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„Wir können 100 Prozent“

Erneuerbare Energien: Im Team auch grundlastfähig
„Wir können 100 Prozent“

Mit der richtigen und ständig wechselnden Mischung aus Wind, Sonne, Biogas und Wasserkraft lässt sich der schwankende Energiebedarf einer Industrienation nachbilden. Das hat das Projekt Kombikraftwerk gezeigt und damit der Diskussion um die Grundlastfähigkeit der erneuerbaren Energien einen Aspekt hinzugefügt.

Frau Merkel ist schuld. Gewissermaßen. Vor einigen Jahren schon hatte sie angesichts der Diskussion über unsteten Wind und Deutschlands oft bewölkten Himmel die Befürworter der erneuerbaren Energien aufgefordert, zu beweisen, dass diese bei der Energieerzeugung nicht nur Spielball der Wetterverhältnisse sind, sondern Strom genau dann liefern können, wenn die Abnehmer ihn brauchen, und das auch noch in der erforderlichen Menge.

Diese Herausforderung hat eine Gruppe von Unternehmen angenommen und auf der Hannover Messe die Ergebnisse des Projektes Kombi-Kraftwerk präsentiert: Mit moderner Prognose-Software lässt sich demnach sowohl der Strombedarf genau vorhersagen als auch die zu erwartenden Wetterbedingungen in verschiedenen Regionen Deutschlands. Mit diesen Daten kann ein Mix aus Windkraft- und Solaranlagen an verschiedenen Standorten zusammen mit wetterunabhängigen Biosgasanlagen so gesteuert werden, dass genau die erforderliche Menge Strom ins Netz gespeist wird. Überschüsse bei zu viel Sonne oder Wind belasten nicht das Netz, sondern speisen eine Pumpe, die Wasser nach oben in einen Wasserspeicher befördert. Bei Bedarf liefert dieses Reservoir wieder einen Teil der aktuell erforderlichen Energie zu.
Die moderne Computertechnologie – Voraussetzung für die Prognosesoftware – hat einen wesentlichen Teil zum Erfolg beigetragen. „Vor zwanzig Jahren wäre so ein Projekt vielleicht gar nicht möglich gewesen“, meint Jörg Mayer von der Agentur für Erneuerbare Energien in Berlin. „Aber die Ergebnisse zeigen, dass wir heute weit genug sind.“
Als weiteren Erfolgsfaktor nennen die Organisatoren die Zusammenführung der Energiequellen und Standorte, denn erst sie bringe die Unabhängigkeit vom Wetter. Die über ganz Deutschland verteilten Anlagen, deren Leistung im Projekt koordiniert wurde, seien zusammen genommen so „zuverlässig und leistungsstark wie ein herkömmliches Großkraftwerk“. Beteiligt waren in diesem Fall elf Windkraftanlagen, 20 Solaranlagen, vier Biogasanlagen und ein Pumpkraftwerk. „Die dezentrale Vernetzung erlaubt es, die Wind-, Solar- und Biogasanlagen wie ein herkömmliches Großkraftwerk zu steuern und den wechselhaften Energiebedarf Deutschlands zu decken“, erläutert Kurt Rohrig vom Kasseler Institut für Solare Energieversorgungstechnik. Die hessischen Wissenschaftler um Prof. Jürgen Schmid haben die zentrale Steuerungseinheit des Kombikraftwerks betreut. Welchen Anteil die einzelnen Energiequellen im Lauf des Jahres 2006 an jedem einzelnen Tag an der Stromerzeugung hatten, ist im Internet anhand von Grafiken nachzuvollziehen: mit viel sonnengelben Bereichen im Sommer und windintensiven, blau dargestellten Phasen zum Beispiel im Dezember.
Natürlich lassen sich die Daten dieses Projektes nicht ohne weiteres auf die gesamte Bundesrepublik übertragen. Die Projektteilnehmer hatten sich zur Aufgabe gemacht, für die Dauer eines Jahres einen festen Teil des landesweiten Strombedarfes zu decken. Rund 12 000 Haushalte – was einer Stadt von der Größe Schwäbisch Halls entspricht – sollten vom Kombikraftwerk versorgt werden. Bezogen auf den Energiebedarf Deutschlands ist das etwa ein Zehntausendstel, also 0,01 %.
Dabei haben die Partner mit einem Mix gearbeitet, bei dem gut 22 MW Leistung in Form von Wind, Sonne und Biogas zur Verfügung standen. Etwa 57 % steuerte die Windkraft bei, 25 % die Solarenergienutzung und knapp 18 % die Biogasnutzung.
