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Quantencomputing in der Industrie

Quantencomputing in Deutschland
Aufbruch ins Zeitalter von Quantencomputing

2 Mrd. Euro investiert die Bundesregierung, damit ein konkurrenzfähiger Quantencomputer in Deutschland entwickelt wird. Die globale Konkurrenz ist groß. Das komplexe Thema schreckt zudem viele Unternehmen als mögliche Anwender ab. Dabei lohnt sich bei einigen Problemstellungen in der Industrie heute schon ein Blick auf Quantencomputing. Außerdem: Welche ersten Anwendungen es bereits für kleine und mittlere Betriebe gibt.

» Nora Nuissl, Redakteurin Industrieanzeiger

Inhaltsverzeichnis
1. Zu großer Hype um Quantencomputing?
2. Quantencomputer versus herkömmliche Computer
3. Wofür eignen sich Quantencomputer in der deutschen Fertigungsindustrie?
4. Quantenoptischer Sensor für die Industrie
5. Brückentechnologie als Alternative zu Quantencomputern
6. Vorteile von Quantencomputern
7. Herausforderungen bei Quantencomputern
8. Weiterführende Informationen zu Quantencomputing
9. Buchtipp

„Quantenüberlegenheit wird noch ein wenig dauern“, betont Prof. Manfred Hauswirth, Sprecher des Fraunhofer-Kompetenznetzwerks Quantencomputing und Leiter des Fraunhofer-Instituts für offene Kommunikationssysteme Fokus in Berlin-Charlottenburg. Der Begriff beschreibt den Moment, in dem Quantencomputer Probleme berechnen können, die auch die aktuell leistungsstärksten Supercomputer nicht in vertretbarer Zeit schaffen. Damit spielt Hauswirth auf eine Meldung von Google an, in der der US-Konzern Ende 2019 verkündete, dass ein selbst-entwickelter Mikrochip (Sycamore) in 200 Sekunden eine Berechnung durchführen könne, für die der schnellste Supercomputer der Welt 10.000 Jahre gebraucht hätte. Viele Wissenschaftler zeigten sich von dem Ergebnis beeindruckt, IBM – ein Konkurrent auf dem Gebiet der Quantencomputer – zweifelte daran, ob das Problem tatsächlich so schwer zu lösen sei. Danach wurde es stiller um das komplexe physikalische Technologie-Phänomen.

Zu großer Hype um Quantencomputing?

Vor kurzem wirbelte das Thema Quantencomputing in Deutschland erneut durch alle Medien: Denn im Mai hat die Bundesregierung insgesamt 2 Mrd. Euro für die Entwicklung von Quantencomputern freigegeben. 1,1 Mrd. Euro vergibt das Bundesministerium für Bildung und Forschung, 878 Mio. Euro kommen aus dem Etat des Bundeswirtschaftsministeriums. Ziel dieser Förderinitiative sei es, innerhalb der nächsten fünf Jahre in Deutschland einen konkurrenzfähigen Quantencomputer zu bauen und ein dazugehöriges Ökosystem mit potenziellen Anwendern zu schaffen.

Bei dieser hohen Summe stellen sich schnell die Fragen: Wie gerechtfertigt ist der Hype um Quantencomputing? Was kann die Technologie, was Cloud oder künstliche Intelligenz nicht können? Und welchen Nutzen bringt sie der Industrie hierzulande?

Quantencomputer versus herkömmliche Computer

Um zu verstehen, wofür Quantencomputer eingesetzt werden können, muss man ein wenig in die Physik eintauchen. Die goldene Regel der Chiphersteller – nämlich, dass sich gemäß des Mooreschen Gesetzes die integrierten Schaltkreise auf einem Prozessor etwa alle zwei Jahre verdoppeln – stieß 2016 nach rund 51 Jahren an ihre physikalischen Grenzen. Im Gegensatz zu einem herkömmlichen Computer arbeitet ein Quantencomputer mit sogenannten Qubits (kurz für Quanten-Bits) statt Bits. Bits sind binär, sie haben also entweder den Zustand eins (an) oder null (aus). Ein Qubit arbeitet ebenfalls binär, zusätzlich kann es im quantenmechanischen Zustand die Überlagerung beider Energieniveaus des Elektrons nutzen. Das Qubit befindet sich also in theoretisch unendlich vielen Zuständen zwischen eins und null. Daher kann ein Quantencomputer mit einer geringen Anzahl von Qubits eine exponentiell große Anzahl von Aufgaben bewältigen. Außerdem können die Qubits in einem Quantenrechner quantenverschränkt, also miteinander verbunden, sein. Wird ein Qubit in einen bestimmten Zustand gebracht, ändert sich in diesem Moment auch der Zustand der mit ihm verschränkten Qubits. Berechnungen im Quantencomputer sind damit zusätzlich sehr schnell.

