Die Nutzung der Windkraft schreitet voran. Allein im Offshore-Bereich gingen EU-weit in der ersten Jahreshälfte fast so viele Anlagen ans Netz wie im kompletten Vorjahr. Doch trotz dieser Entwicklung fehlen in vielen Bereichen einheitliche Test- und Validierungsszenarien. Um ihr Potenzial zu nutzen, sollte sich die Branche an der Automobilindustrie orientieren.
Schon heute produzieren die bundesweit rund 23 000 Windräder etwa 9 % der gesamten erzeugten Stromleistung. Und ein Ende der Entwicklung ist nicht in Sicht; schließlich spielt die Windenergie eine entscheidende Rolle bei der geplanten Energiewende. Doch die hohe Leistungsfähigkeit von immer größeren Anlagen sowie die Herstellung immer höherer Stückzahlen stellen die Branche mittlerweile vor große Herausforderungen. Um den weiteren Ausbau der Windenergie voranzutreiben, muss deshalb noch stärker in die Effektivität der Anlagen investiert werden. Ein wichtiger Baustein dazu ist eine umfassende Prüfung neuer Bauteile und Komponenten, um so einen optimierten und möglichst wartungsfreien späteren Betrieb zu gewährleisten.
Umfangreiche Testreihe für neue Scheibenbremse
Den Ablauf einer solchen Bauteilprüfung zeigt exemplarisch die Einführung einer neuen Scheibenbremse durch die Stromag WEP aus dem westfälischen Unna. Anfang 2010 hatte das Unternehmen die Brunel Car Synergies damit beauftragt, die theoretische Auslegung einer neu entwickelten Bremse zu überprüfen und dabei auch verschiedene Bremsbeläge zu testen. Das zertifizierte Bochumer Prüflabor realisiert Materialprüfungen für einzelne Komponenten von Windenergieanlagen und überträgt dabei bereits seit einigen Jahren bewährte Verfahren aus der Automobilindustrie.
Bei dem untersuchten Bauteil handelt es sich um eine so genannte „Azimut-Bremse“, mit der die Maschinengondel der Windkraftanlage nach einer Drehung in Windrichtung wieder festgesetzt wird. Das grundlegende Problem dabei: Die Bremsen sind während der Drehung der Gondel nie ganz gelöst. Sie schleifen bewusst, um die Positionsregelung zu vereinfachen. Die Folge sind mehr oder weniger laute Geräusche, die insbesondere bei Windparks in der Nähe von Wohngebieten störend sind. Um einen möglichst lautlosen Betrieb, und durch eine optimierte Reibung auch eine verlängerte Lebensdauer zu gewährleisten, wurden die Belastungen auf die Bremse im Prüflabor in Bochum simuliert. Zum einen konnten durch die Belastung auftretende Verformungen des Bauteils gemessen werden, zum anderen das für das Geräuschproblem verantwortliche Schwingungsverhalten verschiedener Bremsbeläge simuliert werden. Nach Ablauf der Testreihe entschied sich die Stromag WEP dazu, die neue Azimutbremse mit einem veränderten Reibbelag auf den Markt zu bringen. Der Belag ist bei gleich bleibender Bremswirkung deutlich geräuschärmer als der ursprüngliche.
Vergleichender Blick auf die Automobilindustrie
Die Erzeugung von Windstrom ist ein vergleichsweise junger Industriezweig. Anders als in anderen Branchen sind daher viele ihrer Prozesse noch nicht vollständig etabliert. Das gilt insbesondere für die Validierung der unterschiedlichen Komponenten. Um eine höhere Effektivität der Anlagen zu erreichen, lohnt deshalb ein vergleichender Blick auf die Praxis der Qualitätssicherung und Zertifizierung in der Automobilindustrie. Denn aufgrund der großen Konkurrenz, der kurzen Erneuerungszyklen und der hohen Sicherheitsanforderungen gilt das Qualitätsmanagement im Bereich der Automobilindustrie als führendes QM-System der Welt. Häufig laufen die verschiedenen Prüfungen automatisiert ab. Viele OEMs und First Supplier greifen dabei auf die Belastungsdaten des Vorgängermodells oder benachbarter Autogruppen zurück.
In der Windindustrie fehlt eine solche Standardisierung bislang. Zwar wird der Antriebsstrang einer Windkraftanlage mit umfassenden Testszenarien validiert, aber für wichtige Nebenaggregate wie Pitch- und Azimutsysteme, Hydrauliksysteme, Sensoren oder Steuergeräte sind teilweise keine weiteren Spezifikationen festgeschrieben. Bislang hat das dem Wachstum der Branche kaum geschadet. Mit zunehmender Konkurrenz und zunehmendem Kostendruck im Windenergiemarkt müssen die einzelnen Komponenten aber immer häufiger individuell auf den Einsatzfall hin entwickelt werden. Eine Basis dazu wäre die Festlegung neuer Belastungskollektive für unterschiedliche Leistungsgruppen und Aggregate, die dann in realitätsnahen Prüfständen auf ihre Tauglichkeit in verschiedenen Varianten getestet werden könnten. Um verbindliche Aussagen über das Verhalten der Anlage im späteren Betrieb machen zu können, muss eine ausreichend hohe Schwingungsfestigkeit der einzelnen Komponenten sichergestellt sein. In der Automobilindustrie haben sich dazu Vibrationsprüfungen mit Hilfe von elektro-dynamischen Shakern etabliert. Mit flexibel einstellbaren Vibrationen von 5 bis 2000 Hz lassen sich damit in kurzer Zeit die langfristigen mechanischen Beanspruchungen eines Bauteils simulieren.
Eine ähnlich große Bedeutung für den reibungsfreien Betrieb einer Windenergieanlage hat die Temperaturbeständigkeit der eingesetzten Bauteile. Da die Anlagen weltweit und in nahezu allen Klimazonen eingesetzt werden, müssen dabei neben kalten und warmen Temperaturen auch schnelle Temperaturwechsel und Tauprozesse berücksichtigt werden.
Ebenso wichtig ist die Korrosionsbeständigkeit der verschiedenen Komponenten. Das gilt insbesondere für den Bereich der Offshore-Industrie, wo der Korrosionstreiber Salz hohe Anforderungen an die jeweiligen Werkstoffe und an deren Oberflächenbehandlung stellt. Um für diese besonderen Klimabedingungen gerüstet zu sein, müssen die eingesetzten Bauteile daher Salzsprüh- oder Korrosionstests unterzogen werden.
In der Automobilindustrie sowie in allen anderen Industriezweigen hat sich dazu ein kombinierter Korrosionstest durchgesetzt, der sich aus einem Salzsprühnebeltest und einem ergänzenden Kesternichtest zur Korrosionsprüfung mit Schwefeldioxid zusammensetzt. Bezogen auf die Windindustrie sind die verschiedenen Komponenten einer Windenergieanlage in der Regel mit einer Lebensdauer von zwanzig bis dreißig Jahren auszulegen. Die dazu nötigen Korrosionstests würden in der Natur mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Mit den gängigen Korrosionsprüfungen lässt sich diese Zeit auf einige Wochen, in einigen Fällen sogar auf wenige Tage reduzieren.
Peter Bolz, Leiter Test- und Entwicklungszentrum, Brunel Car Synergies, Bochum
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