Startseite » Management »

Die flexible Produktion ist kein Hexenwerk

Änderungsmanagement: FZI entwickelt Entscheidungshilfen
Die flexible Produktion ist kein Hexenwerk

Produktionsänderungen stellen viele Unternehmen vor große Probleme. Sinnvoll ist es, sie in die Arbeitsabläufe zu integrieren. Entscheidungs- und Planungshilfen für ein solches Änderungsmanagement sind nun im Rahmen eines EU-Projekts entstanden.

Es lief wunderbar für Frigoglass: Der neue industrielle Kühschrank, ein offenes Modell, kam bei den Supermärkten super an. Doch die Freude über den Verkaufserfolg währte nicht lange bei den Griechen. Denn die Produktionslinien für das neue Modell in den zehn Fabriken waren schon bald ausgelastet. Da sich der Verkaufsschlager in der Regel eine Produktionslinie mit anderen Geräten teilte, gab es die Überlegung, die anderen Kühlschränke auf andere Linien zu verlagern.

Doch was so einfach klingt, war in der Praxis nicht umsetzbar: „Niemand konnte die Frage beantworten, ob die Linien für eine solche Änderung hinreichend flexibel ausgelegt sind. Es existierten keine gesicherten, standortübergreifenden Produktionsdaten dazu“, erklärt Konstantin Krahtov, Abteilungsleiter Prozess- und Datenmanagement im Engineering (PDE) im Karlsruher FZI Forschungszentrum Informatik.
Das Beispiel Frigoglass ist seiner Einschätzung nach typisch für Unternehmen im Maschinenbau: „Sie benötigen eine sichere Prozessunterstützung, um ihre Daten etwa über die Auslastung und den Bestelleingang zusammenführen zu können“, sagt Krahtov. Nur so ließen sich unternehmensübergreifende Änderungen in der Produktion sicher und schnell planen.
Wie wichtig ein flexibles Änderungsmanagement im Maschinenbau heute ist, untermauern Zahlen des Lehrstuhls für Produktentwicklung an der TU München. Demnach kommt ein typisches Maschinenbauunternehmen im Monat auf durchschnittlich 220 Änderungen in der Produktion, verursacht durch abweichende Kundenanforderungen, Änderungen am Produkt, Fehler in der Entwicklung oder auch schlicht durch den Technologiefortschritt. In den letzten zehn Jahren haben sich die Bearbeitungszeiten und -kosten für Änderungen verdreifacht. Krahtov: „Im Vergleich zur Konkurrenz in Fernost verzeichnen hiesige Unternehmen wesentlich mehr Änderungen. Das ist auf unsere Businesskultur zurückzuführen. Sie ist auf Innovationen ausgerichtet, die Produkte werden ständig optimiert.“
Um dies zu erleichtern, hat das FZI im Rahmen des EU-Verbundprojekts X-Change eine Methode zur Unterstützung unternehmensübergreifender Produktionsänderungen entwickelt, die zugleich die Flexibilität der Produktion und ihrer Prozesse messbar macht. Mit im Boot saßen die Universität Karlsruhe (TH), die Universität Patras, die Softwareanbieter PSI und Fatman Oy sowie zwei Anwenderunternehmen: Neben Frigoglass die französische Vincent Industries. Auch der Hersteller von automatisierten Montageanlagen für den Energie- und Medizinbereich kämpfte mit den Herausforderungen des Änderungsmanagements – wenngleich sie bei einem Anlagenbauer anders aussehen als bei der Serienproduktion à la Frigoglass.
„Wir haben ständig Geld verloren, weil wir Kosten und Zeit bei einem Kundenauftrag nicht richtig einschätzen konnten“, beschreibt Michel Constant, Projektleiter X-Change bei Vincent, das Dilemma. „Noch kritischer wurde dies, wenn während der Produktionsphase eine Modifikation am Produkt vorgenommen wurde.“ Die Kosten multiplizierten sich überdies: Gab es eine notwendige Änderung an einem Bauteil, das auch für andere Anlagen verwendet wird, dauerte es zum Teil bis zu einem Monat, bis die neuen Zeichnungen in der Entwicklungsabteilung landeten und dort umgesetzt wurden. Denn die meisten Änderungen werden in der Produktion auf Papier ausgeführt.
Außerdem wünschte sich das Unternehmen schon lange effiziente Werkzeuge, um die Flexibilität seiner Anlagen zu bewerten. Constant: „Das ist ein guter Service für unsere Kunden – und letztlich ein Marketinginstrument. Denn unser Vertrieb kann den Kunden darlegen, warum unsere Anlagen ihm eine flexible Produktion ermöglichen.“
Beim letzten Punkt hieß das für die Projektverantwortlichen im X-Change-Forschungsprojekt, in die Flexibilitätsberechnungen die Kunden einzubeziehen. Dafür wurden der Einkauf und die Produktion befragt. Für das Änderungsmanagement der eigenen Produktion musste die Flexibilitäts-Performanz der internen Abteilungen sowie der Hauptlieferanten bewertet werden. Dazu wurden typische Veränderungssituationen definiert.
Danach wurden de Anwendungsfälle detailliert beschrieben – angefangen bei der Machbarkeitsstudie über das Projektmanagement, die technischen Zeichner, Einkauf, Produktion, Verbesserungen sowie Modifikationen vor und nach der Auslieferung der Anlage. Diese Daten stammten zum größten Teil von den Mitarbeitern des Unternehmens. „Daten über die Produktion des Kunden oder über das Angebot eines Konkurrenten stecken nun einmal nicht in IT-Systemen“, so FZI-Experte Krahtov.
Die erhobenen Daten flossen anschließend in drei verschiedene Flexibilitätsbewertungsmethoden ein, die das Forschungskonsortium entwickelt hat. Sie wiederum sind Grundlage für die Flexibilitätsplattform, die Dienste zum Errechnen von Flexibilitätsmetriken oder auch zur Visualisierung bereithält. Daneben entstand im EU-Projekt eine auf Standards basierende Change-Management-Plattform, die die Flexibilitätsmetriken integriert, aber auch Dienste zur Verknüpfung interner Prozesse zu unternehmensübergreifenden Prozessketten zur Verfügung stellt. Dabei wird das Know-how jedes einzelnen Unternehmens gekapselt, so dass die Partner keinen Zugriff auf geheime Daten haben. Schließlich steht die X-Change-Plattform zur Verfügung, auf der sich beispielsweise alle Prozesse simulieren lassen. So kann Frigoglass damit theoretisch durchspielen, was bei einer Verlagerung von Produktionslinien geschehen würde.
Absolute Werte über die Güte oder Unzulänglichkeiten seines Änderungsmanagements sowie seiner Flexibilität hat Vincent Industries aus dem Projekt nicht erhalten. „Doch wir haben dank der Prozessbeschreibungen eine bessere Kenntnis der Fabrikabläufe erhalten“, berichtet Projektleiter Constant. Zudem ist er zu der Erkenntnis gelangt: „Flexibilität ist nicht absolut, sondern hängt von der Situation ab.“
Darüber hinaus verzeichnet das französische Unternehmen konkrete Zeit- und Kosteneinsparungen durch das Projekt: So hat sich die Zeit von der Identifizierung einer notwendigen Veränderung bis zur Umsetzung um durchschnittlich 10 % verringert. Die Adaptionskosten bei Produktmodifikationen sanken um 9 %. Und die Auslastung der Mitarbeiter für Änderungsprojekte sank um 10 %. Constant ergänzt: „Wir können jetzt präzise Kostenvoranschläge und Zeitpläne erstellen. So stufen wir unsere Kosten für einen Auftrag nicht mehr zu niedrig ein. Und auch für unsere Kunden wird ein Angebot so wesentlich transparenter.“
Die im EU-Projekt entstandene Software ist kommerziell nicht am Markt erhältlich. „Wir führen aber Schwachstellen- und Potenzialanalysen bei Anwenderunternehmen durch und helfen dabei, die Module in betriebswirtschaftliche Standardsoftware und Software für das Product Lifecycle Management zu integrieren“, erklärt Krahtov. Grundsätzlich sieht er alle mittelständischen und großen Unternehmen als Zielgruppe für die Software und Methodik: „Den größten Nutzen haben auf alle Fälle Firmen mit komplexen verteilten Produktionsstandorten und ebensolchen Änderungsprozessen.“
Sabine Koll Journalistin in Böblingen
In den Mitarbeitern steckt das größte Prozess-Wissen

