Mit dem seit Jahresanfang neu eingeführten Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) verpflichtet der Gesetzgeber deutsche Unternehmen mit mindestens 3000 (ab Januar 2024: 1000) Mitarbeitenden im Inland dazu, insbesondere bei ihren unmittelbaren Zulieferern auf Menschenrechte und Umwelt zu achten. Zu den menschenrechtlichen beziehungsweise arbeitsrechtlichen Standards gehören neben einem Verbot von Zwangs- und Kinderarbeit auch typisch deutsche Rechtspositionen wie die Koalitionsfreiheit, Diskriminierungsschutz, oder die Zahlung von Mindestlöhnen. Die neuen unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Überwachung der Einhaltung betreffen in der Umsetzung nahezu die gesamte Unternehmensorganisation und viele betriebliche Standardprozesse. Zusätzlich muss ein Beschwerdeverfahren auch für Unternehmensdritte eingerichtet werden, das die Meldung von Verstößen gegen Menschenrechts- oder Umweltstandards ermöglicht. Eine neue Berichtspflicht zu den Unternehmenssorgfaltspflichten verlangt überdies öffentliche Kommunikation und Pflichtberichterstattung an das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), dessen neu eingerichtete Außenstelle in Borna seit Ende 2022 über die Einhaltung des LkSG wacht.
Zehn Jahre nach dem Einsturz des Textilfabrikgebäudes Rana Plaza in Bangladesch, der mit über 1.100 Todesopfern ein maßgeblicher Auslöser für mehrere neue europäische Lieferkettengesetze etwa in Frankreich, den Niederlanden oder Schweden wurde, beklagen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) nach wie vor dramatisch schlechte Arbeitsbedingungen in Bangladesch. Beim BAFA sind inzwischen erste LkSG-Beschwerden von NGOs gegen einen weltweit agierenden Internethändler und ein internationales Einrichtungshaus eingereicht worden, deren weiterer Verlauf nicht nur von der Wirtschaft mit Spannung verfolgt werden dürfte.
Der aktuelle Stand des EU-Lieferkettengesetzes
Die Kommission der Europäischen Union (EU) hatte am 23. Februar 2022 den ersten Entwurf einer Nachhaltigkeitsrichtlinie vorgestellt, der im Vergleich zum deutschen LkSG weit mehr Unternehmen zu noch umfassenderen Sorgfaltspflichten verpflichten soll. Am 1. Juni 2023 hat nun trotz heftiger Diskussionen im Umfeld das EU-Parlament mit deutlicher Mehrheit für ein EU-Lieferkettengesetz gestimmt, das in vielen Regelungsbereichen weit über das bereits eingeführte deutsche LkSG hinausgeht.
Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden und einem Umsatz von mehr als 40 Millionen Euro sollen demnach ihre Lieferketten nach einer Übergangszeit von fünf Jahren überwachen. Im Unterschied zur deutschen Gesetzgebung sollen die Unternehmen die ganze vorgelagerte Wertschöpfungskette bis hin zur Rohstoffversorgung kontrollieren (Downstream). Außerdem müssen sie auf der Absatzseite die Distribution einschließlich Verkauf, Vertrieb, Logistik sowie Entsorgung überwachen (Upstream). Die notwendigen Kontrollen sollen jedoch risikobasiert gestuft werden können, abhängig von produkt- oder landestypischen Risikomustern. Bei mangelnder Supply- oder eben Value-Chain-Compliance sollen betroffene Unternehmen vor nationalen Gerichten innerhalb der EU auf Schadenersatz verklagt werden können. NGOs sollen dabei Sammelklagen einleiten können. Die ursprünglich einmal vorgesehenen Verpflichtungen von Unternehmensorganen auf Klimaziele sind deutlich abgeschwächt.
Vor Inkrafttreten des EU-Lieferkettengesetzes muss das Europaparlament noch mit dem Ministerrat über eine gemeinsame Lösung verhandeln. Die EU-Mitgliedstaaten hatten sich schon Ende des vergangenen Jahres auf weniger ehrgeizige Regelungen geeinigt. In den nun anstehenden EU-Verhandlungen soll auch die deutsche Idee einer Safe-Harbour-Klausel eine Rolle spielen, nach der Unternehmen Produkte und Lieferketten von unabhängigen Experten prüfen lassen können, um sich unter anderem dadurch so vor Schadensersatzklagen zu schützen.
Ausblick und Handlungsempfehlung
Erste Praxiserfahrungen mit dem deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz zeigen deutlich, dass ein Zuwarten auf EU-weit einheitliche Regelungen keine vertretbare Option darstellt, da nahezu alle Unternehmen bereits indirekt betroffen sind. Als Zulieferer großer Unternehmen müssen sie nämlich bereits heute Angaben zur ihrer Lieferkette machen. Der seit langen Jahren etablierte Compliance-Management-Standard von regelmäßigen Geschäftspartnerprüfungen zur Vermeidung von Korruption muss nun zügig um die Risikokategorien Menschenrechte und Umwelt ergänzt werden – mit Augenmaß betrieben und über viele Unternehmensfunktionen verteilt übrigens kein Bürokratiemonster wie oftmals von den lautstarken Kritikern behauptet. Und ob die neuen Lieferkettengesetze tatsächlich nur „gut gemeint“, aber vielleicht nicht „gut gemacht“ sind, sollte zumindest die besonders international aufgestellten deutschen Industrieunternehmen nicht davon abhalten, die Transparenz- und Qualitätsvorteile in ihren Wertschöpfungsketten aus höheren Sorgfaltspflichten gerade in Zeiten anhaltend angestrengter Lieferketten zu erkennen und nachhaltig umzusetzen.