Noch vor der parlamentarischen Sommerpause hat der Bundestag am 21. Juni 2021 dem Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten zugestimmt. Anders als die ebenfalls behandelten Entwürfe zu einem Verbandssanktionengesetz mit einer völligen Neuregelung der Unternehmensverantwortlichkeit für Wirtschaftskriminalität und einem deutschen Hinweisgeberschutzgesetz fand dieses am 16. Juli 2021 veröffentlichte Lieferkettensorgfaltspflichten- gesetz eine breite politische Mehrheit und wurde auch im Koalitionsvertrag vom 24. November 2021 umfassend erwähnt. Damit müssen sich bereits ab dem 1. Januar 2023 circa 700 Unternehmen in Deutschland mit mindestens 3000 Arbeitnehmern im Inland unmittelbar auf die Notwendigkeit der Umsetzung neuer Unternehmenspflichten einrichten. Genau ein Jahr später wird am 1. Januar 2024 die Anwendungsschwelle auf 1000 Arbeitnehmer sinken – damit werden dann ungefähr weitere 2900 Unternehmen direkt betroffen sein.
Die Kommission der Europäischen Union hat nach zweimaliger Verschiebung im vergangenen Jahr nun am 23. Februar 2022 den Entwurf einer Nachhaltigkeitsrichtlinie vorgestellt, der weit mehr Unternehmen zu noch umfassenderen Sorgfaltspflichten verpflichten soll. Unternehmen aus der EU mit mehr als 500 Beschäftigten und einem Weltumsatz von mindestens 150 Mrd. Euor pro Jahr fallen ebenso in den Anwendungsbereich wie Unternehmen aus Drittstaaten und der gleichen Mindestbeschäftigtenzahl sowie einem EU Umsatz von 150 Mrd. Euro pro Jahr. Bei Unternehmen aus besonders Risiko-geneigten Industriesektoren wie Textil, der Rohstoffgewinnung oder Nahrungsmittelherstellern sollen gar die noch niedrige Anwendungsschwellen von 250 Beschäftigten und einem Umsatz von 40 Mrd. Euro gelten. Die EU Kommission schätzt die Gesamtzahl von Normadressaten auf 13.000 betroffene EU-Unternehmen und 4.000 Unternehmen aus Drittstaaten, mithin auf ca. 1% aller in der EU tätigen Unternehmen.
Neue Unternehmenspflichten und detaillierte Umsetzungsvorgaben
Das neue deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz formuliert einen ausführlichen Katalog menschenrechtsbezogener Verbote unter ausdrücklichem Einbezug und im Gesetzesanhang aufgelisteter zahlreicher völkerrechtlicher Übereinkommen. Dieser umfasst mit dem Verbot von Kinderarbeit, Sklaverei, Zwangsarbeit, Missachtung von Arbeitsschutz, Diskriminierung aufgrund von Alter, ethnischer Zugehörigkeit oder Religion, Vorenthalten angemessener Entlohnung oder Verstößen gegen die Koalitionsfreiheit bzw. Gewerkschaftsbildung eine umfassende Liste von insgesamt 12 direkt im Gesetz definierten geschützten Rechtspositionen.
Die umweltbezogenen Unternehmenspflichten beziehen sich wiederum auf multilaterale, explizit aufgeführte Übereinkommen. Infolgedessen werden die Herstellung oder Verwendung von Quecksilber und persistenten organischen Schadstoffen (POPs) ausdrücklich verboten. Ebenso wird die umweltgefährdende Handhabung einschließlich des Im- oder Exports und Handel von Abfällen geächtet. Die vorgeschlagene EU Nachaltigkeitsrichtlinie verpflichtet Unternehmen zusätzlich zum Kampf gegen die schädlichen Folgen des Klimawandels, indem Geschäftsmodelle, Unternehmensstrategien und variable Vergütungsstrukturen mit der Einhaltung des 1,5-Grad-Höchsterwärmungsziels aus dem Pariser Übereinkommen 2015 synchronsiert werdeen müssen.
Neben diesen umfassenden, direkt im deutschen Gesetz definierten materiellen Verboten weist das neue deutsche Gesetz weitere, vor allem prozedurale Implementierungsbesonderheiten auf. Erstmalig wird explizit die Reichweite der neuen Unternehmenspflichten auch auf externe Lieferketten im In- und Ausland erstreckt.
Neben der eigenen Fertigung beziehen sich die Sorgfaltspflichten ausdrücklich auch auf unmittelbare Zulieferer (Tier 1) und auch auf mittelbare Zulieferer (Tier 2 – X). Allerdings muss im Kontext der neuen gesetzlichen Vorgaben davon ausgegangen werden, dass nicht nur eine Lieferkette im engeren Sinne (downstream) im Fokus steht, sondern letztlich die komplette Wertschöpfungskette. Denn das Gesetz fordert ausdrücklich die konsequente Anwendung auf „alle zur Herstellung von Produkten oder zur Erbringung von Dienstleistungen notwendigen Schritte im In- wie Ausland von der Gewinnung von Rohstoffen bis zur Lieferung an Endkunden“ (upstream).