So wird Flexibilität messbar gemacht
Das FZI hat in Zusammenarbeit mit deutschen Unternehmen unterschiedlicher Größen die Parameter für die Flexibilitätsbewertung weiterentwickelt. Die Bewertungsmethodik Ecoflex erlaubt auf Basis systembezogener Berechnungen objektive und branchenübergreifende Bewertungen zur Mengen-, Produktmix- und Erweiterungsflexibilität, indem sie verschiedene Berechnungsmethoden integriert. „Dabei berücksichtigen wir neben wesentlichen zeitlichen und kostenwirksamen Aspekten auch verschiedene Betrachtungsebenen wie Arbeitsplatz-, Linien-, Segment- und Fabrikebene, damit sich die Flexibilitätsmetriken praktikabel innerhalb des Produktions- und Änderungsmanagements nutzen lassen“, erklärt Sven Rogalski, Mitarbeiter im FZI-Bereich PDE. Die Methodik wird derzeit bei einem weltweit agierenden Automobilzulieferer eingesetzt. Auf Basis realer Produktionsdaten eines dortigen Fertigungsbereichs werden Untersuchungen von Flexibilitätsdefiziten und Bewertungen von Erweiterungsalternativen durchgeführt. Zudem werden weitere Anforderungen für mögliche Auswertungen über die Bewertungsmethodik aufgenommen.
Unsere Whitepaper-Empfehlung
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 6
Ausgabe
6.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Aktuelle Whitepaper aus der Industrie

Unsere Partner

Starke Zeitschrift – starke Partner


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de