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Latzhose und Meisterkittel kann jeder

Das Thema Arbeits- und Schutzkleidung wird oft komplett unterschätzt
Latzhose und Meisterkittel kann jeder

Im Job braucht der Mitarbeiter funktionale Kleidung. Das hört sich einfach an. Doch bis die komplette Belegschaft jeden Tag passend angezogen am Arbeitsplatz erscheint, gibt es einiges zu organisieren. Bei Schutzkleidung sind zudem rechtliche Aspekte zu beachten. Viele Unternehmen holen sich Hilfe bei einem externen Service-Profi.

Wenn Ralf Bachus früher Auswärtstermine bei Auftraggebern hatte, dann fiel ihm dort immer das einheitliche Erscheinungsbild der Mitarbeiter positiv auf. „Bei den großen Automobilherstellern, für die wir Motorblöcke, Getriebe- und Kupplungsgehäuse fertigen, war auf den ersten Blick klar: Die gehören hierher. Das machte alles immer einen sehr professionellen Eindruck“, sagt er. So sollte es bei seinem Arbeitgeber, der Aluminium-Druckgießerei Georg Fischer in Werdohl, auch aussehen. Als Leiter der Bereiche Betriebswirtschaft und Arbeitsvorbereitung verglich er die Kosten mit dem Nutzen und entschied sich für eine externe Lösung. Heute werden alle betrieblichen Mitarbeiter vom Textil-Dienstleister Mewa im Blau des Firmenlogos der Georg Fischer AG eingekleidet. 360 von ihnen tragen praktische Berufskleidung, weitere 30 sind mit Hitze- und Flammschutzkleidung zum Schutz gegen flüssige Aluminiumspritzer ausgestattet.

Ein Teamoutfit, das zum CI des Unternehmens passt, funktionale Kleidung für die Arbeit in der Produktionshalle und der richtige Schutz bei gefährlichen Tätigkeiten sind bei der Wahl der Arbeitsbekleidung oft genannte Kriterien. Doch das Produktangebot ist nahezu unüberschaubar. In der Zeit des guten alten Blaumanns war alles ganz einfach, weil es jenseits von Latzhose und Overall kaum Alternativen gab. Zu der aktuellen Angebotspalette gehören Shirts, Jacken, Hosen und Westen in vielen Farben und noch mehr Ausführungen. Hinzu kommt ein breites Spektrum an Schutzkleidung, die entsprechend den Gefährdungen am Arbeitsplatz auszuwählen ist. In vielen Unternehmen handelt man daher so wie bei Georg Fischer und holt sich externe Hilfe. Textil-Service-Unternehmen kennen sich auf dem Terrain aus: Sie bieten ihren Kunden passende Kollektionen für unterschiedliche Einsatzbereiche an, sie beraten vor Ort bei der bedarfsbezogenen Auswahl und sie sorgen dafür, dass jeder Mitarbeiter immer saubere Kleidung im Spind hat.
Es ist eine große Entlastung, wenn zehn, hundert oder mehr Mitarbeiter von einem Profi eingekleidet werden. Sind die Größen aller Beschäftigten vom Kundenbetreuer des Dienstleisters aufgenommen, die Kleidungsstücke ausgewählt und die Tauschintervalle festgelegt, dann startet der Service. Ab dann kann ein Mitarbeiter seine verschmutzte Kleidung einfach in ein Sammelfach werfen und saubere aus seinem Schrankfach nehmen. Arbeitskleidung ist immer vor Ort, ohne dass sich ein Mitarbeiter um Waschen, Ausbessern oder Nachkaufen kümmern muss. Es muss auch niemand im Unternehmen dafür abgestellt werden.
Im letzten Jahr trugen 4,81 Mio. Arbeitnehmer in Deutschland Kleidung von Textil-Service-Anbietern. Das waren drei Prozent mehr als in 2011. Etwa ein Fünftel davon kleidet die Mewa Textil-Service AG ein und gehört damit zu den Marktführern der Branche. Das Unternehmen ist europaweit tätig. Allein in Deutschland gibt es 13 Standorte. Die Logistik ist von A bis Z auf saubere Kleidung ausgerichtet. „Wir sind in der Lage, effizient für die richtige Kleidung am Arbeitsplatz zu sorgen“, sagt Dascha Guttenberger, Leiterin der Produktentwicklung bei Mewa. Jedes Kleidungsteil ist mit einem Barcode ausgestattet. Kommt die Kleidung vom Kunden zurück, wird der Code eingelesen. Die Kleidung wird auf vergessene Gegenstände in den Taschen kontrolliert, nach Verschmutzungsgrad, Farbe und Gewebe sortiert und per Rohrpost-System zu den entsprechenden Bearbeitungsstationen geschickt. Die über zehn Meter langen Waschstraßen arbeiten nach einem Wirkprinzip, das einen besonders geringen Einsatz an Wasser, Energie und Waschmitteln möglich macht.
