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Digitaler Turbo für Geschäftsprozesse

Serie „Pictures of the Future des Innovationsmanagements“ (Teil 3)
Digitaler Turbo für Geschäftsprozesse

Datendurchgängigkeit | Individuellere Produkte und der digitale Wandel lassen die Datenberge im produzierenden Gewerbe stetig wachsen. Um Herr der eigenen Informationen zu bleiben, benötigen Unternehmen eine einheitliche Datenstruktur, die sich durch alle Prozessschritte zieht.

Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Wirt. Ing. Günther Schuh Lehrstuhl für Produktionssystematik, Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen Dr.-Ing. Dipl.-Wirt. Ing. Stefan Rudolf, M.Eng. Abteilungsleiter Innovationsmanagement, Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen Elisabeth Schrey M.Sc. Abteilung Innovationsmanagement, Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen

Mit der Individualisierung von Produkten und der Digitalisierung von Geschäftsprozessen wachsen in Unternehmen die Datenmengen drastisch an. Gewachsen ist außerdem die IT-Systemlandschaft, welche unterstützende Instrumente für jede Unternehmensfunktion bereitstellt. Eine solche vielfältige Systemlandschaft setzt punktuell für einzelne Unternehmensfunktionen an, sie ist in sich aber nicht optimal vernetzt. Der Verknüpfung der vielfältigen IT-Lösungen wird in dieser Entwicklung häufig zu wenig Beachtung geschenkt, weil das Denken und Handeln in Unternehmensfunktionen als in sich abgegrenzten Einheiten stark verbreitet ist. So entstehen beim Generieren von Daten Redundanzen und Inkonsistenzen. Zielgerichtetes und effizientes Arbeiten wird so behindert. Um dem entgegenzuwirken, ist als Grundvoraussetzung eine durchgängige Datenstruktur für eine Single Source of Truth zu schaffen.
Unter Datendurchgängigkeit wird die Abbildung aller relevanten Unternehmensfunktionen sowie der unternehmensinternen Geschäftsprozesse entlang der Wertschöpfungskette in Form eines einheitlichen Daten-Backbones verstanden. Dies berücksichtigt die Aktivitäten im operativen Auftragsabwicklungsprozess vom Vertrieb bis zur Warenausgangslogistik. Außerdem sind mittel- und langfristige Prozesse in den indirekten Bereichen einzubeziehen wie beispielsweise Marketingkampagnen oder die Sortimentsplanung einzelner Produktbereiche. Die Datendurchgängigkeit ist damit ein Anspruch an alle Phasen des Produktlebenszyklus. Durch eine vollständige Beschreibung der Prozesslandschaft wird sichergestellt, dass die Ansprüche aller Unternehmensfunktionen an die Datenstruktur berücksichtigt werden. Geschäftsprozesse erstrecken sich in der Regel über verschiedene Hierarchiestufen im Unternehmen, wenn sie durch Meilensteine oder Entscheidungspunkte untergliedert sind. Aufgrund dessen erfordert der Daten-Backbone zudem ein System aus Rechten und Rollen, das die in den Prozessen definierten Verantwortlichkeiten unterstützt.
Zur Unterstützung von Geschäftsprozessen müssen den beteiligten Unternehmensbereichen Methoden bereitgestellt werden, die optimalerweise durch bedarfsgerechte IT-Systeme realisiert werden. Diese stellen jeder Unternehmensfunktion anwendungsspezifisch alle relevanten Informationen zur Verfügung und ermöglichen es den Bereichen, über Informationen im Austausch zu stehen und diese zu verändern, ergänzen oder zu löschen. Informationen liegen in vielfältigen Formaten vor, beispielsweise benutzen Vertriebsmitarbeiter einen Produktkatalog oder webbasierten Konfigurator, geben Bestellungen oder Anfragen per Artikelnummer über ein ERP-System an die Beschaffung und Konstruktion weiter, welche die für sie benötigten Informationen in Lieferantendatenbanken oder 2D-Zeichnungen wiederfinden.
Unterschiedliche Systeme benötigen gemeinsame Datenstruktur
Unter den relevanten Informationen sind also zum einen produktbezogene Daten zu verstehen, die gemäß des Product Lifecycle Managements in jedem Unternehmensbereich eine andere Perspektive auf das Produkt darstellen und denen entsprechend unterschiedliche Produktstrukturen zugrunde gelegt sind. Im Vertrieb sind unter anderem die Produktfunktionen oder Anwendungsoptionen im Fokus, die über einen Konfigurator ausgewählt werden. Dahingegen ist in der mechanischen Entwicklung das Produkt in Baugruppen gegliedert und in der Beschaffung sind lediglich die Zukaufteile als Teilmenge der Baugruppen relevant. Zum anderen umfassen die benötigten Informationen ebenso Kunden- und Lieferantenangaben in Form von Datenbanken oder Ergebnisse aus Analysen wie Marktprognosen und Trends für Anwendungsbereiche. Weitere wesentliche Informationen treten im Zusammenhang mit der Produktion auf, welche in der Planung, Steuerung und Ressourcenverwaltung mit sowohl statischen als auch dynamischen Daten arbeitet.
