Exportweltmeister Deutschland parkt auf der Weltrangliste der schnellsten Internetverbindungen derzeit auf Platz 25 – abgeschlagen beispielsweise hinter Rumänien und Bulgarien. Nach 497 Bieterrunden wurden Mitte des Jahres immerhin die schnelleren 5G-Frequenzen verteilt. Das hat die vier beteiligten Telefongesellschaften insgesamt 6,6 Mrd. Euro gekostet. Ein Schnäppchen im Vergleich zur UMTS-Versteigerung im Jahr 2000, die dem Staat Einnahmen in Höhe von 50 Mrd. Euro eingebracht haben. Geld, das in den Folgejahren allerdings für den Ausbau der Infrastruktur fehlte – so die Begründung der Telekommunikationsunternehmen für den Status quo. Dazu kommt, dass jeder Anbieter hierzulande sein eigenes Süppchen kocht, sprich eigene Masten baut. Ganz anders in den USA und in China: Dort haben die großen Mobilfunkunternehmen erkannt, dass der Besitz von Antennen kein wirkliches Verkaufsargument ist. Sie nutzen die Infrastruktur vor Ort gemeinsam. In China sogar mit staatlicher Unterstützung, dort wird 5G als strategischer Vorteil für die Wirtschaft eingeschätzt und subventioniert. „China wird das weltweit größte kommerziell betriebene 5G-Netz in Betrieb setzen und die Größe des Netzes und der Preis der 5G-Dienste werden einen entscheidenden Einfluss auf die gesamte Lieferkette haben“, prognostizierte Ende Oktober 2019 eine Analyse von BernsteinResearch. Denn 5G macht nicht nur Handys schneller, sondern beschleunigt vor allem auch professionelle Anwendungen.
Ist China ein Partner oder Gegner?
Allerdings bestehen auch und gerade im 5G-Netz Sicherheitsrisiken. Derzeit wird der Ausbau der 5G-Infrastruktur geplant – unter anderem mit Huawei als Zulieferer. Mitte Oktober 2019 hat die Bundesregierung das chinesische Unternehmen für den Ausbau des deutschen 5G-Netzes zugelassen. Das gefällt nicht jedem Marktbeobachter: Bruno Kahl, Chef des Bundesnachrichtendienstes, warnt: „Huawei muss auf die schwarze Liste. Dieser Staatskonzern ist in großer Abhängigkeit von der Kommunistischen Partei und dem Sicherheitsapparat des Landes.“ Ins gleiche Horn stößt Mikko Huotari vom Mercator Institute for China Studies: „Es gibt kein Unternehmen in China, das es sich leisten kann, nicht patriotisch zu sein. Die Möglichkeiten der Einflussnahme sind groß.“ Folgerichtig hat es in den USA schon erste strafrechtliche Ermittlungen inklusive diplomatischer Verwicklungen in der Causa Huawei gegeben. Allerdings kann der chinesische Anbieter gar nicht per Dekret oder Urteil ausgeschlossen werden, selbst wenn Politik und Wirtschaft dies wollten – denn die Chinesen sind längst da. Netzwerktechnisch betrachtet basiert der neue Mobilfunk auf der bestehenden 4G-Infrastruktur. Die existierende Hard- und Software wird lediglich durch neue Komponenten und Standards erweitert. In der vorhandenen Struktur sind aber bereits reichlich Huawei-Komponenten verbaut. Die Hälfte der Radio Access Network-Antennen von Vodafone wurde beispielsweise von Huawei geliefert, die andere Hälfte kam aus Schweden von Ericsson. Ein komplettes Verbot von Huawei und der damit verbundene Austausch aller bestehenden Komponenten würde das Netz temporär lahmlegen sowie den weiteren Ausbau deutlich verlangsamen und verteuern.
Die Definition der Sicherheit
5G unterstützt aufwendige Authentisierungs- und Verschlüsselungsverfahren, um die Benutzerebene, die Steuerungsebene und den Datenverkehr abzusichern. Dazu zählen zum Beispiel die gegenseitige Authentisierung von Endgeräten sowie die Verschlüsselung der Nutzerdaten. Vor diesem Hintergrund hat das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) die Sicherheitsanforderungen überarbeitet. BSI-Präsident Arne Schönbohm erklärte Mitte Oktober 2019: „Mit dem aktualisierten Sicherheitskatalog stellen wir durch technische Anforderungen sicher, dass Vertraulichkeit, Integrität und Verfügbarkeit der Kommunikation auf einem hohen Niveau gewährleistet werden. Um eine valide Sicherheitsaussage im 5G-Umfeld treffen zu können, sind daher mehrere Elemente im Rahmen von Zertifizierungen abzudecken. Hierzu gehören Produkt-, Prozess- und Systemzertifizierungen, ein Monitoring der 5G-Infrastruktur sowie zusätzliche Anforderungen wie beispielsweise die Sicherheit von Lieferketten. Die technische Entwicklung der Mobilfunknetze wird nur erfolgreich sein, wenn wir von Anfang an für ein angemessenes Risikomanagement sorgen, etwa durch den Einsatz geeigneter Verschlüsselungsverfahren“. Die erweiterten Sicherheitsanforderungen gelten nicht nur für Huawei, sondern für alle Netzausrüster; namentlich Ericsson, Nokia und das amerikanische Unternehmen Cisco. Deren deutsche Kunden Telekom, Vodafone und 1&1 Drillisch setzen bisher auf eine Multi Vendor-Strategie für die verwendeten Netzwerkelemente und wollen das auch fortführen.