Dieser Mix ist jedoch nur als ein Beispiel zu sehen, und das letzte Wort über die zukünftig mögliche Stromversorgung mit erneuerbaren Energien noch nicht gesprochen. Der Bundesverband Erneuerbare Energien geht – gewisse Rahmenbedingungen vorausgesetzt – davon aus, dass Wind- und Bioenergie sowie Wasserkraft bis 2020 mehr als 35 % des nationalen Strombedarfs decken können. Der Anteil der Photovoltaik werde langsam steigen. Im Jahr 2007 lieferte die Windenergie allein 6,4 % des Strombedarfs, die erneuerbaren Energien brachten es insgesamt auf 14,2 %.
Rechnet man die Ergebnisse aus dem Kombikraftwerk-Projekt hoch, so wie es die Partner für den Bereich Windkraft getan haben, kommt man zu Vergleichszahlen für die ganze Republik: Derzeit werden in Deutschland alles in allem rund 23 000 Windkraftanlagen mit unterschiedlicher Leistung zwischen etwa 500 kW bis rund 2 MW betrieben, rechnet ein Enercon-Experte vor. Wollte man den im Projekt Kombikraftwerk genutzten Anteil an Windstrom für ganz Deutschland erzeugen, bräuchte man alles in allem etwa 15000 Anlagen der derzeit größten Klasse, in der eine einzige Anlage mit einer Leistung von 6 MW zu Buche schlägt. Solche Anlagen, die für den Einsatz an Land gedacht sind, baut Enercon derzeit in Kleinserie.
Bis sich die Erfolge des Projektes Kombikraftwerk auf einen größeren Maßstab übertragen lassen, sind noch ein paar Schritte zu rückzulegen. Dennoch fühlen sich die Projektteilnehmer durch die Ergebnisse bestärkt, und betonen die Potenziale ihrer Technologien. „Das Kombikraftwerk zeigt im Kleinen, was auch im Großen möglich ist: eine Vollversorgung durch Erneuerbare Energien“, sagt Frank H. Asbeck, Vorstandsvorsitzender der SolarWorld AG. Der Bonner Photovoltaik-Anbieter ist einer der Industriepartner und Initiatoren des Projektes. Der Auricher Anlagenbauer Enercon GmbH begleitete den Windkraft-Teil des Projektes, mit Parks in Würselen, Nauen und Pilsum. Die vier Biosgasanlagen, die bei ungünstigen Witterungsverhältnissen in Sekundenschnelle einsprangen und den fehlenden Strom ins Netz speisten, stehen in Bad Hersfeld, Hünxe, Pliening und Schwäbisch Hall und wurden von der Schmack Biogas AG,Schwandorf, gebaut.
Bei der Präsentation auf der Hannover Messe lobte Prof. Klaus Töpfer, ehemaliger Bundesumweltminister und Schirmherr des Projektes, die Ergebnisse. „Früher wurden erneuerbare Energien belächelt. Heute sind sie nicht nur im Trend, sondern sogar Trendsetter.“ Deutschland verfüge allerdings – sofern erneuerbare Energien mit genützt würden – nicht nur über „unendlich viel Energie“, wie es ein Slogan der Agentur für Erneuerbare Energien beschreibe. Es verbrauche auch viel Energie, und so mahnte Töpfer an, die Steigerung der Energieeffizienz in alle Überlegungen einzubeziehen, ebenso wie die Frage nach den Netzen. In ihnen fielen 7 bis 12 % Verluste an, und daher solle man über dieses Thema, das alle Arten der Energieerzeugung betreffe, keinesfalls hinweg diskutieren.
Darüber hinaus lasse sich die Frage nach zukünftigen Möglichkeiten der Energieversorgung ohnehin nicht nur aus technischer Sicht klären. Die aktuelle Debatte über eine eventuelle Konkurrenzsituation beim Anbau von Pflanzen, die entweder für die Erzeugung von Nahrungsmitteln oder für die Erzeugung von Bioenergie gedacht seien, zeige die politische Dimension des Problems. „Man darf diese Themen nicht entkoppelt sehen“, sagte Töpfer.
Einen Verzicht auf konventionelle Energieerzeugung hält Töpfer trotz der positiven Ergebnisse im Projekt Kombikraftwerk nicht für realistisch. Eine hoch effiziente Kohlenutzung werde es weiterhin geben, allerdings würden dafür Technologien für „Clean Coal“ gebraucht. „Ich bin oft genug in China, um zu wissen, dass es ohne nicht gehen wird.“ Das Fazit des Schirmherrn fällt daher diplomatisch aus: „Ein sinnvolles Miteinander von konventionellen und erneuerbaren Energiequellen scheint mir der entscheidende Punkt zu sein.“ Wie das Miteinander im Detail aussieht, wird von der Politik noch zu entscheiden sein. Das Signal aus der Branche der erneuerbaren Energien jedenfalls lautet: „Im Team können wir 100 Prozent.“ op
Bisher decken erneuerbare Energien 14,2 % des Bedarfs
Effizienz und Netzverluste nicht vergessen

