Startseite » News »

Besserstellungsverbot bedroht die Mittelstandsforschung

Restriktive Gesetzesauslegung hat Konsequenzen
Mittelstandsforschung in Deutschland in Gefahr

Manchen Instituten könnte sogar das Aus drohen. Mit dieser Warnung wandten sich diverse Vertreter der Forschungslandschaft, die bisher die mittelständische Innovationstätigkeit unterstützen, an unsere Redaktion. Ursache ist das „Besserstellungsverbot“ (BV) bei Förderanträgen, das vom Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) derzeit drastisch restriktiver ausgelegt wird.

» Olaf Stauß, Redakteur Konradin Industrie

Worum geht es bei dieser Bestimmung? Die BV-Regelung besagt, dass Zuwendungsempfänger von Projektmitteln der öffentlichen Hand Beschäftigte finanziell nicht besserstellen (entgelten) dürfen, als es bei vergleichbaren Bediensteten des Bundes der Fall ist. Während sich Großforschungsverbünde wie die Fraunhofer-, Max-Planck- oder Helmholtz-Gesellschaft nicht daran halten müssen (für sie gelten gemäß Wissenschaftsfreiheitsgesetz längst Ausnahmeregeln), trifft es viele der bundesweit rund 130 meist gemeinnützigen, privatwirtschaftlich organisierten Industrieforschungsinstitute mit Wucht. Kern ihres Problems: Selbst leitende Mitarbeiter mit Personalverantwortung, die wirtschaftliches Risiko für ihre Institute tragen und Akquise für Industrieaufträge leisten müssen, dürfen nicht mehr verdienen als Angestellte des Bundes. Dies gilt ebenso für fachliche Leistungsträger. Dass die strittigen Zuschläge nicht aus Fördertöpfen, sondern aus selbst erwirtschafteten Industriemitteln stammen, interessiert dabei nicht.

Personelles Ausbluten wird befürchtet

Personalverluste, Ausschluss von Förderprogrammen und fallweise die Existenzgefährdung ganzer Einrichtungen sind die absehbare Konsequenz. „Unser Führungsteam wird außertariflich bezahlt, wie es üblich ist“, erklärt etwa Clemens Pecha, Geschäftsführer der Hahn-Schickard-Gesellschaft für angewandte Forschung e.V. „Das sind Verantwortungsträger wie die Geschäftsführer von Unternehmen. Müssen wir sie runtergruppieren, werden viele weggehen, befürchte ich.“

„Ein echtes Problem“, sagt auch Jens Jerzembeck, Geschäftsführer der Forschungsvereinigung Schweißen und verwandte Verfahren e. V. des DVS, den wir aus einer anderen Branche dazu befragten. Er hebt das Förderprogramm „Industrielle Gemeinschaftforschung“ des BMWK hervor und nennt als Beispiel die DGUV, Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung. Die Institute der DGUV erforschen unter anderem die Toxikologie von Faserbruchstücken beim laserbasierten Trennen von Faserverbundkunststoffen – ein bedeutendes Thema im mobilen Leichtbau. Wollen die DGUV-Forschungsinstitute das Einhalten der BV belegen, müssten sie sämtliche Gehaltslisten der Versicherung vorlegen. „Ein bürokratischer Wahnsinn – nicht zu realisieren“, sagt Jerzembeck. Das führe bereits dazu, dass eigentlich verfügbare Fördermittel nicht mehr abgerufen werden.

Mittelständler bangen um ihre Forschungspartner

Auch in der seit Anfang des Jahres gültigen neuen Richtlinie des für die Industrieforschung wichtigen BMWK-Förderprogramms INNO-KOM ist das Besserstellungsverbot als Zugangsvoraussetzung festgeschrieben. Entsprechend groß ist die Verunsicherung – nicht nur in den Instituten. Fungieren sie doch für Tausende Mittelständler als praxisnahe Forschungspartner und Innovationsquell.

