Was unterscheidet Unternehmen, die bei der Digitalisierung ihrer Fertigung zügig vorankommen, von jenen, bei denen das nicht der Fall ist? Der aktuellen Studie „The current state of Industry 4.0“ des Beratungsunternehmens Roland Berger zufolge ist es die Kombination von vier Bausteinen: klare Priorisierung von Anwendungen, eine funktionsübergreifende Industrie-4.0-Einheit, eine vollständig harmonisierte IT/OT-Systemlandschaft sowie der Fokus auf eine entsprechende Mitarbeiterqualifizierung.
Auf Grundlage der Erfahrungen führender Automobilhersteller und -zulieferer präsentiert die Studie die wichtigsten Erfolgsfaktoren der digitalen Fertigung. „Als der Begriff Industrie 4.0 vor gut zehn Jahren geprägt wurde, waren damit riesige Hoffnungen verbunden“, sagt Bernhard Langefeld, Partner bei Roland Berger. In der Zwischenzeit hätten die Unternehmen teilweise viel Geld investiert. „Von der intelligenten, flexiblen und sich selbst organisierenden Fabrik sind die meisten dennoch weit entfernt.“
Signifikante Fortschritte in der Automobilbranche
In der Praxis scheitere die digitale Fertigung häufig an Gegebenheiten wie weitgehend autonom operierenden Produktionsstandorten mit heterogenen IT/OT-Umgebungen, der Nutzung von veraltetem Equipment oder Schwierigkeiten bei der Quantifizierung des Mehrwerts von Industrie-4.0-Anwendungen. Trotz dieser Herausforderungen habe insbesondere die Automobilbranche in Sachen Industrie 4.0 in den vergangenen Jahren signifikante Fortschritte erzielt, heißt es in der Studie.
Wie die Analyse anhand der Erfahrungen führender Hersteller und Zulieferer zeigt, setzen digitale Pioniere bei der Identifizierung, Priorisierung und Implementierung von Anwendungsfällen auf Organisationsansätze, die eine zentrale Steuerung der Lösungserarbeitung effizient ermöglichen (Hub-and-Spoke-Organisation). Dadurch werden Doppelarbeiten an unterschiedlichen Standorten vermieden. Weiterhin lassen sich die entwickelten Prozesse durch ein zentrales Steuerungsorgan besser über mehrere Werke hinweg ausrollen und skalieren.
Entscheidend sind Organisation und Technologie
Die Umsetzung einzelner Anwendungen erfordert Datenanalyse-, IT- und Produktionskompetenzen. Daher bündeln erfolgreiche OEMs ihre digitalen Aktivitäten meist funktionsübergreifend in einem zentralen Industrie-4.0-Kompetenzzentrum. In enger Abstimmung mit den Werken erfassen diese die Anforderungen und pilotieren neue Anwendungen.
Um die verschiedenen spezifischen Implementierungen verwalten zu können, benötigen Unternehmen zudem eine übergreifende IT/OT-Zielarchitektur. Darin spielen auch IIoT-basierte Cloud-Plattformen eine zunehmend wichtigere Rolle. Diese Zielarchitektur hilft, den redundanten Aufbau von IT-Infrastruktur und Schnittstellen zu vermeiden und die Use-Case-Implementierung mit den Investitionen in neue Systeme besser abzustimmen.
Andere Branchen können von Erfahrungen profitieren
Die Automobilindustrie hat den Ergebnissen der Studie zufolge in den vergangenen Jahren beachtliche Erfolge erzielt:
- Die zustandsorientierte Überwachung und prädiktive Instandhaltung von Maschinen und Anlagen weisen bereits einen hohen technologischen Reifegrad auf.
- Optische und Prozessdaten-basierte Qualitätsprüfungen zeigen über unterschiedliche Einsatzbereiche von der Motorenproduktion bis zur Endmontage einen hohen Mehrwert.
- Autonomer Materialtransport kommt insbesondere für die interne Materialbereitstellung in der Motoren- und Fahrzeugmontage zum Einsatz.
- Moderne Track- und Trace-Systeme unterstützen entlang der Lieferkette und helfen, mehr Prozesstransparenz zu erhalten und die Einsteuerung in die Werke zu erleichtern.
- Die echtzeitbasierte Maschinenparameter-Optimierung weist den vergleichsweise geringsten Reifegrad auf. Erste Pilotanwendungen sind in Presswerken und in Lackierereien zu beobachten.
„Von den Erfahrungen der Automobilindustrie können andere Branchen profitieren und so diverse unnötige Fehler vermeiden“, fasst Langefeld zusammen. „Unternehmen, die auf eine übergreifend gesteuerte Digitalisierungsstrategie, strukturierte Prozesse und auf ein Organisationsmodell setzen, das digitale Innovationen ermöglicht, haben gute Chancen, das Potenzial von Industrie 4.0 zu heben.“ (jk)