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Fehlende Tüftler bremsen Boom

Standort: Konzepte gegen Fachkräftemangel gesucht
Fehlende Tüftler bremsen Boom

Baden-Württemberg ist einer der bedeutendsten Industriestandorte weltweit und europaweit die wichtigste Maschinenbauregion. Die Branche boomt, und das ganz besonders im Südwesten. Das Problem: Fachkräfte für die Industrie sind absolut Mangelware.

Es ist kein Luxusproblem mehr. „Der Arbeitsmarkt ist im wahrsten Sinne des Wortes leergefegt“, sagte Dr. Thomas Lindner, Vorsitzender des VDMA Baden-Württemberg. Zum wiederholten Male klagte der Unternehmer und Verbandsmanager bei der letzte Jahrespressekonferenz über die Notlage: „Der Mangel an Arbeitskräften ist nicht nur eine Bremse für den Beschäftigungsaufbau, sondern auch für weiteres Wachstum in unserer Branche.“

Baden-Württemberg ist europaweit die Maschinenbauregion Nummer eins. 25 von 1000 Menschen arbeiten in diesem Industriezweig. Nur in der Emilia Romagna in Norditalien errechnet sich nach VDMA-Angaben ein ähnlich hoher Wert. Zum Vergleich: In Deutschland liegt diese Kennzahl bei 11,5. Jede dritte deutsche Maschine kommt aus dem Südwesten.
Rund 4000 vakante Positionen für Ingenieure und Facharbeiter konnten vergangenes Jahr nicht besetzt werden. So lautet ein Ergebnis der regelmäßigen Mitgliederbefragung des Maschinenbauverbandes. Und das, nachdem die Branche von 2005 bis Mitte 2007 über 20 000 Arbeitsplätze neu besetzt hatte. Fast zwei von drei neuen Jobs in der baden-württtembergischen Industrie sind im Maschinen- und Anlagenbau entstanden, errechnete das Statistische Landesamt.
Beim VDMA hofft man nun, dass die vielfältigen Nachwuchsinitiativen greifen. Frauen sollen zunehmend für Technik-Berufe begeistert werden. Die Mitgliedsunternehmen werben mit Tagen der offenen Tür um Nachwuchs. Erste Erfolge gibt es bereits, wie VDMA-Chef Lindner bestätigte, die Zahl der Studienanfänger steigt. „Diese Ingenieure benötigen wir aber auch dringend“, betont Lindner, „denn in den nächsten Jahren wollen 75 Prozent der Unternehmen des baden-württembergischen Maschinen- und Anlagenbaus noch mehr Ingenieure einstellen, weil immer mehr Aufgaben mit Ingenieuren besetzt werden.“
Die Betriebe profitieren vom derzeitigen Investitionsgüterboom, der Investitionsstau löst sich auf. Sechs Jahre in Folge mit hohen Wachstumsraten lassen den Maschinenbauumsatz im Ländle dieses Jahr voraussichtlich auf über 60 Mrd. Euro wachsen. Im Jahr 2002 lag er knapp über 40 Mrd. Euro.
Was die Industrie im Land so stark macht, ist nicht nur der Tüftler-Geist, den man den Menschen im Südwesten nachsagt. Es ist das Miteinander von mittelständischen Ideenschmieden und Produktionsbetrieben sowie den großen Konzernen. Zuliefer-Schwergewichte wie Bosch und Automobilbauer wie Daimler sowie ihre vielen Zulieferer sind wichtige Abnehmer für die Maschinenbauprodukte. Räumliche Nähe, Tradition sowie spezialisierte Forschungsstätten und Technologietransfer bringen immer bessere Produkte und Verfahren hervor.
Das Erfindungspotenzial in Baden-Württemberg ist europaweit einzigartig. Laut des vom Statistischen Landesamt veröffentlichten Innovationsindex ist das Ländle EU-weit die Region mit der höchsten Innovationskraft. Nach Zahlen der Landesregierung wendete die Wirtschaft im Südwesten 12,3 Mrd. Euro (2006) pro Jahr für F+E auf. Das sind 3,9 % des Bruttoinlandsprodukts – ein Spitzenwert. Von 10 000 Erwerbstätigen arbeiten 154 in der Forschung und Entwicklung, so viele wie in keinem anderen deutschen Bundesland. Nirgendwo sonst werden so viele Patente angemeldet.
Doch die guten – wenn nicht gar die besten Köpfe – kehren dem Ländle zunehmend den Rücken, beobachten Fachleute. Fehlen nach offiziellen Angaben der Industrie im Südwesten 20 000 Ingenieure, nimmt die Auswanderung zu. Laut Statistischem Landesamt ist die Zahl der aus Baden-Württemberg ausgewanderten Deutschen zwischen den Jahren 2000 und 2006 von knapp 18 000 auf rund 25 000 Personen gestiegen.
Eine groß angelegte Studie, die dieser Tage veröffentlich wurde, kommt zu einem Ergebnis, das Wirtschaftsminister Ernst Pfister Sorgen bereitet: Es sind tatsächlich besonders hoch qualifizierte Personen, die das Ländle verlassen. Fast immer geben berufliche Gründe den Ausschlag: In der Schweiz und den USA beispielsweise lässt sich mehr verdienen, auch die Karrierechancen sind besser. So verfügen von den 115 000 Deutschen, die 2007 in der Schweiz erwerbstätig waren, 64 % über eine höhere Berufsbildung, einen Hochschulabschluss oder eine Promotion.
Viele baden-württembergischen Auswanderer haben sich laut der Studie noch nicht entschieden, ob sie dauerhaft in der Fremde bleiben wollen. Es habe sich herausgestellt, dass sich ein Großteil der Menschen eine Rückkehr vorstellen könne, dabei aber eine Reihe von Problemen sieht. Wirtschaftsminister Ernst Pfister will sich nun im Rahmen der bestehenden Fachkräfte-Initiative des Landes gezielt um solche Rückkehrwilligen bemühen. Man will zentrale Ansprechpartner für Rückkehrer einrichten. Das Ministerium soll sich um die Anerkennung von Versorgungsansprüchen und Qualifikationen kümmern. „Mein Ziel ist es natürlich, dass diese wertvollen Fachkräfte nach ein paar Jahren – bereichert um wertvolle Erfahrungen – wieder zurückkehren.“
Tilman Vögele-Ebering tilman.voegele@konradin.de
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