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Lightweighting Summit: Leichtbau ist essenziell – aber unter Druck

5. Lightweighting Summit lässt Fragen offen
Leichtbau ist essenziell – aber unter Druck

Leichtbau ist unverzichtbar. Dies wurde zur Kernaussage des 5. „Lightweighting Summit“, den die Bundesregierung am 23. April 2024 auf der Hannover Messe organisierte. Kaum jemals hat eine Tagung so viele Argumente zusammengetragen. Doch damit wurden unausgesprochene Fragen unüberhörbar: Wie soll es weitergehen, nachdem der Bund die Förderung eingestellt hat?

» Olaf Stauß, Redakteur Konradin Industrie

Der 5. Lightweighting Summit wurde zur Highlighting-Veranstaltung für den Leichtbau. Dafür gibt es Gründe. Die Summits in Hannover sind so etwas wie das Lieblingskind des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), seit die Bedeutung des Themas in der Politik erkannt wurde. Peter Altmaier hatte 2019 damit begonnen, Robert Habeck kam letztes Jahr eigens zur Eröffnung. Seither ist eine Menge passiert: Am Ministerium gibt es eine Geschäftsstelle für die „Initiative Leichtbau“, die sich um das Vernetzen der Akteure bemüht. Es ist ein Leichtbauatlas für Deutschland entstanden und dem Klima zuliebe soll die Initiative exportiert und das Thema auf internationalem Boden verankert werden. Und im Sommer 2023 hat der Bund eine nationale Leichtbaustrategie verabschiedet.

Doch nun steht viel auf dem Spiel: Zum Jahresbeginn ist das Leichtbau-Förderprogramm unvermittelt ausgelaufen. Und dies, nachdem das erfolgreiche „TTP LB“ noch 2023 aufgestockt wurde auf mindestens 109 Mio Euro im Jahr. Der Anlass ist ein Gerichtsentscheid, der die Ampel-Regierung erschütterte: Das Bundesverfassungsgericht erklärte im November das Umwidmen von nicht benötigten Corona-Krediten als unzulässig und sprengte damit den Bundeshaushalt 2024. Aus Spargründen beschloss das BMWK dann, das Technologietransfer-Programm Leichtbau zu deaktivieren. Es durften keine Anträge mehr gestellt und die laufenden nicht mehr bewilligt werden.

Was passiert nach Wegfall der Leichtbau-Förderung?

„Wie Sie alle wissen, haben wir keine Haushaltsmittel mehr und das liegt mir sehr im Magen“, sagte Staatssekretär Udo Philipp auf dem Summit 2024. „Aber ich bin hier, weil wir den Leichtbau auch ohne Geld für wirklich wichtig halten und voranbringen wollen.“ Unter anderem nannte er Bestrebungen, regulative Rahmenbedingungen für den Leichtbau auf nationaler und EU-Ebene zu schaffen.

Das Ende der Förderung ist schmerzlich für die Politik, noch mehr aber für die mittelständische Wirtschaft und das Klima. Dafür lieferte das Event selbst die Argumente. Denn wohl um den Rückschlag auszugleichen, machte das BMWK den 5. Lightweighting Summit zum bisher besten seiner Art. Das Ministerium hatte eine Untersuchung initiiert, um die volkswirtschaftliche Bedeutung des Leichtbaus zu erfassen. Die österreichische Econmove GmbH erstellte dafür ein „Satellitenkonto Leichtbau Deutschland“ nach dem Vorbild der Tourismus-Branche, die ähnlich komplex ist.

Deutschland führend im Leichtbau

Das Ergebnis: Der Leichtbau kommt mit 124,3 Mrd. Euro auf einen direkten Anteil von 4 % an der Bruttowertschöpfung in Deutschland, indirekt sogar auf 7,8 %. Er liegt damit dicht hinter dem Einzelhandel auf Platz 2. Jeder 14. Arbeitsplatz hängt vom Leichtbau ab. Und „Deutschland belegt bei den Patenten beständig Platz 3 hinter Korea und Japan“, berichtete Econmove-Chefin Dr. Anna Kleissner – Deutschland hat hier also vielversprechende Chancen. Diese Zahlen wurden kurz vor dem Summit fertigermittelt.

