Startseite » News »

VDMA: PFAS-Verbot gefährdet europäische Hightech-Anwendungen

Spectaris und VDMA zur PFAS-Konsultation der ECHA
Generelles PFAS-Verbot gefährdet europäische Hightech-Anwendungen

Am gestrigen Montag, 25.09.2023, ging die PFAS-Konsultationsphase der europäischen Chemikalienagentur (ECHA) zu Ende. Eine aktuelle Umfrage der beiden Verbände Spectaris – für die Branchen Optik, Photonik, Analysen- und Medizintechnik – und VDMA – für den Maschinen- und Anlagenbau – zeigt die Defizite des gewählten Verfahrens auf.

Inhaltsverzeichnis
1. Nutzen und Risiken genau abwägen
2. Konsultation erfasst nur einen Teil der Anwendungen
3. Scheitert die Halbleiterindustrie letztendlich an Bratpfannen und Regenmänteln?
4. Fluorpolymere vom Verbot grundsätzlich ausnehmen  
5. Diese Auswirkungen hat das PFAS-Verbot auf die einzelnen Branchen

Das von der EU geplante Generalverbot der PFAS-Stoffgruppe wäre für High-Tech-Industrien wie die Medizin- oder Halbleitertechnik eine enorme Bedrohung. Die Stoffgruppe der Per- und Polyfluoralkylsubstanzen (PFAS) ist für die industrielle Fertigung von enormer Bedeutung, weil diese Stoffe auch unter extremen Temperaturen oder in aggressiven Umgebungen – wie zum Beispiel Säureprozessen – kaum Verschleiß zeigen. Damit sind PFAS für viele Produktionsschritte etwa in der Herstellung medizintechnischer Geräte, von Halbleitern oder in Reinräumen quasi unverzichtbar, weil es keine alternativen Stoffe gibt, die ähnliche Qualität oder Sicherheit aufweisen.

Nutzen und Risiken genau abwägen

Selbstverständlich ist ein sehr sorgfältiger Umgang mit gefährlichen Stoffen notwendig, um Mensch und Umwelt bestmöglich zu schützen. Doch ebenso selbstverständlich notwendig ist eine differenziertere Betrachtungs- und Vorgehensweise sowie eine genaue Abwägung zwischen Nutzen und Risiken, die bei der Verwendung dieser Stoffe auftreten können. Die Hersteller medizintechnischer Produkte, Halbleiter oder anderer High-Tech-Geräte sind auf den Einsatz von PFAS-Komponenten angewiesen – und entsprechend besorgt, dass ein von der EU geplantes Generalverbot aller rund 10.000 PFAS erheblichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Schaden anrichten würde.

Die zuständige europäische Behörde ECHA hatte Unternehmen bis zum 25. September die Möglichkeit gegeben, ihre Bedenken zum geplanten Verbot zu äußern. Diese Möglichkeit haben Firmen aus der Medizintechnik sowie dem Maschinen- und Anlagenbau in großer Zahl genutzt. Ungefähr jede zweite Firma hat sich am Konsultationsverfahren beteiligt, wie eine aktuelle Umfrage der beiden Branchenverbände Spectaris und VDMA unter ihren Mitgliedsfirmen ergeben hat. Das zeigt die enorme Betroffenheit von einem solchen Verbot.

Konsultation erfasst nur einen Teil der Anwendungen

Die Umfrage zeigt aber auch, dass nur ein Teil der Anwendungen durch das Konsultationsverfahren erfasst worden sind. Etwa ein Drittel aller Firmen ist mit seinen Produkten zwar betroffen, sieht sich aber aufgrund der schwierigen Datenlage nicht in der Lage, Ausnahmen einzureichen. Auch für diese Fälle sieht die ECHA ein pauschales Sofortverbot analog zu Bratpfannen und Regenmänteln vor, was die Überlebens- und Innovationsfähigkeit deutscher Hightech-Unternehmen massiv gefährdet, sich letztlich aber auch auf die Versorgung der Bevölkerung mit essentiellen Produkten auswirkt.

Scheitert die Halbleiterindustrie letztendlich an Bratpfannen und Regenmänteln?

In einem Pressegespräch in Frankfurt erläuterten die beiden Unternehmer Stefan Dräger, Vorstandsvorsitzender Drägerwerk, und Dr. Stefan Rinck, Vorstandsvorsitzender Singulus Technologies und Vorsitzender des Ausschusses für Forschung und Innovation im VDMA, die möglichen Auswirkungen eines generellen PFAS-Verbots für ihre Unternehmen und Branchen.