Ihren weiteren Weg durch den Betrieb nehmen die Jacken, Hosen, Hemden und Kittel auf einer Sortieranlage. Zehntausende mit einem Mikrochip ausgerüstete Kleiderbügel laufen dazu automatisch gesteuert über ein Schienensystem. Per RFID-Technik lässt sich verfolgen, an welcher Station des Pflegeprozesses sich ein Kleidungsstück gerade befindet. Auf die Stationen Trocknen und Glätten folgt die Qualitätskontrolle. Ist die Kleidung in Ordnung, geht sie zur Auslieferung. Fehlt ein Knopf oder ist eine Naht eingerissen, nimmt das Kleidungsstück den Umweg über die Näherei. Sind die Mängel zu groß, wird das Kleidungsstück ausgetauscht und der Träger erhält Ersatz. „Verschlissen, zerrissen, verschmutzt – darüber muss sich der Mitarbeiter keine Gedanken mehr machen, darum kümmert sich Mewa“, versichert Heinz Jauk, Betriebsrats-Vorsitzender beim Mewa-Kunden Voestalpine Tubulars. Bei dem Hersteller von nahtlosen Rohren im österreichischen Kindberg tragen die Mitarbeiter graurote Kleidung, passend zum CI.
„Wir kontrollieren die Kleidung nach dem Waschen auf Funktionstüchtigkeit, kümmern uns um die Wartung und ersetzen Kleidungstücke, die nicht mehr funktionsfähig sind“, erklärt Dascha Guttenberger. „Außerdem pflegen wir die Kleidung entsprechend dem Stand der Technik.“ Das sei besonders bei Schutzkleidung enorm wichtig, ergänzt die Bekleidungsingenieurin. Bei Warnschutzkleidung zum Beispiel können durch falsche Pflege die Reflexstreifen beschädigt werden oder das fluoreszierende Gewebe seine Wirkung verlieren. Verbleibende Verschmutzungen auf Hitze- und Flammschutzkleidung können brennbar sein. Und bei Chemikalienschutzkleidung mit einer Fluor-Carbon-Ausrüstung muss diese nach jedem Waschen erneuert werden. In der Informationsschrift „BGI/GUV-I 8591– Information Warnkleidung“ der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung wird sogar explizit empfohlen, mit der Pflege von Warnkleidung eine Wäscherei zu beauftragen, deren Waschverfahren qualifiziert und validiert sind.
Schutzkleidung muss laut PSA Benutzerverordnung, Arbeitsstättenverordnung und Arbeitsschutzgesetz regelmäßig gewartet und inspiziert, sprich auf Verschleißerscheinungen hin untersucht werden. Diese Inspektionen sind notwendig und stellen sicher, dass die Schutzkleidung weiterhin ihren Zweck erfüllt und den ursprünglichen Anforderungen gerecht wird. Eine solche Aufgabe kann man als Arbeitgeber an einen Dienstleister abgeben, wenn dort die Wartung und Inspektion durch geschultes und kompetentes Personal durchgeführt wird. Die großen der Branche können auch Änderungen an der von ihnen angebotenen Kleidung normenkonform ausführen, sodass die Zertifizierung dabei gültig bleibt.
Weder Arbeitnehmer noch Arbeitgeber sollten im „Do-it-yourself-Verfahren“ bei Schutzkleidung Hosenbeine kürzen, Firmenlogos oder Namensschilder auf die Kleidung aufbringen oder notwendige Reparaturen durchführen, denn für die Veränderung von Schutzkleidung sind strenge Vorgaben einzuhalten. Bei zertifizierter Kleidung sind grundsätzlich keine baulichen Veränderungen zulässig. Oder anders gesagt: Es ist verboten, Schutzkleidung zu ändern oder nachzubessern. Es dürfen auch nicht nachträglich Taschen oder Aufnäher angebracht werden. Das gilt auch für das normkonforme Anbringen von Labels mit dem Firmenlogo und dem Mitarbeiternamen auf der Kleidung. Ausnahmen sind möglich, wenn die Reparatur von Schutzkleidung in qualifizierten Händen liegt. Nähte schließen, Verschlüsse auswechseln oder Reflexstreifen ersetzen: Professionelle Anbieter wissen, worauf sie achten müssen, damit die Schutzkleidung nach der Reparatur den Mitarbeiter weiterhin schützt.