Für die Keynotes hat das BMWK zwei der renommiertesten Wissenschaftler im Themenbereich gewonnen. Prof. Holger Hanselka leitete prägend zehn Jahre das KIT und ist jetzt Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft. Seine wissenschaftliche Karriere begann er im Faserverbund-Leichtbau. Dessen Komplexität illustrierte er mit einer bildhaften Kenngröße, der Reißlänge. „Wie lange lässt sich ein Faden hochziehen, bis er unter seinem Eigengewicht reißt? Bei Stahl sind es 30 Kilometer, bei Aluminium ebenfalls 30 – bei Sisal oder Hanf sind es aber 70 Kilometer!“ Solche Potenziale zu nutzen, setze aber viel Know-how voraus.

Leichtbau unverzichtbar für mehr Nachhaltigkeit

Bis zu 120 m lange Windrotor-Flügel beispielsweise, wie heute üblich, lassen sich nicht auf klassischem Wege herstellen, sondern nur in anspruchsvoller Faserverbund-Bauweise mit Carbon- und Glasfasern, so Hanselka. Und hier komme es sehr darauf an, wie die Fasern zu legen sind – ohne Forschung geht es nicht. „Der Leichtbau ist ein Megathema. Er ist es wert, aus ökonomischer und ökologischer Sicht dafür zu kämpfen, und dies ist notwendig, um Wettbewerbsvorteile zu haben.“

Prof. Markus Milwich von den DITF Denkendorf ist ein brillanter Kenner des Leichtbaus, ein Netzwerker und Botschafter. „Mit Leichtbau kann ich mehr für die Umwelt tun, als ich jemals mit Umwelttechnik tun könnte“, bekräftigte er in seiner Keynote.

Dafür wusste er vielfältige Beispiele. Nur zwei davon: Dem Startup Ebusco sei es gelungen, Busse um 33 % leichter zu bauen. Die Elektrobusse des Herstellers bestehen aus einer Faserverbund-Karosserie mit Stahl-Chassis. Sie kommen auf Reichweiten von über 550 km und mehr – je nach Ausführung. Eindrücklich sind auch Leichtbau-Effekte im Bauwesen: Die Ritsumasyl-Brücke in Holland etwa besteht aus Naturfaser-Compositen. Sie wiegt nur 30 t anstelle von 400 t in Beton. Das Minimieren von Masse führt zu riesigen Einsparungen an Fundamenten, Ressourcen und Emissionen – nicht nur im Brückenbau.

Die Zukunft: Bio-Composites als CO2-Senken

Und die Forschungen gehen weiter. Sie richten sich immer mehr auf einen nachhaltigen oder zumindest kreislauffähigen Leichtbau. In Denkendorf arbeitet das DITF unter anderem an Bio-Composites als CO2-Senke, ebenso wie an Carbonfasern aus natürlichen Rohstoffen wie Cellulose und Lignin. „Die Zukunft ist leicht und nachhaltig“, betont Milwich. „Wir haben in Deutschland 30.000 Tonnen Stroh zur Verfügung. Aus solchen Biomaterialien lässt sich viel machen. Daraus könnten wir Energie gewinnen oder wieder Faserverbund-Bauteile herstellen. Das nenne ich Bioökonomie. Wir stehen erst am Anfang.“

Leichtbau ist essenziell, wenn es um Nachhaltigkeit geht. Darin waren sich die Teilnehmer des Lightweighting Summit einig. Erfunden wurde das leichte Bauen, um höher und weiter zu kommen und auch um schneller zu werden – so wie im Sport. Das Prinzip, bewegte Massen zu reduzieren, wird dort konsequent und erfolgreich umgesetzt. Wie bei Surfbrettern und Trekkingstöcken oder im Rennsport.

„Rund die Hälfte der globalen CO2-Emissionen entstehen durch das Fördern und Verarbeiten von Rohstoffen“, hatte eingangs Staatssekretär Philipp zu bedenken gegeben. Leichtbau hilft auch hier weiter. Er schont die Ressourcen an Material und Energie. Für Prof. Hanselka ist die Disziplin eine „Schlüsseltechnologie, um mit minimalen Ressourcen einen maximalen Output zu erzielen“.

Leichtbauer sind sehr oft KMU

In der Panel-Runde des Summits kamen auch Industrie-Vertreter des Leichtbaus zu Wort. Sie diskutierten über Technik-Ansätze und Prinzipielleres wie Recycling, Kreisläufe, Dateneinsatz und regulative Vorgaben. Die Branche ist sehr heterogen in Deutschland. Es gibt nur wenige große Unternehmen. Dafür viele kreative KMU mit großem Know-how in ihren Nischen. Die frühere Landesagentur Leichtbau BW hatte keine Mühe, über Jahre hinweg Monat für Monat einen Innovationspreis zu vergeben – oft an Firmen mit deutlich weniger als 100 Mitarbeitern.

