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Die „Alten“ – wichtige, aber noch unbekannte Wesen

Demographischer Wandel: Worauf sich Industrie und Gesundheitsbranche einstellen müssen
Die „Alten“ – wichtige, aber noch unbekannte Wesen

Gesellschaft, Gesundheitssystem, Produkte. Alles muss sich verändern, wenn das Durchschnittsalter der Menschen steigt. Die Alterssimulation ist ein Weg, um zu verstehen, worauf es dann ankommt. Was diese Technik bringt, ist auf der Medizintechnik-Messe Compamed zu sehen.

Wir werden alt. Und wie! Aber was für jeden Einzelnen sehr erstrebenswert klingt, stellt die Gesellschaft vor neue Aufgaben, auf die noch längst nicht alle optimal vorbereitet sind. Dabei ist das Entwickeln von Produkten, die auch für Senioren einfach zu nutzen sind, nur eine der Herausforderungen. Hier geht es darum, eine Zahnpastatube nicht mit einer spiegelnden Beschriftung zu versehen, die Bedienknöpfe nicht zu klein zu gestalten und die Menüführung übersichtlich aufzubauen.

Auch darauf muss man natürlich erstmal kommen und die Bedürfnisse der neuen Zielgruppe erkennen. Wenn aber die Gesellschaft altert, beschränken sich die Veränderungen nicht auf ein paar Details für das private Umfeld von Rentnern. Schließlich wird ein großer Anteil der Berufstätigen zukünftig nicht mehr in der Klasse zwischen Anfang 30 und Mitte 40 zu finden sein – und die ersten Einschränkungen bei den Fähigkeiten fangen schon bei den 50-Jährigen an, wie Experten betonen.
Diese individuell unterschiedlich ausgeprägten Veränderungen beschreibt das so genannte Chemnitzer Altersmodell, das unter der Leitung von Prof. Birgit Spanner-Ulmer am Lehrstuhl Arbeitswissenschaft an der TU Chemnitz entwickelt wurde. Was das für die Praxis heißt, weiß Christian Scherf, ein Mitarbeiter von Prof. Spanner-Ulmer. „Vom demographischen Wandel ist zum Beispiel die Gesundheitsbranche betroffen. Das kann man an Prozessen und Abläufen im OP und der Pflege erläutern.“ Nicht nur die Patienten würden älter, sagt er, sie müssten schließlich auch von einer älteren Belegschaft betreut werden können. „Fest steht, dass im Alter die Muskelkraft nachlässt, und zwar sowohl die Schnell- als auch die Maximalkraft“, so der Forscher. Wenn nun ein 95 kg schwerer Patient von einer älteren Pflegerin, die vielleicht nur 65 kg wiegt, umgebettet werden muss, führe das zu Problemen. „Das mag bei einer einmaligen Aktion durch geschickte Nutzung von Hebelkräften zu umgehen sein, ist aber ein Berufsleben lang nicht durchzuhalten“, betont der Chemnitzer. Gefordert sind also sowohl die Krankenhäuser als Arbeitgeber als auch die Medizintechnik-Industrie, die die entsprechenden Hilfsmittel zur Verfügung stellen könnte.
Solche Konsequenzen aus dem demographischen Wandel wissenschaftlich zu belegen und zu beschreiben, ist aber nur der erste Schritt. Die sächsischen Forscher haben darüber hinaus auf der Basis ihrer Studien einen Alterssimulationsanzug entwickelt, der Jüngere am eigenen Leib fühlen lässt, dass Altern mehr bedeutet als Falten und graue Haare: eingeschränktes Blickfeld, weniger Sehschärfe, sich versteifende Gelenke, weniger Gefühl in den Fingerspitzen, keine Kraft in der Hand…
Was das in der Summe heißt, ist für einen sportlichen 30-Jährigen, der die Produkte der Zukunft gestalten soll, kaum vorstellbar. Genau dieser Zielgruppe aber soll der in Chemnitz entwickelte Modulare Alters-Simulations-Anzug Extra (kurz Max genannt) die entscheidenden Eindrücke vermitteln.
Die Automobilindustrie hat den Nutzen solcher Ansätze erkannt und sich an der Entwicklung beteiligt. Als Partner der Chemnitzer waren die AutoUni, die Volkswagen AG, die Volkswagen Konzernforschung, die Wolfsburg AG sowie die Audi AG von Anfang an mit im Boot. Die ersten Lernwilligen, die von Max profitierten, kamen denn auch aus dieser Branche: Als Prototyp hat der Anzug seine Praxistauglichkeit im Jahr 2008 bei mehr als 70 Einsätzen unter Beweis gestellt.
Die Forschung läuft aber weiter, und es geht nicht nur darum, die Autos zukunftsfähig zu gestalten. Auch die Fertigung ist ein Thema. „Bei uns wurde gerade ein großes Forschungsprojekt abgeschlossen, an dem 44 Montagearbeiter eines großen Automobilherstellers beteiligt waren“, berichtet Scherf. In einem Pilotbereich sollten – unter durch den Simulationsanzug erschwerten Bedingungen – Fahrzeuge montiert werden. Die Vorgaben dafür entsprachen allerdings eins zu eins einem Arbeitstakt im Werk. Hier zeigte sich unter anderem, das selbst Kleinigkeiten wie die Farbe der Fahrzeuge eine Rolle spielten. „Es ging um genau die gleiche Montagetätigkeit“, sagt Scherf, „und trotzdem benötigten im Simulationsanzug selbst die trainierten Arbeiter bei den dunklen Karossen mehr Zeit, um ihre Aufgabe zu erfüllen.“
Die veränderte Altersstruktur im Unternehmen wird also auch zu anderen ergonomischen Anforderungen am Arbeitsplatz führen. Der zukünftige Umgang miteinander wird aber nicht nur von technischen Erwägungen geprägt sein. In Ost-Asien haben die geburtenstarken Jahrgänge wesentlich früher eingesetzt, sodass bereits Lösungen für die Gesellschaft entwickelt werden mussten. Von der Erfahrung asiatischer Länder könnte Europa also lernen. op

