In der idealen Industrie- 4.0-Welt kommuniziert jede Komponente und Maschine innerhalb eines Automatisierungssystems mit jeder anderen im Netzwerk. Doch wie werden die einzelnen Komponenten intelligent und kommunikationsfähig? Und wie gelangen Informationen von der Feldkomponente ins ERP-System und wieder zurück?
Dass ein Thema im industriellen Umfeld einen regelrechten Hype auslöst, geschieht eher selten. Und doch ist genau das in den letzten Jahren mit Industrie 4.0 passiert. Kaum ein Unternehmen hat sich nicht mit der vierten industriellen Revolution beschäftigt – oft stand dabei allerdings mehr das Schlagwort als eine praxistaugliche Lösung im Mittelpunkt.
Dass das Thema in der Praxis angekommen ist, wird auch die diesjährige Hannover Messe zeigen. Unter dem Leitthema „Integrated Industry – Creating Value“ werden rund 500 konkrete Anwendungsbeispiele für Industrie 4.0 zu sehen sein. Dabei geht es um höhere Produktivität, Geschwindigkeit und Flexibilität; gleichzeitig wünschen sich die Verbraucher zunehmend individualisierte Produkte – Stichwort Losgröße eins. Das alles verlangt nach einer möglichst flexiblen Fertigung mit vernetzten Produktionsabläufen, in der Maschinen, Anlagen und Werkstücke Daten und Informationen in Echtzeit austauschen.
Letztendlich geht es um smarte Fabriken, in denen jede Komponente und Maschine eines Automatisierungssystems mit jeder anderen im Netzwerk selbstständig miteinander kommunizieren kann. Mehr noch: Am Ende soll die direkte Kommunikation von der Feldebene in die Leitebene, also ins ERP-System, und zurück stehen. Denn diese – da sind sich alle Experten einig – ist der Schlüssel zum Internet der Dinge beziehungsweise zur Industrie 4.0.
Die Fabrikwelt steht unter großem Veränderungsdruck
Warum gerade die Kommunikation von der Feldebene bis ins ERP-System und zurück so wichtig ist, erklärt Prof. Dr. Detlef Zühlke, Wissenschaftlicher Direktor Innovative Fabriksysteme am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Kaiserslautern: „Unsere Fabrikwelt steht momentan unter einem großen Veränderungsdruck. Der Kunde kann sich mittlerweile an seinem PC Produkte individuell konfigurieren und dann in Sekunden per Mausklick bestellen. Er möchte dann erstens eine schnelle Lieferung und zweitens ein permanentes Tracking seines Auftrags. Und die Firmen müssen in der Lage sein, immer kleinere Stückzahlen hochgradig individualisierter Produkte wirtschaftlich herzustellen.“
Hierzu braucht es laut Zühlke neben gut ausgebildeten Fachkräften agile Fertigungsanlagen, die man schnell an veränderte Marktgegebenheiten anpassen kann. „Wenn wir Sensoren oder Aktoren so einfach einbinden und nutzen können, wie wir das heute bei unseren PC-Druckern gewöhnt sind – Stichwort Plug&Play – haben wir eine wesentliche Voraussetzung für agilere Produktionssysteme geschaffen“, ist der DFKI-Direktor überzeugt.
Bedarf nach noch mehr Sensorwerten wird weiter wachsen
Der Fabrikautomatisierer Pepperl+Fuchs sieht Feldkomponenten wie Sensoren als Schrittmacher der vierten industriellen Revolution. Die Basis von Industrie 4.0 ist für die Mannheimer die Vernetzung möglichst vieler Komponenten des Automatisierungssystems. Der Mehrwert entstehe aber nicht über den neuen Übertragungsweg – die Cloud –, sondern dadurch, dass prinzipiell überall der Zugriff auf alle Informationen vorliegt und somit neue Möglichkeiten entstehen, die sich erst aus der Verknüpfung der Daten ergeben. Für Pepperl+Fuchs spielen Sensoren in diesem Szenario eine herausragenden Rolle, da sie Daten aus dem realen Prozess liefern, somit also Information aus erster Hand.
Aus dieser neuen Situation heraus werde der Bedarf nach noch mehr Sensorwerten weiter wachsen. Auch die Mannheimer sehen im reibungslosen Datentransfer über die Hierarchien des Systems hinweg die Voraussetzung, um mehr Daten zu verknüpfen und damit optimierte Steuer- und Regelstrategien zu berechnen. Dabei geht es um die Geschwindigkeit des Datentransfers, aber auch um eine schnelle und sichere Integration von weiteren Feldgeräten in eine Anlage, also um optimiertes Engineering.
