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Ein Land macht mobil

Indien: Mehr als Eine verlängerte Werkbank
Ein Land macht mobil

Die Direktinvestitionen deutscher Unternehmen in Indien sind so hoch wie nie, das bilaterale Handelsvolumen hat die 10-Mrd.-Euro-Marke schon 2006 überschritten. Das zeigt, welche Bedeutung das Land für deutsche Unternehmen hat. Der Subkontinent gilt als wichtiger Zukunftsmarkt – trotz aller Armut. Will man auf Dauer Fuß fassen, ist eine eigene Produktion sehr hilfreich.

Bittere Armut, chronisch verstopfte, mit Schlaglöchern übersäte Ausfallstraßen, von Abgasen verpestete Luft, Menschenmassen in den Metropolen – Indien ist ein Entwicklungsland. Aber eines im Wandel. Inzwischen verlassen jährlich mehr als eine Viertel Million Ingenieure die Universitäten – viermal so viel wie in den USA. Sie programmieren Software, entwerfen Großanlagen, Kraftwerke, Flugzeugteile oder Mikrochips, bauen Autos. „Indien gilt in vielen Bereichen heute nicht mehr als Entwicklungsland und preisgünstiger Produktionsstandort, sondern steht für Hochtechnologie, intelligente IT-Lösungen und hervorragende Forschungslabors“, weiß Andreas Lapp, Chef des gleichnamigen Kabelherstellers in Stuttgart und indischer Honorarkonsul, zu berichten (siehe auch Interview). Diese Aussage bestätigen die Zahlen des Auswärtigen Amtes: Bereits 2006 betrug das bilaterale Handelsvolumen über 10,5 Mrd. Euro. Damit steht Deutschland an vierter Stelle nach den USA, China und den Vereinigten Arabischen Emiraten, aber noch vor Großbritannien oder Japan. Wobei sich das Handelsvolumen in den nächsten fünf Jahren Prognosen zufolge sogar verdoppeln dürfte. Allein im ersten Halbjahr 2007 stieg das Handelsvolumen um weitere 16 % auf 5,7 Mrd. Euro.

