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Aufbruch ins Neuland

Aufbruch ins Neuland vorbereiten
Rechtliche Aspekte bei der Produktumstellung auf Medizintechnik

Viele Unternehmen stellen derzeit ihre Produktion auf Teile und Komponenten der Medizintechnik um. So löblich der Einstieg ist, so früh sollten der Marktzugang und mögliche Haftungsrisiken bei Produktversagen ins Blickfeld rücken.

Dr. Roland Wiring
Partner und Rechtsanwalt bei der
Wirtschaftskanzlei CMS Deutschland, Hamburg

In der aktuellen Covid-19-Pandemie überlegen viele Unternehmen, ihre Produktion auf dringend benötigte Schutzausrüstung und Gesundheitsgüter umzustellen. Der Bedarf ist enorm, so manche Kapazitäten liegen brach. Doch längst nicht jede Produktionslinie ist technisch auf Masken, Desinfektionsmittel oder Beatmungsgeräte ausgelegt. Auch dürfen medizinische Produkte nicht ohne weiteres auf den Markt gelangen, sondern müssen geprüft und zertifiziert sein. Halten sie nicht, was sie versprechen, geht es oft um Leben und Tod.

So wünschenswert die Ausweitung der Produktion in der gegenwärtigen Situation auch ist – das Vorwagen in den medizinischen Bereich will gut überlegt sein. Für Unternehmen sind rechtlich zwei Aspekte zentral: der Markzugang und das Haftungsmanagement.

Marktzugang für Gesundheitsgüter

Für Schutzausrüstungen, Desinfektionsmittel und medizinische Geräte gelten besondere Vorschriften. Sie unterliegen je nach Produkteinordnung der EU-Verordnung über persönliche Schutzausrüstung (PSA) 2016/425 – etwa Atemschutzmasken –, der EU-Kosmetikverordnung 1223/2009 oder der EU-Biozidverordnung 528/2012 – etwa Desinfektionsgel – oder der EU-Richtline über Medizinprodukte 93/42/EWG, die nach bisherigem Stand im Mai 2020 durch die EU-Verordnung für Medizinprodukte 2017/745 abgelöst werden soll – etwa Beatmungsgeräte.

Vor dem Inverkehrbringen solcher Produkte muss der Hersteller oder Importeur sicherstellen, dass die geltenden Anforderungen erfüllt sind. Bei PSA oder Medizinprodukten ist ein Konformitätsbewertungsverfahren zu durchlaufen, teilweise unter Einbindung einer Benannten Stelle, wie dem TÜV. Das Produkt darf prinzipiell nur auf den Markt, wenn es ein CE-Kennzeichen trägt. Bei Nichtbeachtung drohen Bußgelder und Unterlassungsklagen.

Um in der gegenwärtigen Covid-19-Pandemie auch solchen Unternehmen den Markzugang zu erleichtern, die sich in der Gesundheitsbranche bisher nicht genauer auskannten, hat die EU-Kommission kürzlich mehrere Maßnahmen ergriffen.

Leitfäden für branchenfremde Produzenten

So hat sie am 30. März 2020 drei Leitfäden zur Produktion von Schutzausrüstung, Handdesinfektionsmitteln sowie Ausrüstung mittels 3D-Druck veröffentlicht. Der erste Leitfaden soll helfen, die rechtlichen und technischen Anforderungen für den Import oder die Herstellung von Schutzausrüstungen zu prüfen und anzuwenden. Der zweite Leitfaden betrifft den für das Inverkehrbringen von hydroalkoholischem Gel geltenden Rechtsrahmen. Mit dem dritten Leitfaden geht die Kommission auf 3D-Druckerzeugnisse ein, die im medizinischen Bereich eingesetzt werden sollen. Für die Kategorie der Medizinprodukte – darunter fallen insbesondere komplexere Geräte wie etwas Beatmungsgeräte – hat die EU-Kommission noch keinen Leitfaden erstellt. Ein solcher ist angekündigt und dürfte bald folgen.