Stefan_Draeger,_Draegerwerk.jpg
Stefan Dräger, Vorstandsvorsitzender Drägerwerk
Bild: Drägerwerk

Stefan Dräger: „Die Beständigkeit, die als Argument für die breite Beschränkung herangezogen wird, ist genau die wesentliche Eigenschaft, welche diese Werkstoffe so unentbehrlich macht. Deswegen wird jeder Ersatzstoff das gleiche Problem bekommen. Zudem wäre die Entwicklung und Zulassung von Alternativen, wenn es sie denn überhaupt gäbe, in den vorgeschlagenen Fristen nicht machbar, weil deren klinische Validierung und Biokompatibilitätsprüfung sehr zeitaufwendig sind, nicht zuletzt aufgrund der hohen regulatorischen Anforderungen an die Medizintechnik“.

Dr_Stefan_Rinck,_Singulus_Technologies.jpg
Dr. Stefan Rinck, Vorstandsvorsitzender Singulus Technologies und Vorsitzender des Ausschusses für Forschung und Innovation im VDMA
Bild: Singulus Technologies

Dr. Stefan Rinck: „Die Realisierung der Energiewende und der Aufbau einer heimischen Halbleiterindustrie sind ohne PFAS schlichtweg unrealistisch! Ein Großteil der Schlüsselindustrien in Europa sind auf den Einsatz von PFAS angewiesen. Wir sprechen uns keineswegs gegen die Regulierung gefährlicher Substanzen aus. Allerdings müssen derartige Vorschriften die unterschiedlichen Anwendungen differenziert betrachten.“

Fluorpolymere vom Verbot grundsätzlich ausnehmen

Die ECHA will die Eingaben der Unternehmen in den kommenden Monaten prüfen und dann mit einem konkreten Regulierungsvorschlag an das EU-Parlament und den Europäischen Rat herantreten. Obwohl die rahmengebende Chemikalienverordnung REACH einen risikobasierten Ansatz vorschreibt, wurde das PFAS-Beschränkungsverfahren ohne diese Maßgabe auf den Weg gebracht. Der daraus resultierende Verwaltungsakt findet ohne angemessene politische Güterabwägung statt. Die beiden Verbände fordern daher, dass zumindest Fluorpolymere – die sogenannten „Polymers of low concern“–, die nachweislich keine Gefahr für Menschen und Umwelt darstellen, von dem geplanten Verbot grundsätzlich und unbefristet ausgenommen werden. Der industriell-gewerbliche Einsatz von PFAS-Komponenten in geschlossenen Systemen ist außerdem gegenüber einfachen Verbrauchsartikeln besser zu stellen. Und essentielle Produkte für die Gesellschaft, die für die medizinische Versorgung, die Chip-Produktion oder die Energiewende benötigt werden, müssen auch künftig in Europa hergestellt und in Verkehr gebracht werden können. Der von der ECHA empfohlene Weg über Einzelausnahmen wird diesen Anforderungen angesichts komplexer Lieferketten, nicht vorhandener und unzulässiger Alternativen in keiner Weise gerecht. Im Gegenteil: Die europäische Industrie wendet sich vom heimischen Standort ab.

Die beiden Verbände fordern nun schnelle Signale aus der deutschen und europäischen Politik: Hochleistungswerkstoffe aus und mit PFAS und insbesondere Fluorpolymeren müssen unserer Gesellschaft auch künftig zur Verfügung stehen. (eve)


Diese Auswirkungen hat das PFAS-Verbot auf die einzelnen Branchen

In seinem Positionspapier gibt Spectaris beispielhaft drei Branchen (Medizintechnik, Chemische Analytik, Halbleitertechnik) an und erläutert, wie sich ein PFAS-Stoffverbot auf essentielle Anwendungen auswirkt und damit die technologische Souveränität und Versorgungssicherheit in der EU massiv gefährdet.

  • Beispiel Halbleitertechnik: Computerchips wären durch ein PFAS-Verbot hart getroffen. 80% aller weltweit hergestellten Computerchips, insbesondere 100% der modernsten und leistungsfähigsten Chips, werden mit den Lithografieoptiken von Zeiss hergestellt. Diese wiederum kommen bei ihrer Herstellung ohne PFAS-Materialien nicht aus. Materialien aus PFAS werden an verschieden Stellen im Lithografiesystem, so zum Beispiel als Dichtungsmaterial, Dämpfungselement, Isolierung und Schmiermittel eingesetzt.

Auch der VDMA hat die Gründe und die Folgen für die Industrie in einem Positionspapier analysiert. Er kritisiert, dass eine  fundierte Risikobewertung der einzelnen PFAS, bei der
neben Gefahreneigenschaften auch Expositionen der verschiedenen Verwendungen berücksichtigt werden, nicht vorgenommen wurde.

  • Der VDMA betont im Positionspapier, dass von einer potenziellen zukünftigen PFAS-Beschränkung nach Vorlage des vorliegenden Beschränkungsdossiers nahezu alle Hersteller des Maschinen- und Anlagenbaus entweder in den Produkten oder in der Produktion betroffen, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaße seien.
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 7
Ausgabe
7.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Aktuelle Whitepaper aus der Industrie

Unsere Partner

Starke Zeitschrift – starke Partner


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de