Allerdings bietet nicht allein der Service der Textilprofis eine Rechtssicherheit bei der persönlichen Schutzausrüstung (PSA) und deren Anschaffung. Auf Schutzkleidung spezialisierte Anbieter helfen Unternehmern auch bei der Auswahl. Sind auf der Basis einer Gefährdungsbeurteilung die Risiken an einem Arbeitsplatz definiert, kann der Dienstleister den Verantwortlichen bei der Entscheidung unterstützen, welche Schutzfunktionen für den spezifischen Einsatzzweck wichtig sind. Zusätzlich zum Schutz sollte auch der Aspekt Ergonomie im Blick behalten werden, denn der Bequemlichkeitsfaktor einer Kleidung hat erhebliche Auswirkungen auf deren ordnungsgemäßen Einsatz. Wer passende Schutzkleidung für ein Team auswählt, muss immer einen Spagat schaffen: Die Mitarbeiter selbst wollen sich in ihrer Arbeitskleidung wohl fühlen. Derjenige, der für den Arbeitsschutz im Unternehmen verantwortlich ist, will natürlich, dass die Träger gegen Gefährdungen am Arbeitsplatz optimal geschützt sind. Schließlich muss ein Arbeitgeber dafür sorgen, dass die Vorschriften des Arbeitsschutzgesetzes in seinem Betrieb umgesetzt und eingehalten werden. Er trägt grundsätzlich die Gesamtverantwortung und haftet bei Arbeitsunfällen. Bestmögliche Schutzfunktionen sind und bleiben die Top-Kriterien bei der Auswahl von Schutzkleidung. Dennoch, so ganz darf man die Anforderungen der Basis nicht vernachlässigen. Dem Arbeitgeber muss klar sein, dass es mit der Anschaffung der Schutzbekleidung allein nicht getan ist. Er muss auch dafür sorgen, dass die Schutzbekleidung wie vorgeschrieben getragen wird. Und selbst wenn die Kleidung beim Kauf die Normen erfüllt, kann sie ungeeignet für den Praxiseinsatz sein, wenn sie unbequem ist.
Tatsächlich passieren schwere Unfälle, weil die Mitarbeiter sich in ihrer Schutzkleidung nicht wohl fühlen und sie sie deshalb einfach nicht tragen. „Wir raten unseren Kunden deshalb dazu, ihre Mitarbeiter die Kleidung Probe tragen zu lassen, bevor sie sich abschließend für eine bestimmte PSA entscheiden“, so Dascha Guttenberger. „Je höher der Komfort einer Schutzkleidung, umso besser wird sie schützen.“ Die Rückmeldung der zukünftigen Träger bietet nicht nur wertvolle Informationen für den praktischen Nutzen der Schutzbekleidung, sie fördert auch die Akzeptanz. Dabei gibt es einen ganzen Katalog an Fragen, die möglichst positiv beantwortet werden sollten: Wie schnell und einfach lassen sich die Kleidungsstücke an- und ausziehen? Wie steht es um Tragekomfort und Gewicht? Sind die Kleidungsstücke mit allen anderen Elementen der PSA wie Handschuhe oder Sicherheitsschuhe vereinbar? Können alle Tätigkeiten ungehindert und ohne Schwierigkeiten durchgeführt werden?
Ein weiterer Vorteil der textilen Dienstleistung ist, dass Kollektionen lange im Angebot bleiben und gleichzeitig kontinuierlich an modische Trends angepasst werden. So kann es nicht passieren, dass bei personellen Veränderungen die neue Kleidung nicht zur vorhandenen passt. Die sukzessive Schnittanpassung an Outdoor- und Freizeitkleidung findet sich dort mit zunehmender Tendenz wieder und lässt die Kleidung außerdem optisch nicht in die Jahre kommen. Denn auch Berufsbekleidung verändert sich. Auch die Nachfrage nach zweifarbiger Kleidung sei inzwischen höher als nach unifarbener, vermelden Konfektionäre wie Dienstleister des Segments Berufsbekleidung. Die Klassiker wie Latzhose und Meisterkittel sieht man dagegen immer seltener in deutschen Produktionshallen. Sie kommen aus der Mode, denn junge Mitarbeiter bevorzugen Bund- und Cargohosen sowie sportlich geschnittene Westen über T-Shirt oder Polohemd. Mit ihrem breiten Sortiment können Textildienstleister die Mitarbeiter generationenübergreifend ihren Wünschen entsprechend einkleiden. Und trotzdem bleibt das Gesamtbild einheitlich.
Für Ralf Bacchus hat sich die Auslagerung der Mitarbeitereinkleidung rentiert: „Man darf bei einer Anschaffung nie allein nach den Kosten fragen. Die Frage ist doch vielmehr, ob sie sich auszahlt.“ Aus Sicht von Bacchus ist das der Fall. Die Mitarbeiter sind passend zur Tätigkeit gekleidet und fühlen sich wohl. Das gilt für die normale Arbeitskleidung und die Schutzkleidung gleichermaßen. Bacchus: „Der Service läuft rund und ich habe Zeit gewonnen und kann mich um andere Themen kümmern.“
Bonni Narjes Fachjournalistin in Hamburg
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