Interessant wird diese Möglichkeit zur Berechnung mathematischer Probleme mit exponentiell steigender Komplexität der Parameter, konkret sind das Optimierungsprobleme. Ein bekanntes Beispiel ist das Travelling-Salesman-Problem: Ein Handelsreisender muss verschiedene Städte anfahren und möchte die effizienteste Rundreisen-Route finden. Mit bis zu fünf Städten ist die Rechnung noch einfach zu lösen, beläuft sich die Städteanzahl auf zehn ergeben sich bereits mehr als 3,6 Mio. Möglichkeiten.

Wofür eignen sich Quantencomputer in der deutschen Fertigungsindustrie?

Blickt man in die Fertigungsindustrie, bieten sich zahlreiche Möglichkeiten für die Nutzung von Quantencomputern zur Lösung von Optimierungsproblemen an: beispielsweise in der Materialforschung und -entwicklung, in puncto Routing, also der Streckenführung wie beim Handelsreisenden oder für das maschinelle Lernen. Der IT-Konzern IBM – der am 15. Juni gemeinsam mit der Fraunhofer-Gesellschaft offiziell seinen ersten Quantencomputer, Modell IBM Quantum System One, mit 27 Qubits in Deutschland eingeweiht hat – arbeitet mit seinem Industriepartner Daimler etwa daran, Quantensimulationen von Lithium-basierten chemischen Vorgängen in der Batterie durchzuführen. „Bei dem Test modellieren wir fundamentale chemische Reaktionen spezifisch und exakt, um ein besseres Verständnis zu bekommen. Mit diesen optimierten Simulationsmöglichkeiten können wir neue Materialien wesentlich schneller und besser entwickeln, denn der Materialentwicklungszyklus in der heutigen Industrie dauert sehr lange. Außerdem geht es auch darum zu sehen, ob man mit dem Quantencomputer schneller zu einem Ergebnis kommen kann als mit einem klassischen Rechner“, erklärt Dr. Heike Riel, Leiterin der Science- und Technology-Abteilung bei IBM, die sich auch mit Quantencomputing in der Hard- und Software beschäftigt.

Als Mitte Juni in feierlichem Rahmen die Hülle des IBM-Quantum-Systems in Ehningen bei Stuttgart fiel, blickten die geladenen und virtuell zugeschalteten Gäste auf einen Glaskasten, an dessen Decke ein etwa kühlschrankgroßer schwarzer Zylinder befestigt ist. Das Ganze wirkte wie ein breites Abluftrohr. Im Zentrum sitzt der Prozessor, ein Chip mit 27 Qubits, umgeben von einem Leitungslabyrinth – diese Elektronik wertet die Quantenzustände im Kern aus. Das 3 x 3 x 3 m³ große System muss rundherum auf Temperaturen von -270 °C gekühlt werden, das ist nahe des absoluten Nullpunkts von etwa -273 °C. Mit der Leistung von klassischen Supercomputern kann der Quantencomputer noch nicht konkurrieren, dafür bräuchte er mindestens die doppelte Anzahl an Qubits. Er soll Forschenden und der Industrie vor allem zu Übungs- und Lernzwecken sowie zur Entwicklung der notwendigen Quantenalgorithmen dienen. Zugreifen kann die Community auf die Rechenleistung von Quantum System One via Cloud, zentrale Anlaufstelle für Interessierte ist dafür das Fraunhofer-Kompetenznetzwerk Quantencomputing.

„Der Rest der Welt schläft nicht“

„Deutschland gehört in der Forschung zu Quantencomputing zur Weltspitze. Und da wollen wir bleiben, denn der Rest der Welt schläft nicht“, mahnte Bundeskanzlerin Angela Merkel virtuell bei der Einweihung. IBM arbeitet daher stetig an der Steigerung der Anzahl der Quantenbits: Für 2021 ist ein Prozessor mit 127 Qubits geplant, bis 2023 sieht die Roadmap mehr als 1.100 Qubits vor. Doch nicht nur die Anzahl der Qubits ist im internationalen Quantencomputer-Rennen mit Amazon, Microsoft und Google entscheidend, sondern auch die Weiterentwicklung von Quantenalgorithmen sowie passende Anwendungsfälle in der Industrie. „Ich wünsche Ihnen viele gute Kunden“, sagte Merkel, bevor sie das Event mit einer Miniatur des IBM-Quantum-Systems in den Händen virtuell verließ.