Neue technologien
Anbieter aus der Branche der erneuerbaren Energien erzielen weltweit Erfolge. Die deutsche Windkraft beispielsweise meldet steigende Umsätze: 2007 brachte ein Plus von 18 %. Von den erzielten 7,6 Mrd. Euro kamen 78 % aus dem Export-Geschäft. Das große Interesse an den regenerativen Energien hängt mit der Ölpreisentwicklung zusammen. Der Ausbau der neuen Energiequellen werde das Steigen des Energiepreises aber nicht verhindern, meinen Experten.

Projekt Kombikraftwerk

Während des Jahres 2006 hat das Projekt Kombikraftwerk rund 0,01 % des deutschen Strombedarfs dezentral und über erneuerbare Energien gedeckt. Der Ansatz beruht auf der Vernetzung und dem Ausgleich verschiedener Erneuerbare-Energien-Kraftwerke. Sie waren über eine zentrale Steuerungseinheit per Informationstechnologie miteinander verknüpft. Das Kombikraftwerk ermöglicht ihre aktive Steuerung im Echtbetrieb. Die Variation einzelner Rahmenbedingungen – etwa des Strombedarfs oder des Windangebots – verändert das Zusammenspiel der vernetzten Anlagen.
Der tatsächliche Verlauf des Strombedarfs ist der Ausgangspunkt für alle Kraftwerksfunktionen. Die Prognose des Strombedarfs, das so genannte Lastprofil, wird an die zentrale Steuerungseinheit übermittelt. Dort treffen auch die Prognosen über die Leistung von Wind- und Solaranlagen ein. Der Deutsche Wetterdienst stellt die Vorhersagen von Windstärken und Sonnenstunden zur Verfügung. In der zentralen Steuerungseinheit werden diese Daten gegeneinander aufgerechnet. Wind- und Solarenergie allein können dem Strombedarf nicht exakt entsprechen, da das Angebot an Wind und Sonneneinstrahlung schwankt. So entstehen Über- und Unterversorgungen, die ausgeglichen werden müssen, um Versorgungssicherheit und Netzstabilität zu gewährleisten.
Das übernehmen Blockheizkraftwerke (BHKW), die aus Biogas Strom und Wärme produzieren. Auch Energie aus einem Pumpspeicherkraftwerk wurde zur Verfügung gestellt: Wird Strom benötigt, treibt das Wasser einen Generator an. Bei Stromüberschuss wird es durch Rohrleitungen in ein Speicherbecken gepumpt.
Die Vorhersage des Leistungsbedarfs ermöglicht es, rechtzeitig Fahrpläne für die Steuerung der Blockheizkraftwerke und der Speichersysteme aufzustellen. Überschüssige Energie wird für das Auffüllen des Pumpspeichers genutzt. Der Strom kann auch exportiert werden. In Ausnahmefällen lassen sich die Wind- und Solaranlagen drosseln – dann blieben vorhandene Energiepotenziale aber ungenutzt.
Weitere Informationen: www.kombikraftwerk.de
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