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Patente öffnen Tore für Produktpiraten

Forschungsprojekte präsentieren erste Lösungen für den Maschinenbau
Patente öffnen Tore für Produktpiraten

Fast zwei Drittel der Unternehmen im deutschen Maschinen- und Anlagenbau sind von Produkt- und Markenpiraterie betroffen. Vor allem kleine und mittlere Betriebe stehen ratlos vor diesem Problem. Eine von der Bundesregierung vor zwei Jahren gestartet Forschungsoffensive zeigt mittlerweile technisch und organisatorisch praktikable Lösungen auf.

Es war zweifellos einer der spektakulärsten Fälle von Produktpiraterie, als die Schaeffler Gruppe vor drei Jahren rund 40 t gefälschte Wälzlager – alle versehen mit den Markenaufdrucken INA, FAG und SKF – auf dem Hof ihres Werks in Schweinfurt vernichtete. Gefunden hatte man sie nicht etwa in China oder sonst wo in Asien, sondern bei einem freien Wälzlagerhändler in Franken.

Die Schaeffler Gruppe gehörte damals zu den ersten im Maschinen- und Anlagenbau, die das Thema Produktpiraterie publik machte. Heute halten sich viele Unternehmen der Branche nicht mehr zurück. Denn die durch die moderne Form der Piraterie entstehenden Schäden sind enorm: Nach der aktuellen VDMA-Umfrage zur Produkt- und Markenpiraterie unter 326 Mitgliedsunternehmen sind bereits zwei von drei Unternehmen vom unzulässigen Nachbau von Produkten und Komponenten betroffen.
Den Schaden für den deutschen Maschinen- und Anlagenbau beziffert der Branchenverband auf 6,4 Mrd. Euro jährlich. Der relative Umsatzverlust für die Unternehmen durch Piraterie ist demnach auf einem neuen Höchststand angekommen und beträgt jetzt 4 % vom Umsatz.
Bei der Schopflocher Homag AG, einem Hersteller von Holzbearbeitungsmaschinen, taxiert Forschungskoordinator Ulrich Doll den Umsatzverlust sogar auf 10 %. Im Geschäftsjahr 2009 summierte sich dies immerhin auf 52 Mio. Euro. Entstanden ist dieser Schaden zudem nur durch den unerlaubten Nachbau von Aggregaten, Werkzeugen und Ersatzteilen. Plagiate von Maschinen und Anlagen sind darin noch gar nicht eingeschlossen. Dabei sind vor allem im asiatischen Raum bereits Nachbauten einfacherer Homag-Maschinen aufgetaucht. „Doch setzt die Maschinenkomplexität – vor allem im Steuerungsbereich – der Nachahmung Grenzen“, sagt Doll.
Diese Einschätzung des Homag-Experten bestätigt die VDMA-Studie: Lagen vor zwei Jahren noch Plagiate ganzer Maschinen bei den Produktpiraten an erster Stelle, so ist seitdem eine starke Steigerung bei Komponenten und Ersatzteilen festzustellen. „Der Rückgang bei den Komplettmaschinen ist sowohl auf geringere Umsätze mit dem Verkauf von Maschinen als auch auf den Einsatz integrierter Schutzmaßnahmen gegen Produktpiraterie zurückzuführen“, erklärt Steffen Zimmermann von der Arbeitsgemeinschaft Produkt- und Know-how-Schutz im VDMA.
Fast jedes Unternehmen – ob von der Produktpiraterie betroffen oder nicht – trifft heute laut VDMA-Studie Maßnahmen, um sich vor der Bedrohung durch Plagiate zu schützen. An erster Stelle steht dabei nach wie vor die Anmeldung von gewerblichen Schutzrechten wie zum Beispiel Patenten oder Marken. Dabei ist dies nach Meinung des VDMA häufig nicht zielführend, sondern vielmehr Teil des Problems. Denn bereits 18 Monate nach dem Einreichen einer Patentanmeldung erfolgt deren Publikation in den Datenbanken der Patentämter – und öffnet somit Produktpiraten Tür und Tor. Die Folge: Die Lösung wird unmittelbar kopiert – mit allen Mitteln der juristischen Durchsetzbarkeit. „Wir raten unseren Mitgliedern inzwischen, Patente nur noch anzumelden, wenn die Produkte ein sehr komplexes technisches Know-how voraussetzen“, sagt daher VDMA-Hauptgeschäftsführer Hannes Hesse.
Der Verband empfiehlt stattdessen ein ganzheitliches Herangehen, um die Produkte sowohl juristisch als auch technologisch und organisatorisch besser zu schützen. Denn es existiere keine für jedes Unternehmen allgemein gültige „beste“ Methode oder Maßnahme. Ausgehend von einer unternehmensspezifischen Schwachstellen- und Risikoanalyse müssten im Unternehmen Strategien zum durchgängigen Piraterieschutz entwickelt werden. Analysefelder sind dabei die Bedeutung des Produkts, die Wahrscheinlichkeit der Produktpiraterie und die Tragweite des Auftretens von Piraterieware für das Unternehmen.
Wie dies am besten zu realisieren ist, kristallisiert sich derzeit in dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Forschungsschwerpunkt „Innovationen gegen Produktpiraterie“ heraus. Insgesamt elf Projekte hat die Bundesregierung vor zwei Jahren zur Entwicklung praxistauglicher Lösungen gegen Produktpiraterie und deren Bereitstellung für eine breite Anwendung aufgesetzt. Viele von ihnen betreffen auch den Maschinenbau. Anwenderunternehmen, Lösungsanbieter und Forschungseinrichtungen arbeiten dabei jeweils eng zusammen in den drei Themenfeldern:
  • Piraterie-sichere Gestaltung von Produkten sowie von Produktentstehungs- und Vertriebsprozessen
  • Kennzeichnung von Produkten und Systemen zur Überwachung und Verfolgung
  • Entwicklung von Schutzkonzepten gegen Produktpiraterie
Erste Ergebnisse aus den Projekten liegen mittlerweile vor (siehe Kasten).
Sabine Koll Journalistin in Böblingen
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