Herr Bleinroth, die Aussteller der AMB haben sich wegen der Corona-Pandemie mehrheitlich für die Absage der AMB 2020 und eine Veranstaltung im gewohnten Turnus im Jahr 2022 entschieden. Hätten Sie als Veranstalter eher einen Termin im nächsten Jahr bevorzugt?
Wir bedauern die Verschiebung der AMB 2020 natürlich sehr. Diese internationale Leitmesse hat eine ganz besondere Bedeutung für unsere Kunden, die Messe Stuttgart und Baden-Württemberg. Aber wir nehmen konsequente Kundenorientierung auch dann ernst, wenn es wehtut! Die Aussteller haben sich oft schweren Herzens, aber mit großer Mehrheit dafür ausgesprochen, dass die AMB in diesem Jahr nicht erfolgversprechend sein kann. Da war es dann für alle Beteiligten wichtig, möglichst schnell Planungssicherheit zu schaffen.
Wie viele AMB-Aussteller haben sich für eine Veranstaltung in 2020 ausgesprochen?
Eine immerhin signifikante Minderheit der über 1000 befragten Aussteller hat sich trotz der schwierigen Corona-Rahmenbedingungen für eine AMB 2020 ausgesprochen. Dazu sind dann aber besondere Rahmenbedingungen erforderlich. Diese schaffen wir gerade mit dem „AMB Technologieforum“ am 17. September 2020 im ICS. Eine Kombination aus Fachvorträgen der Aussteller und begleitender Table-Top-Ausstellung, mit digitalen Ergänzungen wie einem Matchmaking-Angebot über eine App und in der Matchmaking-Area und optionalen Websessions. Dieses Format trifft bislang auf erfreuliches Interesse. Das AMB Technologieforum positioniert sich klar als Forum und grenzt sich hierdurch von der Messe AMB, wie wir sie kennen, ab. Mit der nächsten regulären AMB im Jahr 2022 wollen wir dann wieder da anknüpfen, wo die diesjährige Messe gestanden hätte.
Auch eine „AMB light“ in diesem Herbst hätte für den Standaufbau einen zeitlichen Vorlauf benötigt. Wäre das nach dem Mehrheitsbeschluss durch die Aussteller denn machbar gewesen?
Grundsätzlich wäre sicher auch eine „AMB light“ mit den Ausstellern machbar gewesen, die sich diese Marketingplattform trotz der Corona-bedingten Einschränkungen gewünscht haben. Letztendlich ist aber auch eine kleinere Messe für die Aussteller mit erheblichen Kosten und Personaleinsatz verbunden. Dies macht nur dann Sinn, wenn eine wirtschaftliche Erfolgsaussicht auch realistisch ist. Dies war und ist auch heute noch für das Marktumfeld der AMB aber nicht der Fall. Vor dem Hintergrund ist es dann für alle Beteiligten sinnvoller, eine Verschiebung zu akzeptieren, als an Plänen festzuhalten, die unter den neuen Rahmenparametern keine hinreichende Erfolgsaussicht mehr haben können. Dies haben auch gerade die Aussteller respektiert, die eine Durchführung in 2020 unterstützt hätten. Uns war ein transparenter Entscheidungsprozess in ganz enger Abstimmung mit den AMB-Kunden und den Trägerverbänden in dieser Lage besonders wichtig.
Wie sinnvoll wäre eine AMB im EMO-Jahr 2021, zumal parallel etliche Metallermessen in Deutschland stattfinden?
Diese Frage wurde auch intensiv und durchaus mit unterschiedlichen Sichtweisen diskutiert. Letztendlich haben wir jedoch gemeinschaftlich entschieden, dass ein solches Szenario für die ohnehin stark belastete Branche nicht zielführend gewesen wäre. Mit der T4M – Technology for Medical Devices, Fachmesse für Medizintechnik im Mai 2021 und der Moulding Expo, internationale Fachmesse Werkzeug-, Modell- und Formenbau, im Juni 2021 haben wir zwei durchaus in Teilbereichen verwandte und starke Messen in Stuttgart, die für die AMB-Aussteller und -Besucher attraktive Optionen für eine Beteiligung auch in 2021 bieten können.
Wie wird das AMB-Technologieforum konzeptionell und inhaltlich ausgestaltet?
Der Schwerpunkt liegt ganz klar auf den Fachvorträgen der Aussteller. In der begleitenden Table-Top-Ausstellung besteht dann die Möglichkeit für den Austausch und persönliche Gespräche. Über eine Matchmaking-App bieten wir darüber hinaus die Möglichkeit, sich auf der Veranstaltung zu verabreden und zu treffen. Über die digitale Verlängerung können auch solche Teilnehmer erreicht werden, die nicht unmittelbar teilnehmen können oder wollen.))
Kleine Stehtische und eine minimalistische Produktpräsentation ersetzen nicht die Atmosphäre auf einer Messe. Und das Forum als reines Klassentreffen hilft der Branche auch nicht weiter. Lässt sich die auf Messen gewohnte Kundenansprache überhaupt ansatzweise übertragen?
