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Mittelstand beklagt steigende Bürokratie bei Forschungsförderung

Minister Habeck in der Kritik: „Nur leere Versprechen“
KMU erbost: F+E-Förderung noch bürokratischer

KMU erbost: F+E-Förderung noch bürokratischer
Wachsende Unzufriedenheit: Der forschende Mittelstand klagt über immer neue Hürden bei der BMWK-Innovationsförderung. Bild: magele-picture / stock.adobe.com
Statt weniger Bürokratie noch mehr. Dies beklagen aktuell Mittelständler, die auf F+E-Förderung des Bundes angewiesen sind. Uns hat ein Brandbrief von Dr. Michael Hahn erreicht, Geschäftsführer der ECH Elektrochemie Halle GmbH, der die Problematik stellvertretend aufgreift. ECH ist Mitglied im „Verband Innovativer Unternehmen“. Wir geben die Bestandsaufnahme hier ungefiltert wieder.

Dr. Michael Hahn, Geschäftsführer der ECH Elektrochemie Halle GmbH, Mitglied im Verband Innovativer Unternehmen (VIU)

Seit Monaten beteuert Wirtschaftsminister Habeck angesichts schrumpfender Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen, er wolle den Bürokratie-Dschungel lichten und es Unternehmern „leichter machen“. Sein Ministerium tut indes das Gegenteil: Beim wichtigsten Förderinstrument für F+E im Mittelstand hat es eine gravierende Zugangshürde implantiert. Das beklagt ein bundesweiter Zusammenschluss innovationsorientierter Unternehmen: Es geht um das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM) des Bundeswirtschaftsministeriums.

Neuerdings ist bei jedem Antrag auf Fördermittel zusätzlich die „Anlage 6.4 a“ auszufüllen. Zur Berechnung der Höhe staatlicher Unterstützung für risikoreiche Neuentwicklungen müssen darin eine Vielzahl an Kostenblöcken aufgelistet werden, die schon vor Beginn des geplanten Vorhabens detailliert durchkalkuliert werden müssen.

Gravierender Mehraufwand

Seit dem ZIM-Programmstart 2008 sind die Fördermittel auf Basis der Personalkosten der Projektbeteiligten berechnet worden – eine darauf bezogene zusätzliche Pauschale deckte alle anderen Ausgaben für das Vorhaben ab. Das sicherte einen unbürokratischen Zugang zum Programm. Und ist nun Geschichte. Denn neben den Lohnkosten haben Antragsteller fortan auch jene für Instrumente und Ausrüstung, Immobilien oder Auftragsforschung durch Dritte genau auszuweisen. Unter den Einzelposten finden sich etwa Gerätemieten, Bagatellanschaffungen, Gebäude-Wertverluste, Kapitalkosten für Grundstücke und sogar Lohnfortzahlungen bei Krankheit – im Voraus auf die Projektlaufzeit von meist drei bis vier Jahren.

Nach Projektende werden die Zahlen dann genau geprüft; bei Abweichungen müssen längst ausgegebene Mittel zurückgezahlt werden. Das Ministerium hat solche Zahlungen offenbar fest eingeplant, um das Programm überhaupt zu finanzieren, denn: Einnahmen aus Rückforderungen ausgezahlter ZIM-Zuwendungen „fließen den Ausgaben zu“, steht im aktuellen Bundeshaushaltsplan 2024.

Kleine Unternehmen werden abgeschreckt

Wie gerade kleine Firmen ohne personell starke Finanzabteilung diesen kalkulatorischen Aufwand neben dem Tagesgeschäft prüfungssicher bewältigen sollen, erklärt das Ministerium nicht. Das 2023 in München gegründete Start-up Deutsches Institut für Management & Innovation GmbH etwa hat bislang nur wenige Mitarbeiter. Der Geschäftsführer des Unternehmens mit Schwerpunkt neue digitale Produkte, Michael Krause, ist aus seinem beruflichen Vorleben mit dem ZIM vertraut. Er spricht von einer „speziell für junge Firmen extrem schwierigen Situation“. Der bürokratische Mehraufwand wirke verunsichernd und schrecke Unternehmen auch aus seinem Umfeld ab, einen Förderantrag zu stellen.