Die entscheidenden Vorteile des 5G-Standards sind dessen hohe Zuverlässigkeit, die extrem kurzen Latenzzeiten von unter einer Millisekunde sowie die massive IoT-Konnektivität. So können auf einer begrenzten Fläche Hunderttausende Endgeräte gleichzeitig Daten empfangen und senden. Den Vorteilen stehen aber auch Nachteile gegenüber. Für die höheren Geschwindigkeiten müssen mehr Funkmasten in geringen Abständen aufgestellt werden. Mit der Anzahl steigt aber das Ausfallrisiko; zumal bei einer neuen Technologie, die sich erst im Praxisalltag bewähren muss. Dazu kommt, dass 5G nicht eine homogene Technologie darstellt, sondern vielmehr auf dem Zusammenspiel zahlreicher Systeme basiert. Um die versprochenen minimalen Latenzzeiten einhalten zu können, wird beispielsweise Edge Computing eingesetzt. Dabei werden Teile des Datenstroms nicht zur Weiterverarbeitung an einen zentralen Server zurückgeschickt, sondern direkt vor Ort verarbeitet – am Rande (Edge) des Netzwerkes. Das optimiert die Übertragungszeiten und Antwortzeiten des Netzwerkes, erhöht aber nochmals die Komplexität des zu überwachenden Gesamtsystems.
Bedingt abwehrbereit
Zumindest zum jetzigen Zeitpunkt ist 5G systembedingt angreifbar. Sicherheitsforscher der Purdue University und der University of Iowa haben gleich mehrere Schwachstellen in den Sicherheitsprotokollen gefunden. Die Experten beider Universitäten haben das Tool 5GReasoner entwickelt und eine 5G-Funkbasis aufgebaut. Bei fingierten Attacken konnten sie insgesamt elf Schwachstellen feststellen. Diese Lücken ermöglichen es zum Beispiel, den Standort eines Routers oder Endgerätes zu tracken, falsche Notfallsignale zu senden und damit eine flächendeckende Katastrophe vorzutäuschen oder aber 5G-Verbindungen einfach zu unterbrechen beziehungsweise zu verweigern. Als mögliche Ursache für die Schwachstellen nannten die Forscher ungenaue Vorgaben für die 5G-Sicherheitsprotokolle, für die unter anderem das 3GPP (3rd Generation Partnership Project) zuständig ist. Allerdings: Solche anfänglichen Schwachstellen haben bisher jede neue Mobilfunk-Generation begleitet.
Selbst ist das Netz
Zurzeit ist noch nicht absehbar, wie schnell die Mobilfunkanbieter ihre Netze nach dem neuen Standard ausbauen werden. Um diesen Migrationsprozess nicht abwarten zu müssen, setzen manche Unternehmen auf ein eigenes Campusnetz. BASF, Siemens, Bosch und die großen Autokonzerne wie Daimler, Volkswagen und BMW arbeiten daran. Aber nicht nur die Großen stehen in den Startlöchern: Laut der aktuellen Bitkom-Studie „5G in der Industrie“ halten mehr als 70 % aller deutschen Unternehmen 5G für eine der wichtigsten Zukunftstechnologien. Rund die Hälfte der insgesamt 505 Befragten will 5G für die vernetzte Produktion einsetzen, für Assistenzsysteme wie Augmented Reality sowie für die Echtzeit-Kommunikation zwischen Mensch und Maschine. 39 % planen 5G für autonome Fahrzeuge und Transportsysteme ein, 31 % für mobile Roboter. Allerdings: Mehr als zwei Drittel (69 %) setzen nach wie vor auf WLAN statt auf 5G. Viele Experten gehen zumindest mittelfristig von einer friedlichen Koexistenz beider Systeme aus. Zum Beispiel Jürgen Hahnrath, Head of IoE Solutions Germany bei Cisco: „5G wird das Firmen-WLAN nicht ersetzen, sondern ergänzen. WLAN wird mit der Version 802.11ax viele aktuelle Innovationen der Funktechnologie übernehmen, um eine zuverlässige und durchsatzstarke Konnektivität zu bieten.“
Die Bitkom fordert für den schnellen 5G-Ausbau in Deutschland möglichst viel privatwirtschaftliches Engagement. Das aber ist gar nicht so einfach: Wer ein 5G-Campus-Netz aufbauen will, muss zuerst Frequenzen bei der Regulierungsbehörde beantragen. Die Frequenzen werden jeweils für ein Grundstück vergeben, beispielsweise für ein Unternehmensgelände, einen Industriepark oder ein Messegelände. Es können die vollen 100 MHz Bandbreite oder Teile davon beantragt werden. Schutzbänder sind nicht vorgesehen, benachbarte Nutzer müssen sich partnerschaftlich einigen, um einen störungsfreien Betrieb der lokalen 5G-Netze zu gewährleisten. Denkbar ist aber auch eine gemeinsame Infrastruktur, in der getrennte virtuelle Netze (Network Slicing) realisiert werden.
Serie Industrie 4.0
Wir begleiten Sie mit unserer Serie auf dem Weg zur Digitalisierung. In dieser Ausgabe beleuchten wir den neuen Mobilfunkstandard 5G. Alle Beiträge finden Sie auch online auf www.industrieanzeiger.de.