Der Entwurf der EU Nachhaltigkeitsrichtlinie verwendet ausdrücklich den klaren Wortlaut der „Value Chain“. Mithin erstrecken sich die neuen Compliance-Vorgaben nicht nur auf Zulieferer, sondern etwa auch auf Distributoren, Reseller oder Logistikpartner. Insofern sind insbesondere international tätige und vertikal integrierte deutsche Industrieunternehmen gut beraten, das neue deutsche Gesetz sowie künftige supranationale Regelungen als wichtigen Baustein einer ganzheitlichen Value Chain-Compliance zu betrachten und grundsätzlich alle Geschäftspartner auf Ihre entsprechende Risiko-Relevanz zu prüfen und zu überwachen.
Die neue Rolle von NGOs
In bislang ungeahnter Präzision regelt das neue Gesetz ein ganzes Bündel von sogenannten Bemühenspflichten (duties of care) wie z.B. zur regelmäßigen Risikoanalyse, anlassbezogenen bzw. transaktionalen Geschäftspartnerprüfungen und der Abgabe einer Grundsatzerklärung der Unternehmensführung zur Menschenrechtstrategie, aber auch klare funktionale Zuständigkeiten wie die Benennung eines Menschensrechtsbeauftragten und die gründliche Analyse der bereits vorhandenen Hinweisgeberkanäle oder Whistleblowingsysteme. Die neue Rolle von NGOs und ein drakonischer Sanktionsrahmen
Die Einhaltung der neuen Unternehmenspflichten wird künftig vom international Sanktions- und Embargo-erfahrenen Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) in Eschborn als zuständiger Aufsichtsbehörde überwacht werden. Deutsche Gewerkschaften und Nichtregierungs-organisationen (NGOs) erhalten zudem ausdrücklich eine besondere Prozessstandschaft und dürfen so außerhalb Deutschlands von Menschenrechts- oder Umweltverletzungen Betroffene vor deutschen Gerichten unterstützen. Während sich der Gesetzgeber erkennbar bemüht hat, grundsätzlich kein neues zivilrechtliches Haftungsregime zu schaffen, kann allerdings nicht ausgeschlossen werden, dass das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz durchaus zu einer Sollbruchstelle für eine deliktische Haftung nach den Schadensersatzvorschriften im Bürgerlichen Gesetzbuch werden kann.
Der EU Richtlinienwortlaut geht auch hier entscheidend weiter und schreibt ausdrücklich eine zivilrechtliche Haftung von Unternehmen und ein Klagerecht für alle potentiellen Geschädigten vor europäischen Gerichten vor. Besonderes Augenmerk verdient auch der aktuellen Compliance-Gesetzgebungstrends folgende Sanktionsrahmen mit teils heftigen Folgen. Das deutsche Sanktionsinstrumentarium beinhaltet ein Zwangsgeld von bis zu 50.000 Euro; also doppelt so hoch wie der übliche Rahmen im Verwaltungszwangsverfahren.
Die Bußgelder können empfindlich hoch ausfallen und sind gestaffelt von 100.000 bis 800.000 Euro. Bei Konzernen mit mehr als 400 Millionen Euro Welt- bzw. Gruppenumsatz im Jahr können bis zu 2% des durchschnittlichen Jahresumsatzes der vergangenen drei Jahre als Bußgeldsumme veranschlagt werden. Darüber hinaus bleiben auch eine ordnungswidrigkeitenrechtliche Vermögensabschöpfung oder ein Eintrag ins Wettbewerbsregister weitere potentiell drohende gesetzliche Sanktionen.
Effektive Implementierung mit Augenmaß
Aufgrund des weit über die bislang bekannten ESG-Compliance Vorgaben wie etwa der EU Taxonomy hinausgehenden Detaillierungsgrades dieser neuen gesetzlichen Implementierungsvorgaben und der grundsätzlichen Herausforderung für Unternehmen, Menschenrechte und Umweltschutz innerhalb einer weltweiten Wertschöpfungskette zu beachten, müssen alleUnternehmensfunktionen aktiviert und die neuen Sorgfaltspflichten konsequent risikobasiert und angemessen vernetzt auch außerhalb der eigenen Unternehmensgrenzen umgesetzt werden.
Immerhin bietet das neue deutsche Gesetz dazu mit einem ausdrücklichen Angemessenheits-vorbehalt auch entsprechende Priorisierungsmöglichkeiten je nach tatsächlicher Risikoindikation etwa in besonders anfälligen Regionen, speziellen Produktclustern und einem tatsächlichem Einflussvermögen. Und eine noch weiter gehende EU-weite Regelung wird schließlich auch für gleiche Standards für alle Marktteilnehmer sorgen.
Ohne ein effektiv implementiertes Compliance Management System allerdings, das auch die neuen Risikokategorien Menschenrechte und Umweltschutz zusammen mit den „Klassikern“ der Korruptionsbekämpfung oder Anti-Trust-Prävention zuverlässig mit abdeckt und einem proaktiven, kollaborativen Ansatz mit externen Geschäftspartnern wie auch NGOs nachhaltig verfolgt, werden gerade international erfolgreiche deutsche Industrieunternehmen künftig nicht nur mit erhöhten juristischen Haftungsrisiken, sondern auch mit empfindlichen Reputationsschäden rechnen müssen.
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