Quantenoptischer Sensor für die Industrie

Neben IBM, die zusätzlich zur Hardware laut Riel auch sogenannte Quantum Application Modules – also Software-Module für Physik- und Molekül-Simulationen oder für Optimierungsprobleme – entwickeln, widmen sich erste Industriefirmen möglichen Anwendungen. So etwa eine Kooperation aus den baden-württembergischen Mittelständlern Qant, einer Trumpf-Tochtergesellschaft, die auf die Entwicklung von Quantentechnologie basierend auf Photonik spezialisiert ist, und dem Sensorik-Experten Sick. Gemeinsam wollen die Partner die Quantentechnologie für Sensoren im industriellen Einsatz nutzbar machen.

Nach seiner Promotion im Bereich der Quanteninformationsverarbeitung dachte Dr. Michael Förtsch, Gründer und heutiger CEO von Qant aus Stuttgart, nicht, dass er beruflich wieder mit Quantentechnologie zu tun hätte. „2015, als ich bei Trumpf angefangen habe, ist das Thema Quantentechnologien in Deutschland gerade heiß geworden für die Industrie“, erzählt Förtsch. Seit 2018 fokussiert sich der promovierte Physiker mit dem 20-köpfigen Qant-Team auf photonische Quantentechnologie, konkret auf Sensoren. „Wir können als einziger Sensorhersteller für Partikelsensoren drei Kenngrößen messen: Wir können die Geschwindigkeit und die Größe eines Partikels sowie die Flugrichtung jedes einzelnen Partikels bestimmen – alle anderen Sensoren auf dem Markt vorrangig nur die Größe“, beschreibt Förtsch den Unterschied zu herkömmlichen Sensorsystemen.

Trumpf und Sick entwickeln ersten industriellen Quantensensor

Starke Leistung mit nur einem Qubit

Dafür erzeugt das Start-up zunächst Licht mit sehr definierten Eigenschaften. Die Nutzung von Licht ist auch deshalb förderlich, da sich Quantenphänomene wie Verschränkung oder Superposition mit Licht gut erzeugen lassen und sehr stabil sind, zudem muss das System nicht gekühlt werden. Dieses speziell präparierte Licht lässt das Qant-Team mit der Umwelt interagieren. Die Partikelinformationen werden danach auf die verschränkten Zustände im Laserstrahl aufgeprägt. Nachdem sie ausgelesen wurden, rückkonvertiert das Team die Informationen wieder zu Strom und klassischen Daten. Das geschieht, um Kunden die Informationen mittels konventioneller Datentechnologie zur Verfügung zu stellen. Ein weiteres Kern-Know-how des jungen Unternehmens ist laut dem CEO auch die eigene Entwicklung von Quantenalgorithmen. Förtsch vergleicht die Informationsgewinnung im Quantensensor mit dem Raumschiff Enterprise: „Auf dem Monitor gehen zahlreiche Schwingungen rauf und runter. Und diese Schwingungen zu verstehen – wenn das Raumschiff (als Äquivalent zum Sensor) etwa so schwingt, bedeutet das eine bestimmte Geschwindigkeit oder Partikelgröße –, das ist unser Wissen.“ Einen Quantencomputer benötigen die Ingenieure dafür nicht, der Quantensensor funktioniert bereits mit einem Qubit – und dieses kann Qant (wie viele andere) selbst generieren.

Ende 2020 kündigten die Kooperationspartner den industriellen Quantensensor an, aktuell fertigt Qant die ersten Prototypen, im Juli will das Unternehmen den Sensor bei ausgewählten Konzeptkunden in die Produktion einbringen und dort erste Feldversuche durchführen. Ab 2022 ist dann die Fertigung von Kleinserien geplant. Qant stellt hierfür die Hardware in Form des fast I-Phone großen Sensors sowie die Software zur Verfügung, Industriepartner Sick ist für den Vertrieb und die Identifikation von Anwendungsfällen verantwortlich. Die Einsatzmöglichkeiten für den Sensor sind vielfältig: Sie reichen von Pulveranalyse und -charakterisierung für die Lebensmittelindustrie über die Messung von Partikelkonzentrationen in der Luft bis hin zur Untersuchung der Pulverqualität für additive Fertigungsverfahren. „Dem Kunden ist wichtig, dass er tiefere Einblicke in seine Prozesse erhält. Dass diese Informationen nun ein Quantensensor liefert, ist erstmal zweitrangig. Daher ist es ein spannendes Gerät für den kleinen und mittleren Betrieb“, erläutert Förtsch.