Bislang wurde von der Politik kein Einlenken bei der Gleichstellung dieser dritten Säule der außeruniversitären Forschung mit anderen institutionellen Akteuren signalisiert. Neben sachkompetenten Bundestagsabgeordneten sorgen sich inzwischen auch die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) um die gemeinnützigen, industrienahen Forschungseinrichtungen. „Mit der Deckelung von Forschergehältern auf das Niveau des öffentlichen Dienstes drohen geförderten Einrichtungen erhebliche Wettbewerbsnachteile – für die privatwirtschaftlichen Forschungseinrichtungen selbst, für die mit ihnen verbundenen Betriebe aus dem Mittelstand und damit auch für den Forschungsstandort Deutschland insgesamt“, zitierte das „Handelsblatt“ dieser Tage den stellvertretenden DIHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Achim Dercks.

Abhilfe sei aus seiner Sicht leicht durch eine Klarstellung im Bundeshaushaltsgesetz zu schaffen: „Dabei könnte man entweder die industrienahen Forschungseinrichtungen von dem Verbot ausnehmen oder klarstellen, dass es nur für die Mitarbeiter in den geförderten Projekten anwendbar ist.“ So, wie es lange Zeit gängige Praxis gewesen sei.

Mehr als die Hälfte aller industrienahen Forschungseinrichtungen hat sich 2015 zur Zuse-Gemeinschaft zusammengeschlossen. Deren Präsident Prof. Martin Bastian befürchtet schon zeitnah irreversible Verwerfungen: „An mehreren Standorten sind Spitzenkräfte von Bord gegangen, weil sie in den privilegierten Großforschungsverbünden oder der Privatwirtschaft deutlich mehr verdienen. Ein personelles Ausbluten unserer Institute würde den Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort Deutschland dauerhaft massiv beeinträchtigen.“

Genehmigungsstau bei Ausnahmeanträgen

Zahlreiche Institutschefs gingen inzwischen davon aus, schon bald von öffentlich finanzierten Forschungsvorhaben ausgeschlossen zu werden. Zwar besteht eine Möglichkeit, für jeden einzelnen betroffenen Institutsmitarbeiter bürokratisch aufwändig eine ministerielle Ausnahmegenehmigung zu erlangen, doch mit Stand 1. Februar ist laut Zuse-Geschäftsführer Dr. Klaus Jansen „kein einziger der seit April 2022 zahlreich gestellten Anträge positiv beschieden“ worden. Die bleibende Verunsicherung könne zu Abwanderungen führen. Dass die Übergangsfrist zum Einhalten des Besserstellungsverbots inzwischen bis Jahresende verlängert wurde, ändert daran nichts. „Es entsteht irreparabler Schaden“, sagt Jansen.

Private Forschungsinstitute noch stärker benachteiligt

Mit den industrienahen privatwirtschaftlich organisierten Einrichtungen verfügt Deutschland über ein in der EU einzigartiges Transferpotenzial, das wissenschaftlich-technische Ergebnisse unmittelbar in die mittelständische Praxis einspeist. Die Deutsche Industrieforschungsgemeinschaft „Konrad Zuse“ e. V. vertritt 80 Institute mit mehr als 6.000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von rund 450 Mio. Euro. Die Einrichtungen sind für den Technologietransfer von nationaler Bedeutung – sehen sich durch das BV aber ein weiteres Mal benachteiligt gegenüber anderen Forschungs- und Entwicklungsorganisationen.

So befürchtet Zuse-Geschäftsführer Dr. Klaus Jansen, dass Spitzenkräfte beispielsweise zur Fraunhofer-Gesellschaft abwandern könnten. Denn die im Verbund organisierten Institute stehen nicht nur mit der Industrie im Wettbewerb, sondern auch mit den außeruniversitären Einrichtungen, für die das BV nicht gilt und die darum besser bezahlen dürfen. „Führungskräfte, die für hundert und mehr Mitarbeiter zuständig sind, gewinnen Sie nicht mit Gehaltstarifen des öffentlichen Dienstes“, sagt Jansen.