Warum dies so ist, erläutert Dr. Markus Köster, Leiter Technologie Elektronik bei Weidmüller in Detmold: „Bisher war es so, dass die im Feld erzeugten Daten bis zur Steuerung gelangt sind und dann in der Steuerung für ihren Automatisierungszweck verarbeitet wurden.“ In der Industrie 4.0 sei es aber so, dass auch andere Systeme diese Daten nutzen müssen und darüber hinaus auch noch Informationen aus dem Feld benötigen – gegebenenfalls von anderen Sensoren. Im Prinzip müsse man weitere Daten erzeugen, die sich dann von höher gelagerten Systemen verarbeiten lassen. „Das können zum Beispiel Energiemanagementsysteme sein, die auf diese Daten zugreifen“, sagt Köster. Der erste Schritt sei also, alle vorhandenen Daten zu bekommen, aber zusätzlich auch neue Daten. Beim Thema Energiemanagement habe Weidmüller beispielsweise seinen Energy Meter, der die Energieverbräuche des Prozesses oder der Produktionsanlage im Detail aufnimmt.
„Meist sind das Informationen, die man dazu nutzt, um den Prozess weiter zu optimieren und Energie effizienter einzusetzen“, erklärt er. „Deswegen sind es zusätzliche Daten, etwa Analysedaten vom Sensor, die erst einmal mit dem Fertigungsprozess, den ich steuern will, nichts zu tun haben“, so Dr. Köster. Entlang der klassischen Automatisierungspyramide von Ebene zu Ebene – aus der Feld- in die Steuerungs- zur ERP-Ebene – seien viele Informationen verloren gegangen. „Daher musste man den Maschinenbauer befähigen, dass er die Informationen für höher gelagerte Ebenen bereitstellt. Eine richtige Durchgängigkeit bis runter auf die Feldebene hat es in dem Sinne nicht gegeben“, bemängelt er. Zudem gibt es laut Köster derzeit kein durchgängiges Kommunikationsprotokoll oder die erforderlichen durchgängigen Standards, sondern jeder Hersteller hat sein eigenes Protokoll.
Aber gerade die Kommunikation über Systeme verschiedener Hersteller oder Integratoren hinweg, muss in einer Industrie-4.0-Welt geregelt sein“, sagt Rihab Ehm, Marketing Managerin TIA Portal in der Siemens Division Factory Automation. „Hier bieten wir mit der Integration von OPC UA in unserer S7-1500 CPU einen wichtigen Beitrag.“ In der digitalen Fabrik würden Datenvolumina zunehmen, deshalb brauche es stabile Netze, Geräte, und flexibel parametrierbare Feldbusse bis hin zu leistungsfähigen Datenbackbones auf Werks- und Unternehmensebene. „Gerade intelligente Sensoren und Aktoren geben uns die Möglichkeit, die Parameter wie Grenzwerte und Messbereiche, an neue und dynamisch verwaltete Rezepte zu adaptieren, ohne manuell eingreifen zu müssen – der Loop von Bestellung zu Sensor/Aktor wird deshalb digital geschlossen“, verdeutlicht sie.
In den smarten Fabriken der Industrie 4.0 muss also jede Komponente eines Automatisierungssystems – wie Sensor oder Aktor – mit jeder anderen im Netzwerk direkt kommunizieren können. Im Umkehrschluss heißt das, dass jeder Sensor, um kommunikationsfähig zu werden, eine eigene IP-Adresse benötigt. Die große Frage ist, ob sich das in der Praxis überhaupt umsetzen lässt. „Je nach Intelligenz und Wert der Aktoren/Sensoren, brauchen diese eigene IP-Adressen, was tendenziell eher zunimmt. Einfache Sensoren brauchen dies bis auf absehbare Zeit aber nicht. Deren Daten können über intelligente Peripheriegeräte eingesammelt werden“, meint Ehm. Auf Automatisierungsseite und in Maschinennähe machen laut der Siemens-Managerin zentrale Steuerungen Sinn, die so als Datenpuffer dezentrale, autarke Lösungsschritte selbstständig bearbeiten können.
IP-Adresse für jedes noch so kleine Element in einem Automatisierungssystem
DFKI-Forscher Zühlke glaubt dagegen, dass jedes kleinste Element in einem Automatisierungssystem mit einer IP-Adresse versehen sein und sich damit in ein Netzwerk einbinden wird. „Mit dem Übergang auf IP V6 sind die technischen Voraussetzungen geschaffen worden, dass dies machbar wird“, verdeutlicht er und fragt: „Warum sollte ein einfacher induktiver Berührungsschalter keine IP-Adresse bekommen und sich damit in das Netzwerk einklinken?“ Zum einen werde gerne die Kostenfrage dagegen gehalten. Das sei heute sicher ein Killerargument, aber wenn man die technische Entwicklung extrapoliert, sieht er in drei bis fünf Jahren durchaus eine realistische Chance, dass sich ein IP-Bero rechnet.
