Startseite » Management »

Erwartungen offen und klar äußern

Führungsqualität neurobiologisch betrachtet
Erwartungen offen und klar äußern

Erwartungen offen und klar äußern
Mitarbeitern sollte klar gesagt werden, was von ihnen erwartet wird. Wichtig ist, dies offen und eindeutig zu tun, sie beim Erreichen der vorgegebenen Ziele zu unterstützen und ihnen die dafür nötigen Freiräume zu lassen Bild: Archiv Bereits eine unoffene Kommunikation, verdeutlicht der Freiburger Neurobiologie-Professor Dr. Joachim Bauer, werde vom Gehirn als Gefahr registriert
Leistungsqualität und Führungsqualität hängen eng zusammen. Die Erkenntnisse der Hirnforschung bestätigen dies. Fakten, die Führungskräfte nicht automatisch kennen können, aber in ihrem ureigenen Interesse wissen sollten.

„Auftreten und verbales Verhalten der Führungskräfte, das ja auch enormen Vorbild- und Steuerungscharakter für den kollegialen Umgang hat, sind mittlerweile auch durch die Hirn- und Stressforschung als wesentliche Leistungs- und Ergebnisfaktoren identifiziert“, erklärt der Neurobiologe Professor Dr. Joachim Bauer, Arzt und Psychotherapeut am Universitätsklinikum Freiburg. Die Erkenntnisse zeigten, „dass eine fordernde, gleichwohl aber stets berechenbare und unterstützende betriebliche Beziehungskultur ein Faktor mit beachtlichem Einfluss auf die Leistungsdynamik der Mitarbeiter ist.“