Industriemittel sollten besser frei disponierbar sein

Zuschläge für die forschenden Projektmitarbeiter finanzieren Institute oft aus Industriemitteln. Brisant wird das Problem bei festangestellten Institutsleitern, Geschäftsführern und auch Personalleitern. In diesem Bereich lassen sich hohe Leistungen nicht mit formalen Eingruppierungsrichtlinien in Einklang bringen, die für den öffentlichen Dienst gelten. „Es geht nicht darum, vom Staat mehr Fördergeld zu bekommen“, betont Dr. Jansen. „Sondern darum, die zusätzlich aus der Industrie verdienten Gelder zur angemessenen Bezahlung der Leute einsetzen zu können.“

Industrieprojekte stehen auf der Kippe

Mit dem BV sehen viele Institute kaum die Chance, ihre Führungskräfte zu halten. Nur wenige nehmen eine Zurückstufung in Kauf, ohne sich nach Alternativen umzuschauen. Soll sich ein Institutsleiter wie ein Abteilungsleiter im öffentlichen Dienst vergüten lassen, obgleich er Verantwortung für Forschung, Wissenschaftler und Industrieaufträge trägt? Kann eine anwendungsnahe Forschungseinrichtung aber das BV nicht einhalten, steht die Förderwürdigkeit an sich auf dem Spiel. Dann droht dem Institut noch größerer Schaden: Das Geld wird knapp, Industrieaufträge stehen auf der Kippe oder gehen verloren – und damit droht das Aus. Laut Jens Jerzembeck, Geschäftsführer der DVS-Forschung, könnten die Konsequenzen sogar so weit reichen, dass gegebenenfalls Forderungen über bereits ausgezahlte Fördermittel für laufende Projekte denkbar wären, wenn das BV nicht eingehalten wird.

Das Votum von Dr. Jansen: „Ausnahmeanträge sind nur kurzfristig eine Lösung. Mittelfristig sollten wir zu einer Gesetzesänderung kommen, die Planungssicherheit schafft und Gehaltsverhandlungen ohne bürokratischen Aufwand und langes Warten auf Genehmigungen ermöglicht.“

Die Hahn-Schickard-Forschungsinstitute sind spezialisiert auf die Mikrotechnik, arbeiten viel unter Reinraumbedingungen. Lab-on-a-Chip-Systeme sind typische Anwendungen, die sie mit der Industrie auf den Weg bringen. Geschäftsführer Clemens Pecha warnt vor dem Verlust an Renommee, wenn namhafte Fachleute die Gesellschaft verlassen. „Wir leben davon, dass unsere Institutsleiter einen Professorentitel haben und international anerkannte Fachleute sind.“ Der Unsicherheit wegen seien bereits einige Projekte mit Industrieunternehmen auf der Kippe gestanden, andere wurden auf Eis gelegt und um Monate verschoben.

Mittelstandsförderung ZIM droht ins Leere zu laufen

Als Forschungsgesellschaft aus Baden-Württemberg habe Hahn-Schickard aktuell einen guten Stand, weil Fördermittel derzeit primär vom Land kommen und weniger vom Bund. Doch das sei nur eine „Momentaufnahme“ und könne sich ändern. „Eines ist klar“, sagt Pecha: „Wenn das Besserstellungsverbot zieht, sind Förderprojekte wie mit dem Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand ZIM nicht mehr möglich. Es sei denn, wir tauschen unser Führungsteam aus.“

Nicht zuletzt sei dies ein riesiger Verlust für KMU, die auf ZIM setzen und dann ohne Forschungspartner dastehen. In der Summe sieht Pecha ein großes Risiko für die gesamte Forschungslandschaft in Deutschland. „Wenn plötzlich eine Vielzahl von Einrichtungen nicht mehr in der Forschung mitmischen können, wie die Mehrheit der Zuse-Institute, dann fehlt ein enormes Know-how.“

Unsere Webinar-Empfehlung


Hier finden Sie mehr über:
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 6
Ausgabe
6.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Aktuelle Whitepaper aus der Industrie

Unsere Partner

Starke Zeitschrift – starke Partner


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de