„Das zweite Gegenargument ist immer das Zeitverhalten eines IP-basierten Netzwerks. Sensoren und Aktoren kommunizieren momentan noch mit recht geringen Datenmengen, dafür werden aber hohe Anforderungen an die Übertragungsgeschwindigkeit und Latenz gestellt“, erklärt Zühlke die Hürde. Auch hier werde man noch einige Jahre warten müssen, bis ein Industrial Internet mit den geforderten Eigenschaften zur Verfügung stehe.
Skeptischer ist da sein Dr. Markus Köster von Weidmüller. Für günstige Sensoren wie Analog-Sensoren oder Temperatursensoren werde das sicherlich schwer umzusetzen sein. „Da noch die Technik zu integrieren ist, damit man auch eine IP-Adresse hinterlegen kann, ist es letztendlich eine Kostenfrage. Da bin ich skeptisch, dass das passieren wird“, sagt er. Vermutlich werde man immer noch eine Art Remote-I/O oder ein Gateway haben, das die einfachen Sensoren anschließt, um die Daten einzusammeln. Für etwas komplexere Sensoren wird sich laut Köster allerdings ganz normal das Ethernet-basierte Protokoll durchsetzen.
Einfache Feldkomponenten müssen folgerichtig zu Industrie-4.0-Komponenten werden, um die intelligente Vernetzung der Produktion, also das Entstehen von Cyber-Physical-Production-Systems (CPPS), voranzutreiben. Wie weit ist die Industrie aber mit der praktischen Umsetzung tatsächlich und welche Herausforderungen müssen Hersteller und Anwender meistern? „Zunächst einmal haben wir hier ein Henne-Ei-Problem zu lösen“, meint Professor Zühlke und verdeutlicht: „Damit ein Kunde Industrie-4.0-kompatible Sensoren und Aktoren kaufen kann, muss es Hersteller dafür geben. Und die können keine Produkte nur mit der Vision Industrie 4.0 bauen, sondern benötigen klar definierte Standards für die einfache Netzwerkeinbindung.“
Netzwerkpartner entwickeln gemeinsame Standards und kompatible Produkte
Industrie 4.0 mache auch nur dann Sinn, wenn viele Hersteller kompatible Produkte liefern. Das Problem ließe sich am besten lösen, indem man Hersteller und Anwender in einem Netzwerk zusammenbringen würde und sie miteinander lernen und arbeiten lässt. „Das ist offenbar das Erfolgsmodell unserer SmartFactory KL-Initiative, in der sich mittlerweile mehr als 45 Partner – national wie international, große wie kleine – zusammengeschlossen haben und gemeinsam Standards und kompatible Produkte entwickeln“, glaubt er (siehe Seite 28).
Weidmüller bietet hier bereits verschiedene Komponenten an. „Wir haben etwa den Signalwandler ACT 20C im Programm“, nennt Markus Köster ein Beispiel. Mit dieser Komponente habe das Unternehmen erstmals einen Signalwandler entwickelt, der über eine Ethernet-Schnittstelle verfügt. Diese kommunikationsfähige Signalkonverter wandeln analoge Maschinendaten in digitale Daten, die anschließend in einer Cloud bereitgestellt und analysiert werden. ACT-20C-Module lassen sich laut Köster dank ihrer Kommunikations-Schnittstelle in Industrial-Ethernet-Strukturen einbinden. „Das Besondere hierbei ist, dass die Signalkonverter neben den typischen Funktionen wie Signalerfassung, -aufbereitung, -normierung und -ausgabe umfangreiche Diagnosefunktionen bereitstellen“, erläutert er. Die anschließende Datenübermittlung in eine Cloud gestatte den Abgleich von Produktions- und Fertigungsdaten sowie weiteren Informationen, etwa aktuelle Energiepreise, und verschafft somit durchgängige Transparenz über alle Produktionsdaten.
„Insgesamt gestalten wir unsere Komponenten mehr und mehr kommunikationsfähig. Das heißt, Komponenten, die früher nicht über eine Kommunikationschnittstelle verfügten, werden in Zukunft darüber verfügen, so dass man da auch Informationen drauf abgreifen kann“, ergänzt der Leiter der Technologie Elektronik. Das könne etwa auch ein Netzteil sein, aus dem sich dann diese Informationen auslesen lassen – zum Beispiel, in welchem Zustand es sich befindet. Daneben arbeiten die Detmolder an Weiterentwicklungen bei Remote-I/O. „Das heißt“, so Köster, „die Komponenten die wir nutzen, um von Sensoren aus der Feldebene die Daten abzuholen und der Steuerung zur Verfügung zu stellen. Da haben wir mehr und mehr Funktionen, die wir in die Remote-I/Os integrieren; wir bieten da schon Webserver an, die auf die Remote-I/O selbst integriert sind, um auf die Informationen der Remote-I/O zuzugreifen“. Lösungstechnisch geht es hierbei um das U-Remote-System von Weidmüller.
