Storytelling ist gerade für den industriellen Mittelstand hoch relevant, wollen die Unternehmen nicht an Attraktivität einbüßen. Steigender Wettbewerb, gesättigte Märkte, der Kampf um hoch qualifizierte Köpfe und die digitale Transformation mit einer nie da gewesenen Vergleichbarkeit von Produkten und Dienstleistungen sind nur einige der Themen, die den Druck auf die Technologie-Unternehmen hierzulande erhöhen. Zudem ändert sich durch den wachsenden Einfluss der sozialen Medien das Rezeptionsverhalten. Faktoren wie Personalisierung, Emotionalisierung, Inszenierung, aber auch Dialog und Transparenz treten in den Vordergrund.
In der Praxis wird Storytelling im Mittelstand jedoch noch nicht in dem Ausmaß genutzt, wie es sich angesichts dieser Herausforderungen vermuten ließe. Das zeigt eine aktuelle Untersuchung zu Corporate Storytelling im Mittelstand, die im Rahmen einer MBA-Arbeit entstanden ist und die Core Story von 100 Corporate-Webseiten mittelständischer Firmen analysiert hat. Hierzu wurden in einem interdisziplinären Ansatz aus PR, Markenkommunikation und Erzähltextanalyse die sogenannten Storywerte Protagonisten, Handlung, Ort/Raum, Zeit und Archetypische Plots analysiert.
Die Auswertung zeigt: Beim Storytelling im Mittelstand fehlt es häufig an echten erzählerischen Elementen und die Geschichte wird nur von außen beschrieben. Dadurch werden Geschichte und Kernbotschaften nicht ausreichend inszeniert, was dazu führen kann, dass einzelne Elemente, wie die Werte des Unternehmens, austauschbar erscheinen. Häufig erschöpft sich die Wiedergabe der Firmengeschichte in einer Chronik, die rein faktisch die Gründung und Entwicklung nacherzählt. Dadurch wird die Chance vergeben, mithilfe einer Geschichte Komplexität zu reduzieren und Emotionen zu wecken, um bei Zielgruppen stärker wahrgenommen zu werden als die Konkurrenz.
Die Frage nach dem Warum – Ansatzpunkte für Storytelling
Wo liegen nun die Ansatzpunkte für Storytelling in der Industrie? Zunächst in der Frage nach dem Warum, also nach dem Antrieb von Unternehmen, ihrer intrinsischen Licence-to-Operate. Das geht über die Kommunikation von Produkteigenschaften und reine Rendite-Kennzahlen hinaus, ist aber essenziell, um sich von Wettbewerbern zu unterscheiden und eine Bindung zu Stakeholdern aufzubauen.
Den Nutzen, den Storytelling hier bietet, ist vielfältig: Mit Geschichten lässt sich besonders wirkungsvoll Wissen vermitteln. Sie helfen komplexe Vorgänge verständlich zu erklären, einfache Fakten spannend zu gestalten und emotional aufzuladen. Der Grund, warum Storys so gut wirken ist, weil sie das Interesse und die Aufmerksamkeit der Menschen aktivieren und sie mit der Geschichte verbinden. Geschichten helfen Unternehmen also eine klare Identität von sich selbst zu vermitteln, ein Image aufzubauen und so Glaubwürdigkeit, Vertrauen und Reputation zu gewinnen.
Grundsätzlich sind hier narrative Textarten wie Feature, Reportage und Porträt besonders geeignet. Gerade im Bereich der „owned media“ – sowohl in internen Medien wie Mitarbeiterzeitungen als auch in externen Medien wie Kundenmagazinen oder digitalen Plattformen mit multimedialen Angeboten kommt Storytelling wirkungsvoll zum Einsatz. Man denke etwa an den Hersteller für Bremsen und Zweirad-Komponenten Magura, der eine Art Road Trip quer durch Spanien inszenierte, um die Leistungsfähigkeit der Kupplungs- und Bremssysteme zu zeigen oder das Europäische Patentamt, das jährlich die persönlichen Geschichten profilierter Erfinder und somit die Geschichten hinter Innovationen in den Fokus rückt.
DNA des Unternehmens in Erzählform
Storytelling sollte dabei immer die Markenpositionierung mit differenzierenden Werten und Attributen reflektieren. Im Rahmen eines echten Storytelling-Ansatzes geht es darum, wie diese interpretiert und erzählt werden. Hier helfen sogenannte Archetypen und archetypische Plots wie etwa „David gegen Goliath“ und „vom Tellerwäscher zum Millionär“. Sie kommen aus der Psychologie und Erzähltheorie und stehen stellvertretend für Frames (Deutungsmuster) sowie Bilder von Protagonisten, die mit starken Gefühlen belegt sind und in denen sich Rezipienten direkt wiederfinden – etwa der Held, der Weise, der Abenteurer oder der Fürsorger. Diese lassen sich auf eine Marke übertragen und helfen, ihre Persönlichkeit zu kommunizieren und den Werten eine Tonalität zu geben. In dieser Core Story geht es also um nichts weniger, als die DNA eines Unternehmens differenzierend in narrativer Form wiederzugeben.
Wie die Analyse zeigt, setzen die meisten Unternehmen im industriellen Mittelstand hier auf einen Gründermythos, der die Geschichte des Gründers in den Vordergrund stellt. Dies geht mit einer starken Personalisierung des Unternehmensgründers einher. Dieser schlüpft, wenn es gut gemacht ist, gewissermaßen in die Rolle der Hauptfigur, der die Handlung des Gesamt-Narrativs trägt und vorantreibt. Damit einher geht zum einen eine detaillierte Beschreibung seiner Eigenschaften, etwa als Visionär oder Erfinder, die wiederum vertretend für die Marke stehen. Genauso dazu gehört die richtige Bühne für die Handlung – etwa der Firmensitz oder Ort der Gründung. Schließlich braucht es einen Spannungsbogen, der sich etwa im archetypischen Plot des Aufstiegs, des Underdogs oder der Verwandlung manifestieren lässt.
Eine gute Geschichte braucht einen
Transformationsprozess
Natürlich braucht es Mut, echte Geschichten zu erzählen. Dazu gehören auf der einen Seite selbstredend Erfolge, aber auch Niederlagen, Rivalitäten, Konflikte und Wendepunkte. Denn Storys dienen nicht nur der Identifikation und Selbstzuschreibung. Sie können technische Neuerungen und Erfindungen lebendig machen, zum Beispiel indem sie die Menschen, die ein bestimmtes Produkt entwickelt haben, in den Vordergrund rücken. Genauso helfen sie Veränderungen zu kommunizieren, und Krisen zu überwinden. Nicht zuletzt entsteht durch das Überwinden von Hindernissen eine Dramaturgie, die das Handeln von Unternehmen und ihren Protagonisten emotionalisiert. Damit eröffnet sich in der gegenwärtigen Lage die Chance, Transformationsprozesse im Zuge der Digitalisierung im Innenverhältnis nicht angstgetrieben – im Sinne eines Story-Plots Kamp auf Leben und Tod – zu erzählen.
Vielmehr bietet sich die Chance, die Vision, wo es hingehen soll, so zu vermitteln, dass sie klare Orientierung gibt und identitätsstiftend wirkt. Auf diese Weise können Industrie-Unternehmen etwa die mit der Digitalisierung verbundenen Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten klug transportieren. Dies entspricht einem intrinsischen Ansatz, der zu höherer Akzeptanz bei Mitarbeitern führt.