Brückentechnologie als Alternative zu Quantencomputern

Mit dem IBM Quantum System One gibt es zwar einen ersten kommerziell verfügbaren Quantencomputer in Deutschland. Bis Quantencomputer hochkomplexe Probleme in der Realität lösen können – ab 1.000 Qubits aufwärts –, wird es aber noch dauern. Der japanische Technologiekonzern Fujitsu arbeitet daher bereits seit 2016 an einer Brückentechnologie, dem sogenannten Digital Annealer. Dieser Annealer, den das Unternehmen schon 2018 als Technologie vorgestellt hat (2019 wurde er auf der Hannover Messe präsentiert), ist ein Emulator. Im Gegensatz zu einem Simulator, der auf der heutigen Technik basiert und exakt simuliert, was in kommenden Geräten passieren wird – der aber auch nicht schnell genug sein kann, um für produktive Zwecke eingesetzt zu werden –, reizt der Emulator die heutige Technik aus, er baut jedoch nur wesentliche Merkmale nach. Somit sind die Ergebnisse und Vorteile ähnlich denen einer künftigen Technologiegeneration, aber nicht identisch. „Der Digital Annealer ist zwischen 10.000 und 100.000 Mal schneller als herkömmliche Rechner. Wir verwenden ihn für Optimierungsprobleme – quasi in Form von adiabatischen Quantencomputern. Diese nutzen zwar auch Supraleitung oder Quantenzustände, aber sie führen nur eine bestimmte Art der Berechnung durch. Damit nähert man sich aus einem bekannten Zustand durch kleine Änderungen schrittweise dem Zustand an, den man eigentlich berechnen möchte“, erläutert Dr. Joseph Reger, CTO für die Region Central & Eastern Europe bei Fujitsu.

Skalierbarkeit von Quantencomputing als Herausforderung

Ein Vorteil dieser Brückentechnologie ist, dass sie sich bereits heute für den Einsatz in der Fertigungsindustrie eignet. „Im Gegensatz zu echten Quantencomputern könnten unsere Rechner direkt neben den Maschinen stehen. Ein Zwischenschritt dafür ist schon getan: Eine erste physische Instanz steht seit zwei Monaten bei Fujitsu in München“, freut sich Reger. Der digitale Annealer ist ein siliziumbasiertes System und muss im Gegensatz zu supraleitungsbasierten Quantencomputern, wie dem von IBM, nicht auf Temperaturen nahe des absoluten Nullpunkts heruntergekühlt werden. Auch in puncto Latenzzeiten und Datenschutz erfüllt die Brückentechnologie bereits die Anforderungen, die Fertigungsbetriebe in Deutschland an IT-Systeme stellen.

Der Digital Annealer kommt in der Industrie schon zum Einsatz: BMW hat ihn etwa genutzt, um die optimalen Bewegungen von Roboterarmen zur Schweißnahtversiegelung im Zuge der Lackierung zu berechnen. Der Lackierprozess macht bei dem Automobilhersteller rund 40 % der Gesamtherstellungskosten in der Fahrzeugproduktion aus. Durch den Einsatz des Annealing-Chips konnten die Bewegungen der Roboterarme um bis zu 40 % gesenkt werden; Und die Berechnung dauerte nur etwa eine halbe Minute – was 17.000 Mal schneller ist als die Berechnung durch einen Rechner mit herkömmlicher Chiparchitektur.

Quantencomputer reagiert in Echtzeit auf aktuelle Herausforderungen

Die Schnelligkeit ist Problem und Chance zugleich: „Wenn die Berechnung, wie die der idealen Greifbewegungen der Roboter in einer Produktionszelle, einmalig unter einer Minute dauert, ist das zwar sehr schnell. Herkömmliche Rechner können das ebenfalls, wenn auch sehr viel langsamer“, verdeutlicht Reger. Der Vorteil eines Quanten- oder Quanteninspirierten Systems liege vor allem darin, dass es dynamisch agiere: Es reagiert quasi in Echtzeit auf ein aktuelles Problem und bezieht plötzlich auftretende Herausforderungen in die Berechnung mit ein.