Compamed in Kürze:

Auf der Fachmesse Compamed präsentiert sich alljährlich die Zulieferbranche der Medizintechnik mit Komponenten, Werkstoffen und Maschinen, kurz allem, was für die Medtech-Branche relevant ist. Im Jahr 2010 werden – parallel zur Medizinproduktemesse Medica – rund 500 Aussteller aus 25 Ländern dort vertreten sein. Im vergangenen Jahr lockte dieses Angebot rund 16 000 Fachbesucher in die Hallen 8a und 8b.
Weitere Informationen:

So fühlt sich das Altsein an

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Selbst testen mit medizin&technik

medizin&technik – eine Schwesterzeitschrift des Industrieanzeigers – bietet Ihnen die Möglichkeit, den Alterssimulationsanzug Max zu testen: Am Messestand auf der Messe Compamed in Düsseldorf ist vom 17. bis 19. November Christian Scherf von der TU Chemnitz mit der Ausrüstung fürs Seniorenalter zu Gast – und Messebesucher dürfen in die fremde Wirklichkeit des Altseins eintauchen. Der Umgang mit alltäglichen Gegenständen wird Ihnen schwer genug fallen. Vielleicht bringen Sie eines Ihrer Produkte mit und betrachten es mit eigenen Augen – aber durch die Brille eines vielleicht 70-Jährigen.
Hier können Sie was erleben:
Messe Compamed, Halle 8a, Stand J41
Weitere Informationen: www.medizin-und-technik.de

Medizintechnik: Branche bleibt Innovations- und Jobmotor

Die Medizintechnik-Branche in Deutschland spürt für das laufende Jahr einen deutlichen Aufwärtstrend. „Die Unternehmen sind mehrheitlich optimistisch“, sagt der Vorsitzende des Fachverbandes Medizintechnik bei Spectaris, Ulrich Krauss. Nach einer eigenen Erhebung erwartet der Verband bis zum Jahresende einen Zuwachs von insgesamt 6 % auf etwa 20 Mrd. Euro Gesamtumsatz nach rund 18,8 Mrd. Euro in 2009. Die Prognose für das Ausland lautet plus 7 % und wird damit positiver beurteilt als der Inlandsumsatz. Dieser wird nach Einschätzung der Unternehmen um rund 5 % steigen. „Davon ausgehend erwarten wir positive Beschäftigungsimpulse“, so Krauss.
Auch der Bundesverband Medizintechnik (BVMed) sieht die Branche in Sachen Jobs und Innovationen beispielgebend: In Deutschland arbeiten dem Bericht zufolge bereits 170 000 Menschen im MedTech-Bereich, ungefähr 9 % des Umsatzes werden von den Unternehmen in Forschung und Entwicklung investiert.
Den Ingenieuren und Fachkräften im Allgemeinen bietet die Medizintechnologie-Branche indes ausgezeichnete Perspektiven: Nach einer Online-Umfrage des BVMed, an der sich 94 Mitgliedsunternehmen beteiligten, bezeichneten 94 % der Befragten die Berufsaussichten für Ingenieure als gut bis sehr gut, bei Fachkräften lag der Wert sogar bei 98 %. Offene Stellen bieten derzeit 96 % der Unternehmen – sie haben allerdings zunehmend Schwierigkeiten, diese auch adäquat zu besetzen. BVMed-Geschäftsführer und Vorstandsmitglied Joachim M. Schmitt bezeichnet den sich abzeichnenden Fachkräftemangel als bedenklich. Mitarbeiter werden vor allem im Vertrieb, in Marketing und Kommunikation, im Key Account Management sowie in Forschung und Entwicklung gesucht: Dass gerade hier der Nachwuchs fehle, so Schmitt, sei bedrohlich für den Standort Deutschland, wenn man mit dem Innovationstempo der Branche Schritt halten wolle.
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