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C-Teile für Industrie 4.0

Beschaffung C-Teile für Industrie 4.0
C-Teile und Industrie 4.0

Industrie 4.0: theoretisch schnittstellenfrei vom digitalen Zwilling bis hin zur voll automatisierten Produktion. Jedes zugelieferte Teil aber kann dieses Modell auf den Kopf stellen. Beispiele dafür mehren sich.

Michael Grupp
freier Journalist in Stuttgart

Zwischen einem und fünf Euro kostet ein Steuerungschip für das Motormanagement, die Klimaanlage oder für die Sitzverstellung in einem Pkw. Rund hundert Halbleiter werden aktuell in einem Mittelklassewagen verbaut. Oder auch nicht. Volkswagen musste seine Produktion am Stammsitz in Wolfsburg reduzieren, weil eben solche Chips fehlen. Bei Audi in Neckarsulm ruht seit dem 21. Januar die Produktion der Modelle A4 und A5. Das sind keine Einzelfälle: Bei Daimler stand Ende Januar 2021 die Produktion in Rastatt, bei Ford in Saarlouis sind die Bänder bis zum 19. Februar gestoppt.

Besser sieht es bei BMW und Porsche aus – aber auch dort fahren die Einkäufer auf Sicht. Die Gründe sind vielfältig: So wurden Anfang 2020 mit der sich abzeichnenden Pandemie geplante Chiplieferungen storniert oder zumindest reduziert. Infolgedessen haben die Halbleiter-Hersteller neue Märkte gesucht und sich neu ausgerichtet. Dankbare Abnehmer fanden sie beispielsweise in den Herstellern digitaler Kommunikations-Technologien. Diese Kontingente fehlen jetzt. Dazu kommen die Folgen der amerikanischen Handelssanktionen. Diese haben dazu geführt, dass betroffene Firmen den Markt kurz vor dem Inkrafttreten komplett leerkauften. Und nicht zuletzt droht noch ein (Handels-) Krieg zwischen China und Taiwan – taiwanesische Hersteller gelten seither nicht mehr als sichere Bank.

Das C-Teil als Politikum

Das klassische Schreckensszenario rund um ein C-Teil hat sich offensichtlich gewandelt: Es droht nicht mehr der Ausfall eines langjährigen Stammlieferanten, es ist vielmehr das komplexe Umfeld, welches ein einzelnes Unternehmen nur schwer überschauen und überhaupt nicht beeinflussen kann. Ähnlich komplex wie politische und pandemische Risiken gestalten sich Unwägbarkeiten in Bezug auf bestimmte Rohstoffe, Transportkontingente oder auch gesetzliche Vorschriften.

Zukünftig wird sich effizientes C-Teile-Management im Industrie-4.0-Umfeld deshalb mehr denn je in eine strategische Planungsphase sowie in die operative Umsetzung im Unternehmen selbst aufgliedern.

Dual Source beziehungsweise Multi Source-Strategien bedeuten in diesem Umfeld, statt auf konkurrierende asiatische Wettbewerber zu setzen, sich zumindest eine europäische oder amerikanische Alternative aufzubauen. Der Trend zur Re-Globalisierung zeichnet sich bereits ab: Eine Studie der Unternehmensberatung Abels & Kemmner belegt, dass sich inzwischen ein Rückgang der bis 2019 ungebremsten Globalisierung abzeichnet. Die Autoren sehen eine „Tendenz zurück nach Europa“. Rund zwei Drittel der 250 befragten deutschen Manager und Supply Chain-Experten erwarten eine steigende Bedeutung der nationalen und europäischen Beschaffungsmärkte.

Diese Entscheidung muss jedes Unternehmen im Spannungsfeld von Beschaffungskosten und Versorgungssicherheit selbst treffen. Noch immer besitzt „Asia Sourcing“ Kostenvorteile. Aber spätestens 2020 ist deutlich geworden, dass auch bei C-Teilen der günstigste Preis nicht automatisch der beste ist. Versorgungssicherheit, Serviceleistungen und zuverlässige Qualität besitzen ebenfalls ihren Wert. Multiple Sourcing aus mehreren Weltregionen, kombiniert mit höheren Wertschöpfungstiefen und aufgestockten Sicherheitsbeständen werden zusätzliche Kosten verursachen. Ganz zu schweigen von Einführungs- oder Wechselaufwänden: beispielsweise für die Recherche und Identifikation alternativer Beschaffungsquellen sowie für die Einbindung neuer Lieferanten und Produkte in das eigene Wertschöpfungssystem.

Vom Weltmarkt auf den eigenen Hof

Halbleiter, Schrauben und Kleinteile machen nur 5 % des Beschaffungsvolumens für die Produktion aus. Durch ihre Vielzahl verursachen sie aber bis zur drei Vierteln des gesamten Beschaffungsaufwandes. Effizientes C-Teile-Management fokussiert deshalb nicht die Stückkosten, sondern die Wirtschaftlichkeit der zugrunde liegenden Einkaufs-, Logistik- und Verarbeitungsprozesse. Voraussetzung dafür ist ein schnittstellenfreies Daten-Management vom Lieferanten bis zum eigenen Shopfloor. Die Daten dazu sind im Industrie-4.0-Umfeld vorhanden, sofern sie im Unternehmen gesammelt, aggregiert und analysiert werden. Der technologische Horizont reicht dabei vom Sensor im Feld bis zum übergeordneten MES.