Die IT-Systeme, welche die vielfältigen Informationen verarbeiten, müssen daher auf eine gemeinsame Datenstruktur zurückgreifen. Diese Datenstruktur sollte sich über alle Unternehmensfunktionen erstrecken und eine durchgängige Übersetzung der Stücklistenstrukturen erlauben. Für produktbezogene Daten gilt, dass dabei sowohl die Klassen, Assoziationen und Attribute innerhalb der Strukturen als auch die Hierarchieebenen der Produktstruktur unterschiedlich sind. Nur so können die produktbezogenen Informationen den funktionsbezogenen Sichten zuordnet werden, sodass jede Unternehmensfunktion die relevanten Daten zur Verfügung gestellt bekommt. Der zugrunde liegende Daten-Backbone sollte außerdem Bibliotheken beinhalten, die Stammdaten verschiedener Funktionen ordnen und mit denen Elemente aus der Produktdatenstruktur eindeutig verknüpft werden können.
Beispielsweise ist hier ein Customer Relation Management zu nennen, in welchem Kundendaten mit den jeweils abgesetzten Produktkonfigurationen verknüpft sind. Durch eine exakte und einmalige Datenablage sowie die korrekte Referenzierung der Daten kann eine Single Source of Truth erreicht werden, aus der alle IT-Systeme mit Daten gespeist werden. Der Datenaustausch zwischen den IT-Systemen und der Datenstruktur erfolgt dabei bidirektional und nicht nur partiell zwischen den IT-Systemen untereinander. So werden Inkonsistenzen vermieden und aktuelle Informationen allen Unternehmensfunktionen gleichzeitig bereitgestellt.
Modulare Produktbaukästen unterstützen Datendurchgängigkeit
Der Nutzen eines einheitlichen Daten-Backbones liegt also in der Erhöhung der Datenqualität entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Diese Datendurchgängigkeit kann gerade dann als Beschleuniger in den Geschäftsprozessen fungieren, wenn im Unternehmen der erfolgreiche Ansatz der modularen Produktbaukästen genutzt wird. Wie in der vorherigen Veröffentlichung dieser Reihe beschrieben, unterteilen Produktbaukästen ein Produkt in standardisierte und flexible Bausteine und unterstützen damit einerseits eine dem Kunden angepasste Variantenvielfalt und andererseits standardisierte Prozesse im Unternehmen. Letzteres bedeutet gleichzeitig, dass für zahlreiche abgesetzte Produkte teilweise dieselben Daten im System abgefragt und verwendet werden. Damit ist die Modularisierung der Produkte in gleichem Maß auf die Datenwelt übertragbar, sofern eine einheitliche Datenstruktur im Unternehmen vorliegt und den funktionsübergreifenden Datenaustausch ermöglicht.
Sinnvoll ist zunächst die Kapselung der Daten in der Entwicklung, da dort die standardisierten Elemente definiert werden. Diese können durch eigene Klassen vergleichbar zu einer Normteilbibliothek zusammengefasst werden. Die Abgrenzung von anderen bestehenden Baugruppen kann auch über Attribute geregelt sein, bei denen verschiedene Stufen der Variabilität hinterlegt sind. Die erste Übertragung der Standards aus der Entwicklung kann upstream in Richtung vom Konfigurationsmanagement und dessen Umsetzung in vertrieblichen IT-Systemen erfolgen. Downstream in der Wertschöpfungskette erleichtern Standardmodule – beispielsweise der Beschaffung und Fertigungsvorbereitung – die Planung der Bestellvorgänge und Fertigungsprozesse.
Es ist also erkennbar, dass für modular aufgebaute Produkte die entsprechende Modularisierung von Daten ein Ansatz ist, produktbezogene Datenbündel für jede Funktion standardisiert abzulegen und damit eine Effizienzsteigerung entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu realisieren.
Zusammenfassend steht fest, dass die Datendurchgängigkeit eines gesamten Unternehmens die Berücksichtigung aller Funktionen und Geschäftsprozesse erfordert. Darüber hinaus müssen die jeweiligen Produktstrukturen untereinander migrierbar sein und es sollte eine eindeutige Beziehung zwischen den klassifizierten Objekten dieser Strukturen zu weiteren Stammdatenbanken bestehen. So entsteht ein Datennetz in Form einer Single Source of Truth, das Redundanzen und Inkonsistenzen verhindert und damit das höchste Maß an Transparenz und Effizienz schafft. Für Unternehmen mit modular aufgebauten Produkten potenziert sich der Nutzen der Modularität, wenn diese auf die Daten aller Produktlebensphasen übertragen wird. •