Dr. Maximilian Schnippering steht für Siemens Gamesa Renewable Energy als einen der Großen. „Der Leichtbau ist für mich der Maschinenraum der Energiewende“, resümierte er. „In dieser Industrie entstehen Materialien und grüne Technologien, die die Welt verändern.“ Frank Schladitz vom Verband C3 für Carbonbeton nennt den Leichtbau „alternativlos“.

Welche Chancen hat der Leichtbau in Zukunft ohne TTP-LB-Fördergelder? Die Keynote-Speaker äußerten sich vorsichtig. „Die Community muss zusammenhalten“, antwortete Fraunhofer-Präsident Prof. Hanselka. „Sie muss sich europaweit vernetzen und zu Wort melden – nicht nur beim Geld, sondern auch wenn es um Inhalte und Rahmenbedingungen geht.“

Baden Württemberg lässt „Leichtbau BW“ wieder aufleben

Prof. Milwich hat schon durch seine Funktion eine Antwort gegeben. Die Auflösung der Leichtbau BW vor einem starken Jahr löste in BaWü so viel Unruhe aus, dass die Leichtbauvereine auf eigene Faust eine Nachfolge-Organisation gründeten. Milwich ist Repräsentant dieser „Leichtbau-Allianz Baden-Württemberg“.

Auf Anfrage ließ er durchblicken, dass die Bedeutung des Leichtbaus oft verkannt werde. Sie lasse sich vor allem durch langfristiges Betrachten von Produkten inklusive Wiederverwendung und Recycling nachweisen. „Lebenszyklus-Analysen zeigen, dass langfristig Geld gespart werden kann – und dies muss aktuell durch geförderte Projekte in allen Industrien verständlich belegt werden.“ Daraus folgende regulative Begünstigungen und Richtlinien hält er für sinnvoll in der EU.

Ganz direkt setzen sich zurzeit die Länder mit dem Wegfall der Bundes-Förderung auseinander. Das Forum dafür bildete der „Jour Fixe Leichtbaupolitik“ am 10. Juni. „Uns als Werkstoffland kam das TTP Leichtbau sehr entgegen“, sagte die Vertreterin aus NRW. „Seit Start des Programmes haben 219 Unternehmen eine Förderung erhalten, darunter 108 KMU. Insgesamt sind rund 68 Millionen Euro an Fördermitteln nach NRW geflossen.“

Viele F+E-Förderanträge zum Leichtbau liegen nun brach

„Für uns ist es ein großes Dilemma, dass das Programm wegfällt“, so die NRW-Vertreterin weiter. „Zurzeit liegen noch 65 Anträge beim Projektträger, die nicht weiterbearbeitet werden.“ Die Referenten anderer Bundesländer äußerten sich ähnlich. Die Zahlen differieren je nach regionaler Struktur. Aus Thüringen sind es beispielsweise 16 Anträge, die nicht mehr bewilligt werden können – „auch für unsere mittelständischen Unternehmen sehr sehr ärgerlich“, unterstrich der thüringische Vertreter.

Bastian Müller aus Bremen berichtete aus der Wirtschaftsministerkonferenz, dass die Länder einstimmig fordern, Programm und Initiative fortzusetzen. „Da müssen wir dranbleiben.“ Die Minister planten, einen länderübergreifenden Appell an den Bund zu richten. Die Auswirkungen des Förder-Stopps sollen überprüft werden.

Der Vertreter aus Brandenburg brachte die Hoffnung zum Ausdruck, dass das Programm wenigstens „nur ausgesetzt“ wird und nicht weiter von „Auslaufen“ die Rede ist. Offensichtlich ist das Instrument TTP LB ein entscheidendes Tool, um Innovationserfolge im Leichtbau zu ermöglichen.


Olaf Stauß, Redaktion Industrieanzeiger
Bild: Tom Oettle

Leichtbau-Förderung bringt Wachstum

Die Dividende ist groß, die der Leichtbau an den Klimaschutz zahlt. So gesehen ist das Förder-Aus kaum zu verantworten. Budgetstreichungen dürfen andererseits kein Tabu sein in der Politik, wenn die Kassen klamm sind. Doch ein Blick auf die wirtschaftlichen Zusammenhänge sollte die Sicht schnell ändern: Leichtbau-Förderung ertüchtigt KMU, spitze zu werden und Wettbewerbsvorteile zu erzielen – und zwar in kürzster Zeit. So ein Potenzial liegen zu lassen, ist unverzeihlich. Auch aus ökonomischer Sicht. Der Bund sollte sich etwas einfallen lassen. (os)

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