Startseite » News »

Interview mit Dr. Jörg Kahler zum Gesetzentwurf für autonomes Fahren

Autonomes Fahren
„Wichtiges Signal für den Entwicklungsstandort Deutschland“

„Wichtiges Signal für den Entwicklungsstandort Deutschland“
Die Bundesregierung hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, welcher Rahmenbedingungen für autonomes Fahren schafft. Wir haben mit Dr. Jörg Kahler, Partner bei der Wirtschaftskanzlei GSK Stockmann, über das neue Gesetz und das autonome Fahren im Allgemeinen gesprochen. Bild: GSK Stockmann

Elektromobilität und vor allem das autonome Fahren sind die Trends der Zukunft in Sachen Mobilität. Doch wie steht es um die rechtlichen Rahmenbedingungen beim autonomen Fahren? Die Bundesregierung hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, welcher Rahmenbedingungen für autonomes Fahren schafft. Das neue Gesetz stellt einen zentralen nächsten Baustein dar, um das autonome Fahren in die Praxis zu bringen und Einsatzchancen in verschiedenen Mobilitätsbereichen zu ermöglichen. Wir haben mit Dr. Jörg Kahler, Partner bei der Kanzlei GSK Stockmann, über das neue Gesetz und das autonome Fahren im Allgemeinen gesprochen. 

Herr Dr. Kahler, wie wird das autonom-fahrende Auto unseren ohnehin schon digitalisierten Alltag verändern?

Mit autonom-fahrenden Autos im Straßenverkehr werden wir uns von der Vorstellung eines Autos, so wie wir es in Deutschland seit Jahrzehnten kennen und liebgewonnen haben, verabschieden. Das eigene Auto wird dann weiter an Bedeutung verlieren und der Besitz eines eigenen Autos wird erst recht kein Statussymbol mehr sein. Wir werden das Auto dann auch nicht mehr als bloßes Transportmittel ansehen. Als komplexes Kommunikationssystem wird das autonome Auto integraler Teil unseres digitalen Lebensgefühls werden. Vergleichbar mit dem Durchbruch des iPhone vor weit über 10 Jahren werden wir dann von einem Smartphone auf vier Rädern sprechen.

Wo sehen Sie technische Hürden, die noch überwunden werden müssen?

Die technisch größte Herausforderung liegt sicherlich bei der Entwicklung von zuverlässigen Umgebungserkennungssystemen. Es muss gewährleistet sein, dass das autonom fahrende Auto die Straße und die Umgebung besser wahrnehmen kann als der menschliche Fahrer. Weiterhin muss das System in der Lage sein, quasi in Echtzeit zuverlässig die richtige Entscheidung für die Steuerung des Fahrzeuges zu treffen. Es ist zwar sehr beeindruckend, was die autonomen Fahrsysteme bereits derzeit leisten können, insbesondere im Hinblick auf den Umfang und die Schnelligkeit der Datenverarbeitung und die Entscheidung in Augenblickssituationen. Gleichwohl kann in technischer Hinsicht von einem Ersatz des menschlichen Fahrers in diesem Bereich noch keine Rede sein.

Welche Länder sind Ihrer Einschätzung nach führend in der Entwicklung?

Vor allem die USA, China und Japan sind weltweit führend in der Entwicklung von autonomen Fahrzeugen. In den USA laufen vor allem in Nevada und Arizona bereits Praxistests im freien Straßenverkehr. China hat in den letzten zwei Jahren technologisch extrem aufgeholt. Zwar ist ein Test auf öffentlichen Straßen noch verboten, allerdings gibt es schon seit einigen Jahren ein Testfeld für autonome Fahrzeuge in der „Shanghai International Automobile City“. Japan hatte geplant anlässlich der Olympischen Spiele, die ursprünglich im Sommer 2020 hätten stattfinden sollten, selbstfahrende Taxis zum Einsatz zu bringen.

Deutschland ist nun Vorreiter und hat den weltweit ersten Gesetzentwurf zum autonomen Fahren vorgelegt. Wie bewerten Sie diesen?

Der Gesetzentwurf ist sicherlich ein bedeutender Meilenstein für den Mobilitätsstandort Deutschland. Deutschland ist damit auf einem sehr guten Weg, autonomes Fahren von der Teststrecke in den nächsten ein bis zwei Jahren in den Regelbetrieb zu bringen. Das wäre ein wichtiges Signal und würde den Innovations- und Entwicklungsstandort für digitale Mobilität in Deutschland stärken.

Fehlt aus Ihrer Sicht noch etwas im Entwurf?

Zunächst einmal ist das wichtigste Signal des Gesetzentwurfes, dass Deutschland damit der erste Staat weltweit ist, der „Fahrzeuge ohne Fahrer aus der Forschung in den Alltag holt“, sowie das Bundesverkehrsministerium dies hervorhebt.

Nach dem Gesetzentwurf soll in Zukunft statt dem menschlichen Fahrer eine sogenannte Technische Aufsicht das Fahrzeug überwachen. Nähere Regelungen zu dieser Technischen Aufsicht und insbesondere zu Haftungsfragen fehlen im Gesetzentwurf. Es ist kritisch zu hinterfragen, ob dies im Sinne einer besseren Akzeptanz nicht konkreter geregelt werden sollte.

