Arbeitsschutz | Es ist gar nicht so einfach, sich von vertrauten, lieb gewonnenen Gewohnheiten zu trennen. Auch wenn sie ungesund sind. Für einen alten, klapprigen, ergonomisch ungünstigen Bürostuhl gilt das ganz besonders. ❧ Uwe Böttger
Im August bekam ich ein ungewöhnliches Angebot per Mail. In der Nachricht stand, wie toll und gesund das Sitzen auf dem neuen „Haider Bioswing“ sei. Und darunter: Testen Sie die Zukunft des Sitzens kostenlos selbst. Schicken Sie dazu das anhängende Formular einfach an uns zurück. Wir kümmern uns um alles!
Mein erster Gedanke: Das klappt eh nicht. Also bestellte ich ein Testmodell in der Erwartung einer zeitnahen Antwort, dass die Lieferung aus organisatorischen Gründen leider nicht möglich sei. Denkste. Eine Woche später wartete ein Riesenpaket in der Versandabteilung auf mich. Mein Haider Bioswing war eingetroffen.
Ok. Wenn das Teil schon mal hier ist, dann wird es auch getestet. Überhaupt sah ich in mir zu dem Zeitpunkt die ideale Testperson. Ich hatte eine echt schmerzhafte Verspannung unter dem linken Schulterblatt. Und an meinem rechten Iliosakralgelenk fuhrwerkte mein Physio schon seit Wochen erfolglos herum. Vielleicht hängt das ja alles irgendwie mit dem Sitzen zusammen?
Erster Eindruck: Wackelig. Als wären an dem Stuhl ein paar Schrauben locker. Dem ist natürlich nicht so. Vielmehr besitzt die neue 2er-Reihe ein schwingendes 3D-Sitzwerk, das permanent und dreidimensional jede noch so kleine Bewegung des Nutzers reflektiert. Deswegen suche ich im Sitzen auch ständig die Balance und bin permanent in Bewegung. Und das sei gut so. So jedenfalls habe ich den Pressetext verstanden. Dann steht da noch: Ich würde mich stets ergonomisch korrekt über der Körpermitte befinden. Und der Stuhl setze Körperimpulse in Bewegung um und lockere so mit feinen, angenehmen Schwingungen meinen Arbeitsalltag auf. Alles klar? „Ergonomie funktioniert auf dem neuen Bioswing ganz einfach und voll automatisch“, setzt Bioswing-Geschäftsführer Markus Haider noch einen drauf.
Soweit die Theorie. Praktisch sah das bei mir so aus, dass mich mein Bioswing mit seinem permanenten Gewackle zunehmend nervte und ich mich nach einem Tag wieder in meinen alten Bürostuhl fläzte. In der mir vertrauten, etwas windschiefen, aber gemütlichen, vermeintlich gesunden Haltung kam ich allmählich wieder zur Ruhe.
Nach zwei Tagen meldete sich mein schlechtes Gewissen. So kann man doch keinen Stuhl testen und anschließend auch noch einen Erfahrungsbericht schreiben, dachte ich. Also schrieb ich eine Mail an Manfred Melzner, meinem Kontaktmann bei der Agentur MM-PR GmbH in Marktredwitz, der auch den ganzen logistischen Ablauf im Vorfeld koordiniert hatte.
Ich schrieb, dass ich mich regelrecht zwingen müsse, den neuen Stuhl zu nutzen. Ich fände ihn total ungewohnt, irgendwie unbequem oder zumindest anstrengend. Ich könne es gar nicht recht beschreiben. Und dass es mich wieder in meinen alten Stuhl zurückziehen würde, dass ich dem natürlich nicht nachgeben würde. Ich fragte ihn, woher wohl meine Abwehrhaltung kommt, was ich dagegen tun könne. Manfred Melzner reagierte prompt und bedankte sich für meine Offenheit. Er würde meine Probleme aus eigener Erfahrung dem Bereich Gewöhnung zuordnen. Es gäbe sogar Fälle, wo die Leute am Anfang Muskelkater hätten. Das sei der Bioswing-Trainingseffekt. Er würde aber parallel im Werk nachfragen, um eine fundierte Antwort zu bekommen.
Das Statement vom Hersteller kam nach zwei Wochen. Darin schrieben die Experten, dass sich mein Körper durch das jahrelange Sitzen auf einem konventionellen Stuhl den Bedingungen wohl angepasst habe. Daher könne die Parole nur lauten: Einfach mal durchhalten bis sich die Lage bessert.
Diese Antwort hatte ich befürchtet. Wenn ich also zu meiner ganz persönlichen Bioswing-Erfahrung durchdringen wollte, dann musste ich die anfänglichen Probleme konsequent aussitzen.
Was ich dann auch tat. Um nicht gleich wieder rückfällig zu werden, stellte ich meinen alten Stuhl weit weg in eine entfernte Ecke des Großraumbüros, die ich nicht einsehen konnte. Es dauerte etwa vier Tage, bis ich nicht mehr an ihn denken musste. In dieser Zeit hatte ich auch meine optimalen Einstellungen an dem Stuhl gefunden: Sitzhöhe, Sitzneigung, Sitztiefe, Beckenbalance, Armlehnen, Rückenlehne, Lumbalstütze und was weiß ich noch alles. Eigentlich verblüffend. Bei einem neuen Auto tun wir Männer uns so leicht darin, den Fahrersitz so einzustellen, dass alles passt. Da spielt Zeit und Mühe überhaupt keine Rolle. Warum ist das bei einem Bürostuhl so unendlich schwerer?
Und ob Sie es glauben oder nicht: Ich fand Gefallen an meinem Bioswing. Nach zwei Wochen hatte ich mich eingeschwungen. Ich konnte nicht nur die groben Impulse des Stuhls wahrnehmen, sondern auch die ganz feinen. Und ich las nochmals die Pressemitteilung durch, jetzt allerdings mit ganz anderen Augen. Am Ende stand da noch: „Die während einer einzigen Stunde schwingenden Sitzens reflektierten Steuerimpulse summieren sich auf bis zu 7300 Mikrobewegungen.“ Wow, das waren sie also, die feinen Impulse, denen ich inzwischen so lustvoll nachspürte.
Nach drei Wochen auf dem neuen Stuhl merkte ich plötzlich, dass meine Rückenbeschwerden weg waren. War wirklich so, heiliges Redakteurs-Ehrenwort. Ich kann nicht einmal genau sagen, seit wann sie weg sind. Aber das ist ja immer so. Wir schätzen unsere Gesundheit erst, wenn wir krank sind.
Ob ich nun meine Rückenschmerzen auf dem Bioswing weg geswingt habe, oder ob sie auch auf dem alten Stuhl verschwunden wären. Nun – das kann ich leider beim besten Willen nicht sagen.
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