Für Indien sprechen ferner die anhaltend hohen Wachstumsraten von durchschnittlich 8 % Prozent und die weiterhin anhaltende außenwirtschaftliche Öffnung. Negativ zu bewerten sind derzeit vor allem die Infrastrukturengpässe als Wachstumsbarriere und die Inflationsrate von über 7 % sowie die hohen Lohnsteigerungen (2006: durchschnittlich 13,8 %).
Indien spielt jedoch nicht nur als Handelspartner Deutschlands eine immer wichtigere Rolle, auch bei den Direktinvestitionen tut sich einiges. Allein vom 1. April 2006 bis 31. März 2007 investierten deutsche Unternehmen nach offiziellen indischen Angaben 120 Mio. US-Dollar in Indien. Diese Zahl, so das Auswärtige Amt in einer Mitteilung, spiegele nur unmittelbare Geldflüsse wieder, jedoch keine indirekten Investitionen. Damit entspreche der Wert bei weitem nicht dem tatsächlichen Engagement deutscher Firmen. So fehlen zum Beispiel sämtliche Investitionen, die in den Ausbau vorhandener Kapazitäten fließen. Insgesamt wurden seit Beginn der indischen Reformpolitik 1991 über 2700 deutsch-indische Joint Ventures gegründet und eine hohe Zahl von eigenen Niederlassungen deutscher Firmen. Schwerpunkte sind die Bereiche Automotive, Maschinen- und Anlagenbau, Elektrotechnik, Chemie, Pharmazie und Software.
Das zeigt, Indien ist mehr als ein Absatzmarkt für Produkte aus Deutschland und auch mehr als eine verlängerte Werkbank. „Komponenten aus Europa hier nur zusammenzuschrauben, das funktioniert nicht“, weiß Dr. Ferdinand Allerkamp, Joint Managing Director bei Bosch Limited in Bangalore, zu berichten. „Wer in Indien erfolgreich sein will, muss vor Ort produzieren.“ Ganz wichtig sei zum Beispiel eine lokale Kostenbasis zu schaffen, ein Netzwerk an Lieferanten. Dr. Allerkamp: „Sie werden nicht erfolgreich sein, wenn es zehn Jahre dauert, eine entsprechende Kostenbasis zu etablieren.“ Hilfreich beim Aufbau eines Kundenstammes ist das Studium der industriellen Cluster. Hinzu kommt, dass Indien ein sehr kostenbewusstes Land sei, „eine Besonderheit des lokalen Marktes“, wie Allerkamp meint. Hier sei unbedingt ein Schwerpunkt zu setzen. Dem stimmt auch Dr. Ewald Bentz zu, Direktor bei Lapp India, Bangalore. „Um im indischen Markt erfolgreich Geschäfte zu machen, muss man hier produzieren.“
Eine lokale Fertigung lässt sich natürlich auch im Alleingang in Indien aufbauen, Voraussetzung ist dann jedoch ein eindeutiges Alleinstellungsmerkmal, sprich unverzichtbares Know-how. „Dann lässt sich auch eine höhere Kostenbasis etablieren“, so Dr. Allerkamp. „Hat man dies jedoch nicht, kann es einfacher sein, mit einem Partner zusammen zu gehen.“ Das sieht man auch beim Ostasiatischen Verein e. V., Hamburg, so: Aufgrund finanzieller und personeller Ressourcen sowie der Entfernungen im Land biete es sich an, mit einem indischen Partner zu kooperieren. Zu finden seien sie zum Beispiel über Recherchedienste oder auf Messen. Bevor ein Vertrag geschlossen werde, sei es zudem ratsam, den potenziellen Partner durch Auskunft beim Handelsregister, durch professionelle Recherche-Dienste oder auch mit Hilfe eines Audits zu überprüfen.
Ohne eine vernünftige Serviceorganisation läuft in Indien jedoch nichts. „Ein Inder wird ein Produkt nur dann kaufen, wenn der Service stimmt“, so Bosch-Manager Allerkamp. Im Gegensatz zu Europa werde nichts weggeworfen, sondern immer wieder repariert. Das müsse schon bei der Konstruktion eines Produktes berücksichtigt werden und funktioniere nur bei einem guten Service. Auch müssten bei der Haltbarkeit landesspezifische Besonderheiten berücksichtigt werden. Beispiel Automobilbau: Kupplungen müssten etwa doppelt so strapazierfähig sein wie in Europa, das gelte auch für Stoßdämpfer. Und Hupen – das lässt sich von jedem bestätigen, der schon in Indien unterwegs war – müssten sogar die fünffache Belastung aushalten.
Bosch produziert übrigens nahezu alles für den lokalen Markt in Indien, nur einige Elektronikkomponenten werden importiert. Zugleich betreibt der Konzern in Indien sein nach Deutschland zweitgrößtes Entwicklungszentrum mit rund 350 Ingenieuren. Ein Grund: In Deutschland seien einfach nicht mehr genügend Ingenieure zu bekommen.
Bei Importen fallen vergleichsweise hohe Zölle von durchschnittlich 34 % inklusive Nebenabgaben an. Importlizenzen sind nur noch für wenige Produkte erforderlich. Näheres zu diesen so genannten „Canalised Items“ findet sich auf den Internetseiten der staatlichen Handelsorganisationen (siehe Info-Kasten „Tipps zum Surfen“). Vorsicht ist bei der Einhaltung der Importbestimmungen geboten, sonst kann es passieren, dass die Ware beschlagnahmt und nach einer Frist von 120 Tagen versteigert wird. Generell ist Indiens Außenhandel seit der Öffnung des Landes 1991 jedoch stark liberalisiert worden und Unternehmen, die vor Ort eine Niederlassung gründen möchten, können mit einem liberalen Investitionsumfeld rechnen.
Ein Thema, dem man Beachtung schenken sollte, sind die Gewerkschaften. „Generell existiert in Indien eine starke Gewerkschaftslobby, ähnlich wie in den USA“, so Bosch-Manager Allerkamp. Das gelte jedenfalls für größere Unternehmen. Anders sehe es in kleineren Betrieben aus, hier spielen Gewerkschaften keine größere Rolle. Wobei sich die Ausfallzeiten durch Streik jedoch in Grenzen halten. Dr. Allerkamp beziffert sie auf drei bis vier Tage im Jahr. Ein Traum für manche Branche in Deutschland im Jahre 2008.
Werner Götz, Chefredakteur werner.goetz@konradin.de
Produkte müssen
reparabel sein