Auch Pepperl+Fuchs arbeitet an der praktischen Umsetzung. Am Ende der Entwicklung werde sicherlich der Sensor mit integriertem IP-Interface stehen. Das werde aber noch viele Jahre brauchen, sodass Pepperl+Fuchs eine Migrationsstrategie verfolgt. Für höherwertige Sensorik, etwa Visionsensorik, werde man das IP-Interface als Standardkommunikationskanal zum Sensor etablieren, damit dieser für die Kommunikationsbelange nach Industrie 4.0 einfach mitbenutzt werden könne. Für die große Anzahl einfacher, teils binärer Sensoren sei das aber kein geeigneter Weg.
Als Zwischenlösung benutzen die Mannheimer IO-Link, das heute schon eine voll-digitale Kommunikation zwischen Sensor und Steuerung bietet und im Sensor ohne wesentliche Mehrkosten unterzubringen sei. Leider sei IO-Link nur eine Punkt-zu-Punkt-Verbindung und lasse sich nicht direkt an die Cloud anschließen. Ein Master müsse dazwischen geschaltet werden, um das Echtzeitsignal zur Steuerung und die anderen Daten per Industrie-4.0-Kommunikation weiterzuleiten, heißt es. Die Lösung Smart Bridge als konkretes Produktbeispiel ist für Pepperl+Fuchs die Realisierung dieses Szenarios.
Das kleine Smart-Bridge-Kästchen wird in die Leitung zwischen Sensor und Steuerung eingebaut, zieht die Parametrierinformation ab und sendet sie über einen Bluetooth-Kanal an ein Tablet oder einen anderen Rechner. Der besondere Clou dabei sei, dass dieser Eingriff so erfolgt, dass die geforderte Echtzeitverbindung zur Steuerung nicht beeinträchtigt werde. Damit ließen sich bestehende Anlagen sehr einfach um erste kleine Industrie-4.0-Elemente erweitern und der Einstieg in Industrie 4.0 könne so dosiert getrieben durch den jeweiligen Optimierungsbedarf vorgenommen werden, sieht Pepperl+Fuchs darin eine praktikable Vorgehensweise.
Siemens-Expertin Ehm möchte Industrie 4.0 dagegen nicht an einzelnen Komponenten, etwa Feldkomponenten festmachen. Es bedürfe hier eines breiteren Lösungsansatzes, der alle Komponenten einer digitalen Fabrik umfasst. „Unseren Lösungsansatz für Industrie 4.0 bezeichnen wir dabei als Digital Enterprise“, so die Marketing-Managerin. Der Weg zum Digital Enterprise umfasse vier logisch aufeinander aufbauende Kernelemente: Einmal die Digital Enterprise Software Suite von Siemens, die auf der Lösung Teamcenter als Kollaborationsplattform basiert und PLM (Product-Lifecycle-Management), MES/MOM (Manufacturing Execution System/Manufacturing Operations Management) und TIA (Totally Integrated Automation) verbindet. Und dann gehe es um die Elemente Industrielle Kommunikationsnetzwerke, Sicherheit in der Automatisierung sowie geschäftsspezifische industrielle Services.
Johannes Gillar, Redakteur Fachzeitschrift elektro Automation
Intelligentes System
Jumo-Digiline ist ein busfähiges Ansschlussystem des Hightech-Anbieters Jumo aus Fulda, das aus intelligenten Sensoren, Messumformern und einer Sensordatenmanagement-Software besteht. Damit lassen sich unterschiedlichste Sensoren in Stern- oder Baumstruktur miteinander verbinden. Lediglich eine einzige digitale Signalleitung geht dann noch zu einer Auswerteeinheit oder Steuerung. Neu ist auch die zum System gehörende DSM-Software (Digital Sensor Management). Die notwendige Parametrierung und die Kalibrierung der Sensoren kann bequem im Labor mithilfe eines PCs oder Laptops, einem USB-Schnittstellenwandler und der Digiline-Software durchgeführt werden. Kalibrierdaten und die Bewertung des Sensorzustandes sind direkt im Sensor gespeichert und ermöglichen eine lückenlose Dokumentation über den gesamten Lebenszyklus.
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