Der Gesetzentwurf enthält ferner einen sehr weitreichenden Katalog von Datenerhebungs- und Datenspeicherungsmaßnahmen, die auf Verlangen auch an „zuständige Behörden“ übermittelt werden können. Diese sehr weitreichende und pauschal formulierte „Datenübermittlungsregelung“ bietet ein sehr weitreichendes Einfallstor für die Erfassung und Auswertung von Bewegungsprofilen der Insassen autonomer Fahrzeuge.

Eine derart weitreichende Möglichkeit der Überwachung und Nachverfolgung von Fahrzeuginsassen ist aus datenschutzrechtlicher Sicht sehr problematisch und kann mit dem Sinn und Zweck des Gesetzentwurfes nicht intendiert sein.

Wie gehen andere Länder dieses Thema an?

Soweit ersichtlich gibt es in keinem anderen Land derart konkrete Gesetzesinitiativen, um autonom-fahrende Autos „auf die Straße“ zu bringen. Die derzeit existierenden Rechtsregelungen in anderen Ländern gehen nicht über den (Test-) Betrieb von automatisierten Fahrzeugen hinaus.

Das bedeutet, dass der Fahrer hinter dem Lenkrad sitzend weiter wahrnehmungsbereit sein und erforderlichenfalls die Steuerung des Fahrzeuges wieder übernahmen muss. Es gibt auch auf europäischer Ebene derzeit keine konkreten Initiativen, um einen Rechtsrahmen für autonome Fahrzeuge zu schaffen.

Benötigt es nicht einen einheitlichen internationalen Rechtsrahmen?

Ganz klar, ja. Fehlende oder unterschiedliche nationale Bestimmungen stellen einen großen Hemmschuh für die Einführung autonomer Fahrzeuge da. Autonome Fahrzeuge können und sollen nicht an nationalen Grenzen Halt machen. Wir brauchen sehr zügig eine möglichst umfassende internationale Harmonisierung des Rechtsrahmens in diesem Bereich. Dies bezieht sich auf Zulassungsregelungen der Fahrzeuge sowie deren Einsatz im Straßenverkehr. Diese erforderliche Harmonisierung ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Akzeptanz des autonomen Autos in der Gesellschaft.

Welche Risiken sehen Sie beim autonomen Fahren?

Aufgrund der notwendigen Vernetzung der Systeme in einem autonomen Fahrzeug mit Umgebungssystemen und damit verbundener vielfältiger und zum Teil offener Schnittstellen, ist die Gefahr von Cyber-Attacken ein großes Thema. Die zuverlässige Gewährleistung von IT-Sicherheit wird bei der Einführung von autonomen Fahrzeugsystemen eine sehr große Rolle spielen.

Ein weiteres Risiko, das nicht zu unterschätzen ist, ist die Schwere möglicher Unfälle. Zwar kann es als sicher gelten, dass bei einem weitestgehenden Betrieb von autonomen Autos der Straßenverkehr insgesamt viel sicherer und die Zahl von Verkehrsunfällen erheblich zurückgehen wird. Allerdings besteht die Gefahr, dass, wenn es zu einem Unfall mit einem autonomen Auto kommen sollte, das Schadensereignis viel heftiger ausfallen könnte und dann hohe Personen- oder Sachschäden drohen.

Die größten Risiken oder Probleme werden wahrscheinlich in dem Bereich von ethisch bedingter Akzeptanz liegen. Es ist nicht zu unterschätzen, dass uns mit autonomen Fahrzeugsystemen eine quasi Totalkontrolle durch Maschinen droht, die mit einer Entmündigung des menschlichen Fahrers einhergeht. Diese drohende Unterwerfung unter technische Systeme bzw. technische Vorgaben schafft völlig neue Risiken, über die wir uns derzeit noch nicht im Einzelnen bewusst sind.

Wann lassen wir uns von unseren Autos fahren?

Erklärtes Ziel der Bundesregierung ist es, bereits 2022 Fahrzeuge mit autonomen Fahrfunktionen für bestimmte Anwendungsfälle zum Einsatz zu bringen (z.B. Shuttle-Verkehre, automatischer Warentransport, fahrerlose Verbindungen zwischen Logistikzentren oder Automated Valet Parking). Bis wir jedoch autonome Autos als herkömmlich zugelassene Autos im Straßenverkehr sehen werden, wird es noch einige Zeit dauern. Verschiedene Umfragen in diesem Bereich deuten darauf hin, dass die Mehrheit der Deutschen einen Durchbruch von autonomen Autos im Straßenverkehr erst in weit über 15 Jahren erwartet. Ich persönlich denke, es wird früher sein.

Das Interview führte Alexander Gölz, Chefredakteur Industrieanzeiger

Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 15
Ausgabe
15.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Aktuelle Whitepaper aus der Industrie

Unsere Partner

Starke Zeitschrift – starke Partner


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de