Wenn Sie dies lesen, sitzen Sie vermutlich nicht auf einem ergonomischen Stuhl, sondern arbeiten mit dem Tablet von unterwegs aus und stimmen sich auch außerhalb der Arbeitszeiten per E-Mail ab. Genau hier zeigen sich die Kernthemen des modernen Arbeitsschutzes: die Arbeitsverdichtung im demographischen Wandel und eine rasant zunehmende Mobilität der Arbeitsplätze. Auch wenn der moderne Arbeitsschutz längst nicht mehr nur die reine Unfallvermeidung im Blick hat, gelingt es in Ländern wie Deutschland an dieser Stelle nicht, das immerhin niedrige Niveau an Arbeitsunfällen und Krankenständen zu reduzieren. Ursache scheint ein wenig verbreitetes proaktives Sicherheitsverständnis zu sein.
Gefahren der Arbeitsverdichtung
Bislang galten die meisten Regelungen des Arbeitsschutzes für konstante Ortsverhältnisse. Mit der Digitalisierung und standortübergreifenden Vernetzung von Menschen und Prozessen entstehen allerdings eine Vielzahl neuer Unfallgefahren und Gesundheitsgefährdungen. Statistisch gesehen steigt mit Überstunden zudem das Risiko eines Unfalls am Arbeitsplatz oder auf dem Heimweg. Um Verletzungsgefahren abzuwehren, ist eine ungestörte Aufmerksamkeit entscheidende Voraussetzung. Werden aber immer mehr Aufgaben gleichzeitig ausgeführt, ohne die dafür notwendigen Wissens- und Handlungsgrundlagen zu legen, geraten die mentalen Ressourcen an ihre Grenzen. Folglich treten mehr Gefährdungspotenziale auf und menschliche Fehler werden beinahe zwangsläufig. Hinzu kommen neue Fertigungstechniken zwischen Mensch und Maschine. Sie führen zweifelsfrei Arbeitserleichterungen, aber genauso zu neuen Unfallgefahren. Unter diesen Bedingungen ist der Arbeits- und Gesundheitsschutz längst keine eindimensionale Aufgabe mehr.
ISO 45001 vereint traditionellen Arbeitsschutz und betriebliches Gesundheitsmanagement
Nicht die primäre Unfallvermeidung ist das Ziel, sondern eine Sicherheitskultur, die Risiken und Chancen im gesamten Unternehmenskontext erfasst. Hierzu zählen Aspekte der Arbeitssicherheit in den Produktionsstandorten genauso wie stressbedingte Faktoren durch mobiles Arbeiten, die Erkrankungen oder Unfälle auslösen können. Ein bereits bewährtes Managementsystem bietet ab März 2018 die ISO-Norm 45001. Sie führt erstmals den traditionellen Arbeitsschutz mit dem betrieblichen Gesundheitsmanagement zusammen.
Widerstandsfähiger werden
Vorteil der ISO 45001 ist die sogenannte High-Level-Structure. Mit ihr ist die Norm ein international gültiger Maßstab und mit allen anderen Normen verknüpfbar. Sie definiert keine spezifischen Kennziffern, sondern fordert eine kontinuierliche Verbesserung der Performance-Indikatoren. Daher ist die ISO 45001 den wachsenden Ansprüchen im betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz besser gewachsen als die bisherige BS OHSAS 18001; deren Zertifikate ab März 2021 ihre Gültigkeit verlieren.
Zudem fasst die ISO 45001 den Unternehmenskontext deutlich weiter und berücksichtigt neben den Mitarbeitern alle sogenannten interessierten, externen Parteien. Häufig werden bei der Beschaffung und Koordination von Lieferanten die gesundheitlichen Gefahrenquellen nicht bestimmt. Konkret gilt zu überprüfen, ob Arbeitsmittel, Rohstoffe und gelieferte Produkte überhaupt mit den Anforderungen des Gesundheits-Managementsystems übereinstimmen. Zudem gehören auch die Interessen der Nachbarn zum Kontext des Unternehmens dazu. Wenn etwa der öffentliche Verkehr am Betriebsgelände entlangführt.
ISO 45001 ist international gültig
Die neue Arbeitswelt verwischt die Grenzen zwischen ortsgebundener und flexibler Arbeit, was den Kern des Arbeitsschutzes wesentlich verändert: von der reinen Unfallvermeidung hin zu einer ganzheitlichen Gesundheitsprävention. Damit dies gelingt, muss eine Sicherheitskultur Einzug halten, die täglich wachsam und sensibel für neue Gesundheitsgefahren sowie die Chancen zur Prävention ist. Ebenso muss die Unternehmensleitung ein deutliches Engagement zeigen und dies im Falle einer Zertifizierung auch nachweisen können. Mit der ISO 45001 erfüllen Unternehmen nicht nur die regulatorischen Vorschriften, sondern werden im Sinne einer kontinuierlichen Produktivität insgesamt widerstandsfähiger.