diesen Markt überhaupt nicht bedienen.“ Die überschaubare Werkzeugschleiferbranche hingegen wolle und könne dies sehr wohl. Sie müsse es sogar, unterstreicht Saxler. „Wir gehen davon aus, dass Firmen, die sich dem Trend zum Neuwerkzeug verschließen, irgendwann nicht mehr existieren können“, sagt er. Eine Lage auf des Messers Schneide eben …
Wolfgang Filì Journalist in Köln
Software unterstützt Expertise, ersetzt sie aber nicht

Marktchancen
Die Werkzeugschleif-Branche ist ein schlafender Riese. Wenn die Betriebe sich über das Wiederherstellen abgenutzter Tools hinaus auch um Neuanfertigung kümmern, dürfte dies solche Metallverarbeiter freuen, die mit dem Sortiment der großen Hersteller nicht immer glücklich sind: Wer Hightech-Werkzeuge repariert, kann auch neue, nicht grundsätzlich leistungsfähigere, auf jeden Fall aber kundenindividuellere Schneidgeometrien verschaffen als ein Standardkatalog.

Deutschlands Werkzeugschleifer…
… setzten 2007 rund 1 Mrd. Euro um. Mit 66 % Anteil größter Auftraggeber ist die Metallindustrie, gefolgt von den Holz, Kunststoff sowie Papier verarbeitenden Gewerken. Ein Fünftel der 1200 Betriebe produziert neben dem Schleifen auch Sondertools, der Rest schärft ausschließlich nach. Die Branche ist kleinformatig. Nur 13 % der Unternehmen haben über 16 Mitarbeiter. 20 % beschäftigen zwischen 6 und 15 sowie 67 % bis zu 5 Menschen. Der Verband FDPW hat 280 Mitglieder und ist fachlicher Träger der Messe Grindtec in Augsburg.

„Die Zeiten für Inhouse-Programmierer sind vorbei.“

Nachgefragt

Was kann Software aus Universalmaschinen zusätzlich herausholen?
Ich würde anders herum fragen: Könnte man Software für Werkzeugschleifmaschinen nicht weniger komplex, dafür aber umso zielgerichteter entwickeln, wäre nicht die umfassende Universalität gefordert? Der Aufwand für Tests ist mittlerweile oft größer als der für die eigentliche Entwicklung.
Welchen Typ Werkzeugschleif-Software braucht es, um die Zukunft vorhandener Maschinen zu sichern?
Die Komplexität der Werkzeuge steigt, und damit auch die der Programme. Letztere werden daher am besten in einer dynamischen Architektur abgebildet. Allerdings hat hier mancher Hersteller noch seine Altlasten zu bereinigen. Die Zeiten des Inhouse-Programmierens, womöglich noch als Autodidakt, sind jedenfalls vorbei.
Die dringendsten Wünsche an die Softwarehäuser?
Die Werkzeugschleifmaschinen sollen in die komplette Fertigungsstruktur integriert werden, also in einen automatisierten Datenfluss von PPS- und CAD-System bis hin zur NC-Programmierung. Was die Kunden außerdem verlangen, sind hoch automatisierte Berechnungsprogramme für festgelegte Werkzeuggruppen, so dass mit wenigen Eingabedaten sämtliche Anstellungs- und Verfahrwegberechnungen möglich sind. Außerdem wird CAD-seitige Unterstützung im Bereich der Zerspanungswerkzeuge gewünscht. Tool-Designer wie unser WinNut erleichtern das einfache und schnelle konstruktive Auslegen von Fräsern, Bohrern oder Reibahlen – und zwar einschließlich der Anbindung an bestehende CAD-Systeme.
Die derzeit dynamischsten und kommerziell aussichtsreichsten Trends?
Zum einen die Fokussierung auf Mikro- und Diamantwerkzeuge, zum anderen Partnerschaften vor allem im softwaretechnischen Bereich.
Welche Rolle spielt die Automation in Lohnschleifbetrieben für die Programm-Entwicklung?
Sie liegt nach wie vor wohl im Focus der Maschinenhersteller. Hintergrund ist, dass sich möglichst jede Art von Werkzeugtyp geometrisch ertasten und nachschleifen lassen soll.
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