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Bulgariens Exportwirtschaft sucht neue Märkte

Lieferspektrum des Balkanstaats reicht von mechanischen Bauteilen bis zu Umformwerkzeugen
Bulgariens Exportwirtschaft sucht neue Märkte

Westliche Unternehmen nutzen Bulgariens Standortvorteile wie niedrige Lohnkosten und geringe Steuerlast, um wettbewerbsfähig für internationale Märkte zu produzieren. Aber auch Einkäufer werden dort vielfach fündig, sie sollten beim Sourcing jedoch einiges beachten.

Es war ein historisches Ereignis, zu dem sich Bulgariens Staatsführung am 21. Februar 2012 in dem kleinen Dorf Bahovitsa nahe der Provinzstadt Lowetsch versammelte: die Renaissance der bulgarischen Automobilindustrie. Das heimische Unternehmen Litex Motors nahm in neu errichteten Produktionshallen die Fertigung von drei Modellen des chinesischen Autobauers Great Wall auf. Diese sollen künftig ihre Käufer auf den europäischen Märkten finden. Zuletzt war Mitte der 1990er-Jahre eine Lizenz-Produktion von Rover in der bulgarischen Schwarzmeerstadt Varna gescheitert.

„Ich kann gar nicht anders als glücklich sein, dass ich Wirtschaftsminister bin in einem Moment, in dem in Bulgarien die Autoproduktion aufersteht”, sagte Traitscho Traikov. Er konnte zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen, dass er nur drei Wochen später seinen Posten als Wirtschafts- und Energieminister würde räumen müssen. Ministerpräsident Boiko Borissov gab ihm die Verantwortung für ein fehlgeschlagenes Wirtschaftsforum in Katar, zu dem fast keine katarischen Unternehmen erschienen waren.
Das Engagement der Chinesen in Lowetsch möge kein Einzelfall, sondern der Auftakt verstärkter Wirtschaftsbeziehungen mit China sein, hofft Regierungschef Borissov. „Ich habe das Versprechen meines chinesischen Amtskollegen Wen Jiabao, dass China bis zum Ende 2013 eine Milliarde BGN (rund 510 Mio. Euro) in Bulgarien investiert“, sagte er bei Werkseinweihung von Litex Motors. Unabhängig davon dürfte die Great Wall-Produktion der bulgarischen Automobilzulieferindustrie Impulse geben. Sie hat sich in den letzten Jahren dynamisch entwickelt, auch dank des Zuzugs deutscher Unternehmen wie Grammer, Witte Automotive, Ixetic und Steca Elektronik.
Bulgarien erlebte in den Jahren vor der internationalen Finanzkrise Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von über 5 %, gleichzeitig trübte aber das ausgeprägte Handelsbilanzdefizit das makroökonomische Bild. Im Jahr 2008 führte Bulgarien Waren im Wert von 9,89 Mrd. Euro mehr ein als es exportierte. In der Folge der Weltwirtschaftskrise kam es zu einem drastischen Rückgang des Inlandskonsums, doch ein gestärkter Export stützte im vergangenen Jahr die Wirtschaftsentwicklung und verhalf zu einem bescheidenen Zuwachs beim BIP von 1,7 %. Die Ausfuhren wuchsen 2011 um 29,2 % gegenüber dem Vorjahr, die Einfuhren legten nur um 20 % zu, das Außenhandelsdefizit schrumpfte auf 2,97 Mrd. Euro.
Gemäß Daten des Nationalen Statistischen Instituts (NSI) haben bulgarische Firmen im Jahr 2011 Waren im Wert von 20,1 Mrd. Euro ausgeführt; an erster Stelle waren dies Nichtedelmetalle, gefolgt von mineralischen Produkten und Maschinen und Ausrüstungen. Damit übertraf die bulgarische Exportwirtschaft erstmals ihr Ausfuhrvolumen des Vorkrisenjahrs 2008, als Waren für 15,2 Mrd. Euro ins Ausland verkauft worden waren.
Deutschland ist traditionell Bulgariens wichtigster Handelspartner, noch vor Russland, das das Balkanland vor allem mit Energie versorgt. Angaben der Deutsch-Bulgarischen Industrie- und Handelskammer (DBIHK) zufolge legte der bilaterale Handel im vergangenen Jahr um 14 % zu und erreichte ein Rekordniveau von knapp 4,5 Mrd. Euro. Die bulgarischen Ausfuhren nach Deutschland stiegen um 21 % auf 2,1 Mrd. Euro und haben sich damit in den vergangenen zehn Jahren verdreifacht. Die bulgarischen Einfuhren aus Deutschland wuchsen um bescheidenere 8,5 % auf 2,4 Mrd. Euro, ein Wert der lediglich 2008 übertroffen worden war.