Neben informierenden Leitfäden hat die EU-Kommission am 13. März 2020 eine Empfehlung über die Konformitätsbewertungs- und Marktüberwachungsverfahren im Kontext der Covid-19-Bedrohung veröffentlicht. Diese richtet sich an die EU-Mitgliedstaaten und die für die Produktbewertung verantwortlichen Benannten Stellen. Letztere sollen Konformitätsbewertungsverfahren für PSA vorrangig behandeln und zügig durchführen.

Unter bestimmten Voraussetzungen sollen solche Produkte ausnahmsweise auch ohne CE-Kennzeichnung in den Verkehr gebracht werden dürfen. Die Marktüberwachung soll sich auf nichtkonforme PSA oder Medizinprodukte konzentrieren, von denen eine schwerwiegende Gefahr für die Gesundheit und Sicherheit des Benutzers ausgeht. All das soll dazu dienen, die derzeit ohnehin knappen Ressourcen der Benannten Stellen und der Überwachungsbehörden auf die wesentlichen Punkte zu konzentrieren.

Ebenfalls den Markzugang erleichtern sollen Beschlüsse der EU-Kommission vom 24. März 2020 über so genannte harmonisierte Normen für Medizinprodukte. Damit werde es Herstellern ermöglicht, Medizinprodukte zum Schutz von Patienten, Angehörigen der Gesundheitsberufe sowie Bürgern schneller als bisher in den Verkehr zu bringen. Bei der Anwendung der Normen sei davon auszugehen, dass die hergestellten Produkte die Anforderungen der Richtlinien über Medizinprodukte erfüllten.

Damit wird zur Deckung des akuten Bedarfs ein schnelleres und kostengünstigeres Konformitätsbewertungsverfahren ermöglicht. Flankiert wird diese Maßnahme durch die kostenfreie Zugänglichmachung zahlreicher europäische technischer Normen für bestimmte Medizinprodukte und PSA.

Haftungsmanagement

Ist der Markzugang durch Erfüllung der – derzeit etwas gelockerten – regulatorischen Anforderungen geschafft, gilt es aus Unternehmenssicht zu bedenken, dass sich Haftungsfragen stellen können. Was gilt, wenn die Schutzmaske nicht das hält, was sie verspricht, und ihr Träger erkrankt? Und – schlimmer noch – was droht, wenn ein Beatmungsgerät im entscheidenden Moment technisch versagt? Umfangreiche Schadensersatzansprüche können die Folge sein. Diese richten sich in Deutschland nach dem Produkthaftungsgesetz und dem Bürgerlichen Gesetzbuch.

Die Kernfrage dabei: Hat das betreffende Produkt einen Fehler, bietet es also nicht die Sicherheit, die der Anwender oder Patient billiger Weise ihm erwarten kann? Liegt ein solcher Fehler vor, haftet der Verantwortliche nach dem Produkthaftungsrecht verschuldensunabhängig für den kausal verursachten Schaden. Verantwortlich ist dabei nicht nur der Hersteller, sondern bei importierten Waren auch der Importeur. Nicht zuletzt aus diesem Grund empfiehlt sich eine genaue technische und funktionelle Prüfung der jeweiligen Produkte – bei komplexeren Produkten einschließlich der vorhandenen Zulieferer. Denn auch für fehlerhafte Komponenten muss letztlich derjenige einstehen, der die Schutzausrüstung oder das Medizingerät auf den Markt gebracht hat.

Damit dem Einstieg nichts im Wege steht

Die Produktionsverlagerung in den medizinischen Bereich bietet also eine Reihe von Chancen – in medizinischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht. Die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten tun derzeit viel, um Produktionsumstellungen und Marktzugang zu erleichtern. Trotz dieser Erleichterungen muss jedem Unternehmen, das medizinische Schutzausrüstung oder medizinisches Gerät einführen, herstellen oder vertreiben möchte, allerdings bewusst sein, dass in diesem Sektor – auch in Zeiten der Covid-19-Pandemie – vergleichsweise strenge rechtliche Anforderungen gelten. Das betrifft den Zugang als solchen, es gilt auch für mögliche Haftungsrisiken bei Produktversagen. Nimmt man diese zentralen Punkte aber früh und fokussiert in den Blick, steht einem Einstieg in diesen Bereich nichts im Wege.

 

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