Herr Kurek, als Technologie-Consulter für den Automobilbau sind Sie besonders dem Leichtbau verpflichtet. Was steckt hinter dem neuen Tool „Sustainability Value Analyse“?
Nachhaltigkeit hat heute extrem hohe Bedeutung, wir müssen die CO2-, Klima- und Energiewende beschleunigen. Dafür ist es essenziell, die wesentlichen Nachhaltigkeitskriterien und ihren Preis in ein ausbalanciertes, möglichst positives Verhältnis zu bringen. Unsere grüne Zukunft muss bezahlbar sein. Darum gilt es, den Preis für Nachhaltigkeit produktbezogen zu ermitteln. Dies leisten unsere Sustainability Value Analysen, indem sie die Nachhaltigkeit von Materialien und Prozesstechnologien sowie ihre Bepreisung mess- und beurteilbar machen.
Was ist das Neue daran?
Das Innovative unseres „Sustainability Value“ liegt darin, dass wir die Nachhaltigkeit im Blick auf Ressourceneinsatz, Material- und Energieverbrauch ingenieurwissenschaftlich fundiert und „Bauteil-individuell“ gewichten, bewerten und berechnen. Das tun wir in der Vor-Prozesskette, Nutzungsphase und Wiederverwertungsphase eines Produktes. Wir bringen die dabei ermittelte Nachhaltigkeit von Prozesstechnologien und Materialien ins Verhältnis zu den Kosten. So erhalten wir ein relativ gutes oder eben relativ schlechtes Nachhaltigkeits-Preis-Verhältnis auf einen Blick – und können daraus Handlungsfelder ableiten.
Ist der Leichtbau nicht an sich schon nachhaltig?
Ja natürlich – insbesondere in der Mobilität, wo Massen bewegt werden müssen. Kinetische Energie folgt dem physikalischen Grundgesetz „E = ½ mv2“ und ist in der Nutzungsphase vordergründig. Aber unsere Betrachtungen gehen darüber hinaus. Wenn wir zum Beispiel erdölbasierte Werkstoffe wie Carbon verwenden, haben wir im Blick auf die gesamte Nachhaltigkeit ein eher kritisches Material – wegen seines CO2-Footprints und weil fossile Ressourcen sich erschöpfen. Hingegen ist „Nachhaltigkeits-Leichtbau“ ein neuer, ganzheitlicher Ansatz.
Welche Bedeutung hat „Nachhaltigkeits-Leichtbau“ in Zukunft?
Wollen wir die CO2-, Klima- und Energieziele erreichen, dann gilt es den Nachhaltigkeits-Leichtbau signifikant zu forcieren. Er ist der kleinste gemeinsame Nenner für Transportwesen, Automobil- und Schiffsbau, Luft- und Raumfahrtindustrie gleichermaßen. Hier sollten Industrie, Politik, Wissenschaft und Medien an einem Strang ziehen – für partikulare Interessen fehlt die Zeit.
Das klingt rigoros. Wollen Sie Industrie und Politik antreiben?
Mir geht es zuallererst um einen Bewusstseins-Wandel im Umgang mit natürlichen Ressourcen in Material- und Bauteilproduktion, Produktnutzung und Wiederverwertung. Mit unseren Sustainability-Analysen bieten wir hierfür ein wirksames Instrumentarium: Es geht um die Verknüpfung von Management- und Technologiewissen.
Als Vorzeigeprojekt haben Sie das vom Bund geförderte Projekt „NaMiko“ gestartet: eine aus Naturfaser gewickelte „ultraleichte“ Mittelkonsole. Welches Signal sendet sie?
Es handelt sich dabei um ein Leuchtturm-Projekt für den Weg zu CO2-neutraler oder -armer Mobilität nach dem Motto „race to zero“. Für dieses Ziel haben wir uns mit Partnern wie der BMW M GmbH, CSI Entwicklungstechnik und den Deutschen Instituten für Textil- und Faserforschung Denkendorf zusammengeschlossen, unterstützt vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, BMWK. So wiegt die abfallfrei gewickelte Cellulosefaser-Tragstruktur der Mittelkonsole kaum mehr als 800 Gramm.
Was ist das Besondere daran?
Die Naturfaser-Mittelkonsole nutzt die Raumwickeltechnologie ‚NFK in 3D‘. Die Auslegungsmethodik in einer durchgängig digitalen Prozesskette hin zu einer kraft- und spannungsoptimierten Fachwerkbauweise steht für einen Paradigmenwechsel: eine Radikal-Innovation, die Nachhaltigkeits-Leichtbau neu denkt.