Globalisierung
Die Größe und eine wachsende Mittelschicht machen Indien interessant als Absatzmarkt. Doch wer in Indien erfolgreich sein will, sollte auch im Land produzieren. Zum Beispiel sind Inder sehr kostenbewusst, zudem müssen Produkte spezifische Gegebenheiten erfüllen, die sich einem nur vor Ort erschließen. Ein Hemmnis sind auch die hohen Zölle für Importwaren, dagegen können Produzenten vor Ort mit einem liberalen Investitionsumfeld rechnen.

Tipps zum Surfen – eine Auswahl
  • Deutsch-Indische Handelskammer, Düsseldorf: www.indo-german.com
  • Indian Business Center, Stuttgart: www.ibcstuttgart.com
  • Deutsch-Indische Gesellschaft, Stuttgart: www.dig-ev.de
  • Indo-German-Network, Karlsruhe: https://www.india-karlsruhe.com/
  • Ostasiatischer Verein e. V., Hamburg: www.oav.de
  • Bundesagentur für Außenwirschaft: www.bfai.de
  • Geschäftskontaktbörse: www.e-trade-center.com
  • Zentrale Anlaufstelle Indien: http://goidirectory.nic.in
  • State Trading Company of India: http://stc.gov.in
  • The Minerals&Metals Trading Company: www.mmtclimited.com

  • „Ein sehr kostenbewusstes Land“

    Nachgefragt

    Das Lohnniveau in Indien gilt als niedrig…
    …täuschen Sie sich nicht. Nur wegen der Lohnkosten nach Indien zu gehen wäre falsch. Zumal die Löhne hier ordentlich steigen.
    Wie hoch sind sie bei Lapp India?
    Ein Vorarbeiter – vom Niveau her Techniker – verdient umgerechnet etwa 500 Euro, ein Arbeiter rund die Hälfte. Das gilt für Bangalore, woanders können sie höher oder auch niedriger sein. Die Steigerungsrate beträgt derzeit etwa 30 Prozent jährlich.
    Warum dann Indien?
    Weil der Markt sehr interessant ist, und um in Indien Geschäfte zu machen, muss man hier produzieren. Speziell im Kabelbereich, in dem Lapp tätig ist, haben die Länder ihre eigenen Normen. Zudem ist Indien ein sehr kostenbewusstes Land.
    Wie viel Mitarbeiter beschäftigt Lapp heute in Indien?
    Rund 250, wovon 170 hier im Werk tätig sind. Der Umsatz liegt bei rund 40 Mio. Euro, ebenfalls mit Steigerungen um 30 Prozent jährlich.
    Was sprach für den Standort Bangalore?
    In Bangalore finden sich viele technische Hochschulen und Universitäten, zudem ist das Klima für Europäer auch in Monsunzeiten gut verträglich. Zudem finden sich inzwischen zahlreiche namhafte Unternehmen hier wie Bosch, Festo oder Rittal. Dagegen sprechen der chaotische Verkehr und das enorme Wachstum der Stadt. Das gilt aber für viele Regionen in Indien.
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