Um die Tragweite dieser Feststellung nachvollziehen zu können, muss man sich die Fähigkeit des Gehirns, zwischenmenschliche Erlebnisse in biologische (biochemische oder bioelektrische) Signale umzuwandeln, vor Augen führen. „Dadurch übt das Gehirn nicht nur Einfluss auf zahlreiche Körperfunktionen aus, es verändert unter dem Einfluss der von ihm selbst erzeugten Signale auch seine eigene Mikrostruktur“, erläutert Bauer den grundlegenden Zusammenhang von Führungsverhalten und der neurobiologischen Reaktion darauf.
Etwas detaillierter stellt sich dieser Zusammenhang so dar: Alle bedeutsamen zwischenmenschlichen Erfahrungen werden von Nervenzell-Netzwerken in der Großhirnrinde (Cortex) und in dem mit ihr verbundenen Limbischen System (dem Bereich im Gehirn, wo unter anderem die Gefühle entstehen) gespeichert. Aktuelle Situationen werden in der Großhirnrinde zu einem inneren Bild der äußeren Situation komponiert und durch einen permanent stattfindenden Abgleich mit bewusst oder unbewusst gespeicherten früheren Erfahrungen aus ähnlichen Situationen bewertet.
Sinn der Sache ist, erläutert Bauer, „das Erkennen einer potenziellen äußeren Gefahrenlage.“ Und als solche nun stufe das Gehirn nicht nur virtale, das Leben unmittelbar gefährdende Bedrohungen des Organismus ein, sondern auch Gefährdungen zwischenmenschlicher Beziehungen. „Als Gefahrenlage bewertet das Gehirn jeden drohenden Verlust von Kontrolle und Sicherheit im zwischenmenschlichen Bereich“, stellt Bauer klar. Bereits eine unoffene Kommunikation werde als Gefahr registriert. Ein ungutes Empfinden, dessen beunruhigende Kraft vermutlich jeder kennt.
Im Gegensatz dazu löst alles, was offen klar und für beide Seiten berechenbar abläuft, keine Alarmsignale aus. Welche Konsequenz ergibt sich aus diesem Wissen für Vorgesetzte? Bauer: „Es ist keineswegs nötig, Mitarbeiter in Watte zu packen!“ Sich als Vorgesetzter im neurobiologischen Sinne führungsmäßig richtig zu verhalten, erlaube es beispielsweise durchaus und verlange es sogar, den Mitarbeitern offen und klar zu sagen, was von ihnen erwartet werde und wie ihre zu erreichenden Ziele aussehen. Aber es sei unbedingt wichtig, das wirklich offen und klar zu tun und die Mitarbeiter bei der Erreichung der vorgegebenen Ziele zu unterstützen und ihnen Freiräume bei deren konkreter Realisierung zu lassen.
Offenheit und Unterstützung, darauf kommt es für Bauer im Führungsgeschehen an. Aus drei Gründen:
  • Biografische Vorerfahrungen, die durch verlässliche zwischenmenschliche Beziehungen und durch Erfahrungen sozialer Unterstützung geprägt sind, hinterlassen in den Nervenzell-Netzwerken der Großhirnrinde und des Limbischen Systems ein Muster, das die Bewältigung aktueller Herausforderungen begünstigt.
  • Bei Vorerfahrungen, die durch wenig zwischenmenschliche Unterstützung geprägt sind, kann es bei äußeren Belastungen bereits dann zu einer massiven Aktivierung der biologischen Alarmsysteme kommen, wenn Menschen mit einem anderen Erfahrungshintergrund noch keinerlei Bedrohung oder Gefahr empfinden.
  • So bedeutsam die vom Gehirn gespeicherten früheren Erfahrungen für die Bewältigung einer aktuellen Belastungssituation auch sind, alleine sind sie dafür aber nicht verantwortlich, wie Studien aus der Stressbiologie deutlich machen. Ihnen zufolge kommt eine mindestens ebenso bedeutsame Rolle der gegenwärtigen sozialen Unterstützung zu, die jemand in einer aktuellen Situation erhält. Wie die Stressforschung belegt, hat diese Unterstützung in Belastungssituationen eine messbare Verminderung der Stresshormone zur Folge.
Aus diesen Erkenntnissen leitet Bauer seine Botschaft an die Führungskräfte ab: Alle Maßnahmen, die Mitarbeitern die soziale Unterstützung entziehen, sind kontraproduktiv. Neurobiologische Untersuchungen zeigen, dass soziale Unterstützung die Leistungsbereitschaft und -fähigkeit steigert. Deswegen seien auch Verhaltensweisen wie beispielsweise die Mitarbeiter gegeneinander auszuspielen, um sie zu höherer Leistung zu bewegen, oder einzelne Mitarbeiter durch Abkoppelung vom Informationsfluss unter Druck zu setzen, unter Gesichtspunkten des Leistungsanreizes unsinnig und darüber hinaus auch inhuman.
Hingegen stellten klare Leistungsanforderungen und unmissverständliche Vorgaben dessen, was erwartet wird, aus neurobiologischer Sicht keinen Widerspruch zu einer guten, unterstützenden Führung und Beziehungskultur dar.
Vorausgesetzt,
  • die Vorgaben sind verlässlich und nicht willkürlich und unterliegen keinen nicht nachvollziehbaren Veränderungen;
  • sie überfordern das Leistungsvermögen nicht, wobei eine Überforderung auch dadurch gegeben sein kann, dass die Mitarbeiter keine Möglichkeit haben, in regelmäßigen Abständen mit dem Vorgesetzten und miteinander zu kommunizieren und
  • die Mitarbeiter haben einen eindeutigen Gestaltungsspielraum.
Neurobiologisch gesehen, fasst Professor Joachim Bauer zusammen, „sind Anforderungen nur dann leistungsfördernder, positiver Stress, wenn sie für das Individuum tatsächlich zu bewältigen sind.“ Von daher sei es falsch, die Anforderungen beispielsweise über den Zielsetzungsmechanismus oder Personalverknappung beziehungsweise Arbeitsverdichtung immer weiter nach oben zu schrauben. Anforderungen sollten nicht knapp unterhalb der Überforderungsgrenze liegen, „weil sie dann eine antizipierende Überforderungsangst und damit die Stressaktivierung auslösen, sondern sie sollten einen klaren Abstand zur Überforderungsgrenze haben“.
Hartmut Volk Freier Publizist, Bad Harzburg

Lesetipp

  • Das Gedächtnis des Körpers – Wie Beziehungen und Lebensstile unsere Gene steuern, Joachim Bauer, Piper Verlag, München, 18. Auflage 2012, 272 Seiten, 9,99 Euro, ISBN 3-492-30185-1
  • Führen durch Persönlichkeit – Abschied von der Führungstechnik, Ferdinand Rohrhirsch, Gabler Verlag, Wiesbaden, 2. überarbeitete und ergänzte Auflage 2011, 258 Seiten, 44,95 Euro ISBN 3-8349-2623-X
  • Unternehmen Wahnsinn – Überleben in einer verrückten Arbeitswelt, Theresia Volk, Kösel Verlag, München 2011, 220 Seiten, 17,99 Euro ISBN 3-466-30906-9
  • Unsere Whitepaper-Empfehlung
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 7
Ausgabe
7.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Aktuelle Whitepaper aus der Industrie

Unsere Partner

Starke Zeitschrift – starke Partner


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de