Mit dem erfahrenen deutschen Robotik-Manager Gerald Mies als President & CEO der neu gegründeten Estun Robotics Europe AG bläst der größte chinesische Roboterhersteller Estun jetzt zur Europa-Offensive. Hauptsitz des europäischen Estun-Ablegers ist in der Schweiz.
„Künftig wollen wir in allen europäischen Ländern mit Vertrieb, Service, Training und Ersatzteilversorgung lokal präsent sein“, betont Gerald Mies. „Dies bietet europäischen Kunden und Systemintegratoren ideale Voraussetzungen.“ Als Roboter-Hersteller will Gerald Mies sich an den hiesigen Gegebenheiten orientieren und ein starkes Preis-Leistungs-Niveau bieten: „Dazu gehören eine hohe Verfügbarkeit, Lieferfähigkeit, Service und das Ersatzteilgeschäft. Mit unserem Angebot sind wir schon sehr europäisch ausgerichtet.“
Weitere Fanuc-Europa-Manager mit an Bord
Mit Gerald Mies, der als Präsident & CEO die Geschäfte in Europa und dem mittleren Osten verantwortet, hat sich Estun viel europäische Robotik-Erfahrung an Bord geholt. Bis vor kurzem war er President & CEO der Kuka System GmbH, der Anlagenbausparte des Augsburger Robotik-Konzerns. Zu Beginn seiner Karriere war Gerald Mies lange Jahre Deutschland-Chef und Vice President Europe beim weltweit größten Roboterhersteller Fanuc. Zudem bringt er einige Jahre Erfahrung im Topmanagement beim Maschinenbauer FFG Europe & Americas (2017 bis 2020) und beim Schweißrobotik-Spezialisten Carl Closs Schweißtechnik (2013 bis 2016) mit.
Aus seinen Fanuc-Zeiten hat Gerald Mies übrigens mit Konrad Grohs und Marco Delaini ehemalige Europa-Kollegen als Verstärkung bei Estun mit an Bord geholt. So ist Konrad Grohs (zuletzt Director IoT Business bei Fanuc Europe) nun Vice President bei Estun Robotics Europe sowie CEO der Estun Robotics Central Europe. Und der ehemalige Fanuc-Italien-Manager Marco Delaini verantwortet als CEO nun Estun Robotics in Südeuropa.
„Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit Marco Delaini und Konrad Grohs, die seit vielen Jahren sehr erfolgreich in Führungspositionen der europäischen Robotik tätig waren. Sie werden ihre Erfahrung als Mitglieder des Vorstands und länderverantwortliche CEOs zu Estun Europa bringen“, so Gerald Mies
Wer ist Estun?
Aber wer ist eigentlich Estun? „Estun ist der am schnellsten wachsende Konzern unter den großen Roboterherstellern und hält nach dem japanischen Weltmarktführer den größten Marktanteil in China, vor europäischen und weiteren japanischen Wettbewerbern“, betont Gerald Mies. Das bestätigt China Kenner Georg Stieler von der Stieler Technologie- & Marketing-Beratung: „Estun ist der größte chinesische Hersteller von Industrierobotern. Nach Stückzahlen lag das Unternehmen in seinem Heimatmarkt 2023 hinter Fanuc auf Platz zwei.“
Von Cobots bis zu Schwerlastrobotern
In Sachen Produktpalette ist Estun mit über 70 Robotertypen mittlerweile sehr breit aufgestellt, vom Cobot bis zum Schwerlastrobotern mit 700 kg Tragkraft. 76 Modelle umfasst das Portfolio mit Traglasten zwischen 3 und 700 kg inklusive kollaborativer Roboter, Scaras und Reinraumversionen.
„Zudem ist Estun hinsichtlich Qualitätsindikatoren wie MTBF, Wiederholgenauigkeit, Geschwindigkeit und Gewicht/Traglast-Verhältnis nicht weit hinter der internationalen Konkurrenz und damit besser als die meisten einheimischen Wettbewerber“, ergänzt Georg Stieler.
Für hohe Produktqualität sorgt zudem ein hoch automatisierter Fertigungsprozess von der Zerspanung bis zur Montage und eine hohe Wertschöpfungstiefe. „Ähnlich wie Fanuc verfolgt Estun eine Strategie, die auf eine hohe Wertschöpfungstiefe setzt, was im Vergleich zu anderen chinesischen Wettbewerbern höhere Margen zulässt“, sagt Georg Stieler. Da Estun neben Industrierobotern auch Servo-Antriebe und Steuerungssystemen anbietet, liegt auch ein Vergleich mit Yaskawa nahe.
In den letzten Jahren rapide gewachsen
Und das chinesische Unternehmen ist auf Wachstumskurs: „Estun ist in den letzten Jahren rapide gewachsen, weil das Unternehmen früh auf skalierbare Anwendungen im Batteriebereich und in der Fertigung von Solarpanels gesetzt hat. Nachdem diese Absatzmärkte schwächeln, sind dieses Jahr Anwendungen in der Elektronikindustrie und im Automobilbau im Fokus“, weiß Georg Stieler. Estun rüstet in China beispielsweise den Automobilhersteller BYD aus.
Zudem habe Estun in den vergangenen fünf Jahren durch Zukäufe im In- und Ausland sowohl seine technologische Kompetenz wie auch seinen Marktzugang ausbauen können. „Besonders interessant: Im August 2019 erwarb Estun den deutschen Schweißroboter-Pionier Carl Cloos Schweißtechnik für 196 Mio. Euro. Seit 2017 betreibt Estun ein R&D Center in Italien und tritt auch unter dem eigenen Namen auf Messen auf“, berichtet Georg Stieler weiter.
20 bis 30 Prozent günstiger
Nicht zuletzt dürfte Estun auch über den Preis punkten können: „Estun verkauft in China etwa 20 bis 30 Prozent günstiger als Fanuc, das in China deutlich günstiger anbietet als in Japan oder Europa“, so der Chinas-Experte Georg Stieler. „Das könnte auch bei einigen Kunden in Europa durchaus ein Argument sein. Gleichzeitig bringen chinesische Autobauer oder Batteriehersteller bei Kapazitätsaufbauten im Ausland ihre etablierten Lieferanten mit – so, wie das die letzten 30, 40 Jahre in die andere Richtung lief.“
Kommen weitere chinesische Roboterhersteller?
China-Kenner Georg Stieler geht daher davon aus, dass weitere große chinesische Roboterhersteller dem Beispiel von Estun und einigen Cobot-Anbietern wie Elite Robots oder Dobot folgen werden und verstärkt nach Europa kommen: „Denn der Margendruck im Heimatmarkt ist enorm. Gleichzeitig sind die Produktionskapazitäten da.“ Erst kürzlich habe Efort (die chinesische Nummer 2 bei Mehrachsrobotern) angekündigt, für 1,9 Mrd. eine neue Fabrik bauen zu wollen. „Es ist aber auch zu erwarten, dass die großen chinesischen Player Fertigungskapazitäten in Europa errichten werden.“ Man darf also gespannt sein.