„Bulgarien beginnt, sein Image als Land der Tomatenzüchter abzulegen und profiliert sich zunehmend als Exporteur technologischer Produkte“, freut sich Ivo Todorov von der Assoziation der bulgarischen Exporteure (ABI). Der im Dezember 2011 gegründete Interessensverband der Exportwirtschaft vereinigt elf Unternehmen, die eigenen Angaben zufolge 25 % der bulgarischen Ausfuhren leisten. ABI-Vorsitzender Todorov fürchtet nun, die beginnende Rezession in der Eurozone könnte sich negativ auf den bulgarischen Export auswirken und ein Rückgang der Ausfuhren um 6,1 % in den ersten beiden Monaten des Jahres scheint ihn zu bestätigen. „Damit die bulgarischen Exporteure ihr gutes Vorjahresergebnis wiederholen können, müssen sie verstärkt nach neuen Absatzmärkten suchen, etwa in Zentralasien und im Nahen Osten“, rät Ivo Todorov seinen Mitgliedsunternehmen.
Der aus dem baden-württembergischen Ettlingen stammende Unternehmer Jürgen Eisele hat in Sofia ein Technologiezentrum (TZS) aufgebaut mit Kompetenzzentren zu den Themen Biomasse, Energie-Effizienz, IT und Metall. Bulgarischen Unternehmen bietet das TZS auch Schulungsseminare an, deutsche Firmen, die in Bulgarien produktiv tätig werden oder einkaufen wollen, können Beratungsleistungen erhalten. „Wir haben ein Cluster zu Umwelttechnik und Maschinenbau gegründet, dem fünfzehn Mitgliedsfirmen angehören“, erzählt Kersten John, Leiter des Kompetenzzentrums Metall am TZS. Für deutsche Industrieunternehmen, die in Bulgarien einkaufen wollen, sind seiner Einschätzung nach vor allem Komponenten aus dem Bereich Formenbau interessant. „Spritzguss-, Druckguss- und Umform-Werkzeuge lassen sich in Bulgarien günstig beschaffen“, sagt John. Interessant für Einkäufer seien zudem mechanische Bauteile und Fräskomponenten, Drehteile in Klein- und Mittelserien, Stahlguss- und Druckguss-Bauteile aus Aluminium und Zink sowie Schweißbaugruppen und Kunststoffteile.
„Ein Problem beim Sourcing in Bulgarien ist das vergleichsweise niedrige technologische Niveau“, sagt John, auch fehle es bulgarischen Unternehmen zuweilen an Managementerfahrung. „Wenn es sich um komplexe Beschaffungsvorhaben handelt, ist deshalb ein externes Projektmanagement zu empfehlen“, rät Kersten John, denn wichtig sei, Lieferfristen und Qualitäten stets explizit zu vereinbaren und ihre Einhaltung zu kontrollieren. „Eine Qualitätssicherung wie in Deutschland darf man in der Regel in Bulgarien nicht erwarten“, warnt er.
Hans-Jürgen Köllen von der Wirtschaftlich-Technischen Cooperation GmbH hat ähnliche Erfahrungen gemacht. Der Frankfurter blickt auf eine 40 Jahre währende Geschäftstätigkeit mit und in Bulgarien zurück und kann die aktuelle Situation vor dem Hintergrund ihrer historischen Entwicklung beurteilen. „In sozialistischer Zeit haben wir rund 150 westliche Firmen in Bulgarien vertreten“, sagt Köllen. Zunächst habe der Textilbereich den bulgarischen Export dominiert, sukzessive seien dann höherwertige technische Produkte der Elektronik und des Maschinenbaus dazugekommen. „Es ist im Westen wenig bekannt, dass Bulgarien früher zwei Millionen Computer in die Länder des Rates für Gegenseitige Wirtschaftsleistung (RWG) geliefert hat.“
Die Massenprivatisierung von Staatsvermögen in den 1990ern in Bulgarien hält Hans-Jürgen Köllen für nicht sonderlich geglückt, hat doch der Großteil der bulgarischen Industriebetriebe sie nicht überlebt. „Es ist sicherlich vor allem ein Verdienst der nach der Wende zugezogenen Unternehmen aus Westeuropa, dass Bulgarien heute wieder über eine einigermaßen diversifizierte Exportwirtschaft verfügt“, meint er. Die westlichen Firmen aus den Bereichen, Maschinenbau, Metallwirtschaft und Elektrotechnik seien nicht nach Bulgarien gekommen, um für den mit rund 7 Mio. Einwohnern kleinen Markt zu produzieren. „Sie nutzen Bulgariens Standortvorteile wie niedrige Lohnkosten und geringe Steuerlast, um wettbewerbsfähig für internationale Märkte zu produzieren.“
Frank Stier Südost-Correspondenzbureau Balkan, Sofia/Bulgarien
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