Über die Serie „Pictures of the Future“
Ausgehend vom Ansatz des „Lean Thinking“, welcher als obersten Grundsatz die Fokussie-rung auf echte Wertschöpfung und Vermeidung von Verschwendung adressiert, ist das Ziel von „Lean Innovation“ eine systematische Übertragung dieses Ansatzes auf das moderne Innovationsmanagement. Durch eindeutiges Priorisieren, frühes Strukturieren, einfaches Synchronisieren und sicheres Adaptieren kann sowohl die Effektivität als auch die Effizienz des Innovationsmanagements nachhaltig optimiert werden. Auf Basis der vier Kernfelder des „Lean Innovation“ sollen aktuelle Trends in den Bereichen des Komplexitäts- und Entwicklungsmanagements im Rahmen der sechsteiligen Reihe vorgestellt und anhand der „Pictures of the Future“ visualisiert werden:
  • Teil 1: Market Intelligence – Aufbau marktspezifischer Kenntnisse zur systematischen Marktsegmentierung (Ausgabe 32/2014)
  • Teil 2: Architekturgestaltung – Gestaltung der Produkt-/Produktionsarchitektur zur Erschließung von Economies of Scale and Scope
(Ausgabe 01/2014)
Teil 3: Datendurchgängigkeit – Zugriff auf einheitliche Echtzeitdaten auf Basis einer durchgängigen Single Source of Truth
(Ausgabe 03/2015)
  • Teil 4: F&E-Prozessoptimierung – Effiziente und effektive Entwicklungsprozesse zur schnellen Umsetzung individueller Kundenanforderungen (Ausgabe 05/2015)
  • Teil 5: Wertstromanalyse – Systematische Identifikation von Verschwendung durch Wertstromanalyse in der Produktentwicklung (Ausgabe 07/2015)
  • Teil 6: Synchronisation & Tak- tung – Effiziente Produktentwicklung durch Synchroni- sation & Taktung von parallel arbeitenden Expertenteams (Ausgabe 09/2015)
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