Unter den für voraussichtlich den Rest des Jahres noch geltenden Beschränkungen, wird es nur in Ausnahmefällen „normale“ Messen geben, wie sie die Kunden früher gewohnt waren. Das besondere Versprechen einer Messe besteht zu wesentlichen Teilen in der persönlichen Begegnung und oft auch in dem haptischen Entdecken. Messeveranstalter sind eigentlich per Definition sehr kreativ. Auch unter den für die unmittelbare Zukunft noch geltenden Hygiene-Vorschriften und mit zweifellos weniger beteiligten Menschen, lassen sich diese Ziele durchaus erfolgreich umsetzen. Das AMB Technologieforum ist ein Beispiel dafür, wie wir uns sehr schnell auf die neuen Gegebenheiten eingestellt und in Rekordzeit ein neues Konzept entwickelt haben.
Werden die Produktvorstellungen auch mit Online-Präsentationen verknüpft?
Es wird digitale Ergänzungen der Präsenzauftritte im ICS geben. Die Akzeptanz für solche Kommunikationskanäle ist während der Lockdown Monate ja sehr spürbar gestiegen. Auch wenn die Menschen sich nun gerade wieder nach der persönlichen Begegnung sehnen, werden ergänzende digitale Angebote zukünftig einen größeren Stellenwert für Messen einnehmen.
Wie sehr könnte die Coronakrise das Messewesen verändern? Werden Messen künftig digitaler und hybrider?
Die Corona-Pandemie hat die Messewelt vor eine riesige Herausforderung gestellt. Die Messebranche war als einer der ersten Wirtschaftszweige von dem Shutdown betroffen und wird wohl eine der letzten Bereiche sein, die wieder zur Normalität zurückkehren kann. Und dies wird dann in mancher Hinsicht eine „neue Normalität“ sein. Das Reiseverhalten der Menschen wird zumindest mittelfristig nicht mehr in bisherigen Bahnen verlaufen. Messen werden schon deswegen ganz sicher digitaler und hybrider werden. Dabei wird aber der Nukleus weiterhin die Präsenzveranstaltung bleiben. Der „Markenkern“ von Messen besteht ganz sicher auch weiterhin in dem „Face-to-face“-Marketing. Die persönliche Begegnung und das haptische Erleben wird auch zukünftig nicht durch digitale Kanäle zu ersetzen sein – wohl aber werden neue digitale Foren die Präsenzveranstaltung verstärkt in virtuelle Welten verlängern. Dazu gibt es bereits einige Ideen in unserem Haus und wir sind dazu zweifellos nicht alleine unterwegs.
Werden Sie ganzjährig Inhalte und Expertisen der Aussteller ins Netz ausspielen?
Umfragen zeigen, dass sich Besucher auch über die Messelaufzeit hinaus mit den jeweiligen Messethemen auseinandersetzen möchten. Für uns ist das ein spannendes zusätzliches Betätigungsfeld, das wir auch noch stärker angehen werden, als dies in der Vergangenheit schon der Fall war. Ein jüngstes Beispiel bei der Messe Stuttgart ist das neue Format Kreativ@Home. Bastel-Workshops, die sonst auf unserer B2C-Messe Kreativ ein wesentlicher Teil des Programms ausmachen, wurden in der Corona-Krise in die digitale Welt übertragen. Aussteller können ihre Themen und Produkte in Online-Workshops den Besuchern präsentieren. Eine Idee, die auch über die Krise hinaus weitergeführt werden wird und die Wartezeit zwischen den Messelaufzeiten gefühlt verkürzt. Grundsätzlich ist dieser Ansatz zumindest in Teilbereichen auf Industrie- und B2B-Messen übertragbar.
Virtuelle Messen haben sich bislang nicht durchgesetzt. Muss sich die Präsenzmesse diesem Thema jetzt verstärkt annehmen?
Aktuell lässt sich feststellen, dass es eine Welle von digitalen Formaten und Veranstaltungen gibt. Wie lange und welche Formate sich dabei durchsetzen können, wird sich zeigen. Fest steht, dass die Corona-Krise die Digitalisierung (nicht nur) bei Messen und Events stark vorangetrieben hat. Die Erfahrung hat gezeigt, dass rein digitale Ansätze nicht das notwendige Nutzenversprechen leisten können. Ohne eine starke und etablierte Präsenzveranstaltung, auf die digitale Angebote aufbauen können, werden es neue Formate als „Stand-alone“-Lösung auch weiterhin schwer haben, die erforderliche Akzeptanz bei den Kunden zu gewinnen. Ganz anders stellt sich da die Lage für digitale Modelle dar, die eine starke Messe, wie die AMB, noch attraktiver und länger erlebbar machen.
Mehr zu Inhalt und Programm des AMB-Technologieforums lesen Sie hier.
Gibt die stets aktuell gehaltene Online-Präsenz Messemachern nicht auch die Chance, Fachschauen internationaler auszurichten?
Auch für die Internationalisierung ist die notwendige Voraussetzung, dass eine starke „Community“ mit einer bekannten Marke als Basis gegeben ist. Nur dann kann davon ausgegangen werden, dass Kunden, die die Marke kennen und zu schätzen gelernt haben, diesen Vertrauensvorschuss auch einem „digitalen Zwilling“ entgegenbringen werden. Es darf nicht unterschätzt werden, dass auch die Beteiligung an digitalen Formaten für den Nutzer ein Zeit- und Kostenaufwand darstellt. Genau wie bei einer Präsenzmesse sollten die Erwartungen der Kunden möglichst immer nicht nur erfüllt, sondern übertroffen werden – auf keinen Fall aber enttäuscht werden. Die AMB 2018 hatte Fachbesucher aus 83 Ländern. Das ist eine Basis auf die man auch in Zukunft mit digitalen Formaten international aufbauen kann.
Kontakt:
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Messepiazza 1
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