Traditionelle Konzepte setzen auf On Premises-Ressourcen mit eigenen, im Unternehmen installierten IT-Strukturen. Zunehmend werden sich hier aber Cloud-Lösungen durchsetzen – auch und gerade im Hinblick auf die Datensicherheit. Inzwischen sind Cloud-Systeme mit professionellen Firewalls und automatisierten Updates unter dem Strich sicherer als hausgemachte Lösungen. Darüber hinaus erleichtern standardisierte Cloud-Schnittstellen den Datenaustausch entlang des gesamten Workflows. Die Beratungsspezialisten von Gartner erwarten in diesem Bereich in den nächsten Jahren Wachstumsraten von jährlich mehr als 10 %.

Jeder Sensor zählt

Zwei Anwendungen für intelligente Logistikkonzepte auf dem Shopfloor präsentieren Siemens beziehungsweise Würth. Mobile Siemens-Materialcontainer unterstützen zum Beispiel die Verteilung auf dem Shopfloor in unterschiedlichen Fertigungsstufen. Im Lager, auf dem Weg oder an der Maschine mussten bei der Identifizierung bisher Barcode-Scanner helfen. Wurde der Container falsch abgestellt oder gar nicht ausgeliefert, musste der Arbeiter auf die Suche gehen – zulasten seiner Effizienz. Das Funkortungssystem Simatic RTLS (Real-Time Locating System) unterstützt im Gegensatz dazu eine kontinuierliche und präzise Ortung innerhalb der gesamten Produktionsfläche. Der Standort jedes Behälters steht Realtime zur Verfügung – im Materialwirtschaftssystem wie auch auf mobilen Industrie-Tablets.

Zum effizienten C-Teile-Handling gehören auch automatisierte Kanban-Lösungen auf Feldebene. Würth Industrie Services bietet in diesem Bereich ein RFID-basiertes, automatisches Warenfluss-System. Mit passiven Funkchips wird die Beschaffungslogistik inklusive aller Nachbestellungen für C-Teile vollständig automatisiert. Ist ein Behälter leer, stellt der Mitarbeiter ihn auf ein spezielles Kanban-Regal. Die integrierten Radio Frequency Identification (RFID)-Transponder kommunizieren daraufhin mit dem Warenwirtschaftssystem. Sie übermitteln zum Beispiel den Behältertyp, Artikelnummern, Bezeichnungen, Bestandsmengen und die Chargen.

Noch einen Schritt weiter geht iBin, ebenfalls von Würth. Dieser automatisierte Kanban-Behälter überwacht seine Füllmenge visuell via Kameramodul. Damit kann im Bedarfsfall nicht nur eine automatisierte Bestellung ausgelöst werden – das Warenwirtschaftssystem kennt vielmehr in Echtzeit sämtliche Lagerbestände. Der Vorteil solcher intelligenten Systeme: Der Nutzer sichert sich einen fehlerfreien, aufwandslosen Beschaffungsprozess. Die Anbieter stellen eine Halbierung der Prozesskosten in Aussicht. Eine solche Lösung verlangt allerdings maßgeschneiderte Rahmenverträge, welche Preise, Lagerorte, Lieferzeiten und Bestandsmengen festlegen. Nach der Unterschrift läuft der Beschaffungsprozess aus Sicht des Kunden quasi von alleine; ab diesem Zeitpunkt ist allein der Lieferant für die Bestandsführung der C-Teile verantwortlich.

Aus Daten werden Teile

Industrie 4.0 ist ein technologischer Ansatz, der durch Digitalisierung Transparenz schafft. In Kombination mit künstlicher Intelligenz können IT-Systeme zukünftig Bedarfe über alle Wertschöpfungs-Kettenglieder ermitteln und beauftragen. Durch die Lernfähigkeit der Systeme sind sie nach einer Trainingsphase genauer und schneller als ihre menschlichen Kollegen. Erste Verhandlungsbots sind in der Erprobun. SAP arbeitet an einem Chatbot, der Verträge überprüft und auf der Grundlage bestehender Dokumente selbstständig Verbesserungsvorschläge unterbreitet: zum Beispiel maßgeschneiderte Zahlungsbedingungen, welche die gültigen Steuersätze und Versicherungsbeiträge berücksichtigen. Das System sieht auch Vertragsklauseln vor, die dem Beschaffungsrisiko Rechnung tragen. Im laufenden Betrieb analysieren Algorithmen die jeweiligen Konditionen und vergleichen sie mit aktuellen Angeboten und Marktpotenzialen. Sie überwachen darüber hinaus alle Logistikprozesse, Übergaben und Freigaben und schlagen gegebenenfalls proaktiv Alarm.

Der Mensch macht‘s

Allerdings ist in den letzten Monaten eines deutlich geworden: Der entscheidende Faktor ist und bleibt der Mensch. Er fällt strategische Entscheidungen, er führt Verhandlungen und er pflegt die Lieferbeziehungen. Covid-19 hat die Digitalisierung in der Industrie wie auch im Alltagsleben beschleunigt, die Globalisierung dagegen vorerst gebremst. Wie nachhaltig diese Entwicklungen sind, wird die Zukunft weisen. Aber auch in Zukunft werden sich Menschen um vermeintlich billige C-Teile wie Schrauben oder Halbleiter kümmern.


Serie Industrie 4.0

Wir begleiten Sie mit unserer Serie auf dem Weg zur Digitalisierung. In dieser Ausgabe beleuchten wir Einkauf und Management von C-Teilen im aktuellen digitalen und politischen Umfeld. Alle Beiträge finden Sie auch online unter: www.industrieanzeiger.de


Menschen, die sich nur am Preis orientieren, werden die gerechte Beute unlauterer Verkäufer.“

Quelle: John Ruskin, Wirtschaftsphilosoph

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