Ein Rückgang der Nachfrage mit Folgen für das Innovationsgeschehen scheint vorprogrammiert. So berichtet Hans-Joachim Münch, langjährig Chef eines international führenden Herstellers von Ultraschall-Messtechnik in Halle (Saale), dass sein eigenes Unternehmen wie auch Industriepartner erwägen, das ZIM in dieser Form nicht mehr zu nutzen. „Die niedrigschwellige Innovationsförderung des Bundes hat sich sehr bewährt. Sie hat auch uns aus eigener Kraft nicht leistbare Forschung sowie mehrere Neuentwicklungen ermöglicht“, sagt Münch. Die nun entstandenen Risiken, gravierende Planungsunsicherheit und ausufernde Bürokratielast hätten die Praxistauglichkeit des Programms drastisch gemindert: „Das ehemals in Europa einmalige, vorbildliche Programm wurde für Unternehmen in den letzten Jahren immer ungünstiger“, so Münch.

Statt Vereinfachung nur Nachteile

Zur Begründung der Neuerung verweist das Ministerium auf Vorgaben der „Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung“ (AGVO) aus Brüssel. Nach Vorstellung der EU-Technokraten sollen damit mehr Unternehmen einfacher höhere Beträge aus öffentlichen Kassen erhalten, gerade auch für Forschung und Entwicklung. In Deutschland tritt aber das Gegenteil ein, beklagt der Verband Innovativer Unternehmen (VIU), der sich seit Jahrzehnten für die Belange forschender und entwickelnder kleinerer Mittelständler engagiert: „Insgesamt bringt die neue Regelung nur Nachteile für unsere Unternehmen“, sagt der VIU-Vorstandsvorsitzende Dr. Uwe Möhring, Vize-Chef eines ebenfalls betroffenen Industrieforschungsinstituts in Jena. Bei der Innovationsförderung erwiesen sich ministerielle Ankündigungen zum Bürokratieabbau als „leere Versprechen“.

Seit Jahren Abfolge von Problemen

Nicht nur die AGVO bringt das ZIM in Misskredit. In den letzten drei Jahren gab es beim Programm immer wieder plötzliche Blockaden: Erst verhängte das Wirtschaftsministerium 2020 unerwartet eine fast einjährige Antragssperre. Danach verfügte es zeitweise eine drastische Kürzung der erlaubten Antragszahl je Unternehmen. Hinzu kam unlängst ein überraschender Bewilligungsstopp wegen der Haushaltssperre im Bund. Forschung und Entwicklung könne man aber nicht „wie einen Wasserhahn auf- und zudrehen“, so der VIU-Vorsitzende. „Dann sind die Entwicklungsingenieure weg, und ihr Know-how ist für die Firmen verloren.“

Obendrein sahen sich bundesweit etliche der Branchen-Industrieforschungsinstitute, die häufig in Projekte einbezogen werden, in ihrer Existenz bedroht. Grund war eine beamtische Posse um Gehaltsfragen in ihren Instituten.

Gekürzte Mittel, wachsender Frust

Zudem verunsicherten immer wieder Gerüchte um drohende Mittelkürzungen beim ZIM. Seit 2020 hatte das Wirtschaftsministerium nach eigenen Angaben* für über 11.500 Forschungs- und Entwicklungsvorhaben mehr als 2,1 Mrd. Euro bewilligt. 2023 lag der Programmetat noch bei rund 700 Mio. Für das laufende Jahr sind ungeachtet der Inflation nun im Bundeshaushalt nur noch 628 Mio. geplant. Und parallel zu dieser Kürzung steigen die Personal- und Materialkosten in den Unternehmen weiter. Die fühlen sich zunehmend allein gelassen, beklagen Desinteresse der Politik an den Sorgen des Mittelstands jenseits der vielbeachteten Themen Wasserstoff & Solar.

Im September hatten zahlreiche Firmenchefs Habeck bereits einen Brandbrief geschrieben. Der habe aber nichts gebracht, heißt es beim VIU. Nun auch noch das Formular 6.4 a. Der Frust steigt. „Kleine und mittlere Betriebe können nicht einfach ins Ausland abwandern“, sagt Uwe Möhring. „Wir fürchten, dass sie stattdessen künftig weniger Geld und Kraft in chancen- und damit risikoreiche Neuentwicklungen stecken – und damit ihre Zukunft gefährden.“

* Statistik auf BMWK-Homepage

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