Sie sprechen das Management an: Ist denn ein solcher Leichtbau bezahlbar?
Das muss er sein. Nachhaltigkeits-Innovationen entstehen nur dann, wenn zugrundeliegende Ideen auch umgesetzt werden und Resultate im Markt erzielen. Diese Abgrenzung Peter Druckers halte ich für wesentlich. Neun von zehn Innovationen floppen, weil die Entwickler nicht früh genug über die Bepreisung nachgedacht haben. Deswegen sind unsere „Sustainability Value Analysen“ so wichtig.
Können Sie das neue Tool „Sustainability Value Analyse“ kurz skizzieren?
Unsere Sustainability Value Analysen sind ein Instrumentarium, das Nachhaltigkeits-Anforderungen und ihren Preis in ein zumindest ausgewogenes Verhältnis bringt. Eine wesentliche Herausforderung war dabei, alle wesentlichen Kriterien, Daten und Fakten zu berücksichtigen – und keine mehr.
Wie gehen Sie dabei vor?
Wir analysieren das Bauteil bezogen auf natürlichen Ressourcenverbrauch, Materialsatz, Produktionsprozess, Nutzungsphase und schließlich End-of-Life – und zwar auf Einzelteilebene. Es stimmt schon, dafür brauchen wir sehr viele Daten. Nehmen wir beispielsweise die erwähnte Naturfaser-Mittelkonsole: Zur Sustainability Value Analyse brauchen wir Masse, Länge, Dicke und Aufbau der Endlosfaser wie auch den Ressourcenverbrauch zu ihrer Herstellung. Darauf aufbauend benötigen wir die Produktionsdaten: Wieviel Zeit und Energie wendet der Roboter für das Wickeln auf? Wie gestalten sich die Logistik und dann später die Nutzungsphase? Und so weiter. Die Analyse ist sehr komplex. Unser Mitarbeiter Sai Chennoju hat allein dafür drei Monate investiert.
Was nutzt dieser Sustainability Value?
Sehr viel. Diese Methode bringt erstmals die Nachhaltigkeit ins Verhältnis zum Preis – nachvollziehbar auf einen Blick. Stellen Sie sich vor, ein Flugzeugbauer würde überlegen, einen Flügel aus Carbon, Basalt oder Glasfaser zu fertigen. Nun bekommt er dafür ein mess- und bewertbares Nachhaltigkeitskriterium und kann fundierte Entscheidungen treffen.
Könnten auch Unternehmen außerhalb Automotive und Aerospace profitieren, etwa ein Rasenmäher-Hersteller?
Über solche Anfragen würde ich mich total freuen. Beim Rasenmäher würde ich zuerst analysieren, welche Bauteile den größten Einfluss auf die Nachhaltigkeit haben. Ließe sich das Gehäuse etwa auch in Flachsbauweise fertigen und wiederverwenden oder gibt es Alternativen zu bestimmten Hang-on-Teilen? Wir würden dem Hersteller genau vorrechnen, wo er hin kann für mehr Nachhaltigkeit und was es kosten würde. Dann kann er entscheiden.
Wie konnten Sie diese Sustainability Value Analyse so schnell entwickeln?
Wir sind schon seit Jahren damit beschäftigt, CO2-Bilanzen, Global Warming Potentials und Life Cycle Assessments (LCA) zu erstellen oder über Rezyklierbarkeiten nachzudenken. Nun aber haben wir beschlossen, die Komplexität zu reduzieren. Wir greifen die wesentlichen Nachhaltigkeits-Kriterien heraus und gewichten sie für das Bauteil. Das daraus resultierende Ranking setzen wir dann ins Verhältnis zum relativen Preis.
Wieso ist Ihnen das „Frontloading“ so wichtig, das Agieren aus einer initialen Planungsphase heraus?
Das Beeinflussungs-Potenzial ist in der frühen Initialphase einer jeden Konzept- und Produktentwicklung am größten. Strategische Zielvorgaben und nachvollziehbare Prämissen im „Forecast“ entscheiden nicht nur über die Nachhaltigkeits-Qualität, sondern auch über die Wirtschaftlichkeit – also darüber, ob betriebswirtschaftliche Ziele erreicht werden.
Und Sie setzen auf Emotionen. Welche denn?
In der Tat möchte ich auch das Gefühl ansprechen, da Bedenken der Innovationskraft wenig dienen. Mit unseren Naturfaser-basierten Ultra-Leichtbau-Lösungen konnten wir schon viele Unternehmungen und ihre Mitarbeiter motivieren. Es geht darum, Nachwuchskräfte für Leichtbau und Nachhaltigkeit zu begeistern.