Das Standard-Liefermodell sowohl für die Annealing- als auch für die Quantentechnologie ist ein Cloud-Service. So werden die Kosten sowohl für die kurzen Berechnungszeiten als auch für die Hardware und deren Installation verteilt. Damit eigne sich das System ideal für kleine und mittlere Unternehmen, betont der promovierte Physiker. Denn die Dienstleistung, also Beratung, Implementierung und sinnvolle Anwendung von Quantentechnologie, muss gemeinsam mit dem Kunden „as a Service“ erfolgen. Darin sind sich Quantencomputerhersteller, Anwendungstechnologieentwickler und Forschende einig. Der Fokus in Deutschland liegt derzeit auf der Anwendung. Das sei auch wichtig, unterstreicht Prof. Manfred Hauswirth, Sprecher des Fraunhofer Kompetenznetzwerks Quantencomputing.

Deutschland muss sich nicht verstecken

„Quantencomputing ist noch ein neues Thema und mein subjektives Gefühl ist, dass es für den Mittelstand – auch durch Coronazeiten – nicht das unmittelbarste ist. Aber jetzt ist ein guter Zeitpunkt, sich als Mittelständler zu informieren und zu lernen“, wirft Heike Riel von IBM ein. Gerade der deutsche Mittelstand zeichne sich durch seine Innovationskraft aus, sagt Joseph Reger von Fujitsu: „Womöglich sind Quantencomputer eine der wesentlichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte in der Computerei und ich hoffe, dass die mittelständische Industrie sich traut, das auszuprobieren.“ Mit gutem Grund: Betrachtet man die Entwicklung von supraleitungsbasierten Quantenrechnern, sind US-Riesen wie Google oder IBM und chinesische Firmen viel weiter: Erste Prototypen arbeiten mit 60 bis 70 Qubits.

Deutschland müsse aber dranbleiben: „In diesen Innovationsprozessen ist es sehr oft so, dass kleine Puzzlestücke hier und dort aufpoppen, die momentan noch überhaupt nicht miteinander verbunden sind. Wenn die zentralen Puzzlestücke kommen, gibt es einen Phasenübergang: Dann springt man plötzlich von 10 auf 100 Prozent. Und da müssen wir schnell sein“, erläutert Hauswirth von Fraunhofer. „Außerdem ist die Forschung im Bereich der photonischen Quantencomputer sowie bei Elektronenfallen oder Diamantgittern sehr stark in Europa und in Deutschland“, verdeutlicht er. Hier arbeitet die Fraunhofer-Gesellschaft mit vielen ihrer Institute im Rahmen des Kompetenznetzwerks Quantencomputing mit verschiedenen Quantencomputerherstellern, aber auch Forschungsinstituten wie der Max-Planck-Gesellschaft oder dem Forschungszentrum Jülich sowie universitären Einrichtungen zusammen. „Es herrscht Aufbruchsstimmung“, so der Institutsleiter. Aber es werde nur als nationale gemeinsame Anstrengung möglich sein, im internationalen Vergleich wettbewerbsfähig zu bleiben.

Steiniger Weg: Herausforderungen bei Quantencomputern

Denn es werde lange dauern, bis es schlüsselfertige Quantencomputer ‚von der Stange‘ zu kaufen gäbe. Und es gibt noch einige Herausforderungen zu lösen: Die Stabilität sowie die Skalierbarkeit der Systeme sind das eine. Auch Übertragbarkeit sei wichtig. „Wenn Sie einen Algorithmus für ein IBM Quantum System One entwickeln, heißt das nicht, dass dieser auf einem Quantencomputer von Google, Microsoft, Rigetti oder einem Annealer von D-Wave funktioniert“, erklärt der Informatiker. Das Fraunhofer-Institut Fokus beschäftigt sich mit der Übertragbarkeit von Algorithmen in verschiedene Systeme, um Lock-in-Effekte zu vermeiden. Ein weiterer Punkt auf der Agenda seines Instituts ist für Hauswirth die Zertifizierung von Quantencomputern. Die Institutsmitarbeitenden beleuchten hier die Frage: Wie wissen wir denn, dass das, was der Quantencomputer berechnet, richtig ist? Auch für die Absicherung von Verschlüsselungssystemen eignen sich Quantencomputer. Bisherige Kryptosysteme nutzen generierte Zufallszahlen. Diese sind aber unvollkommen und können geknackt werden. Ein Quantensystem könne dagegen nicht nachvollziehbare zufällige Zahlen erzeugen.

Das Anwendungspotenzial sei groß, „wir brauchen aber auch Anwender“, gibt Hauswirth zu bedenken. Er sieht die Fraunhofer-Institute als „ausgelagerte Forschungsabteilung“ von Unternehmen. „Künftig werde es umfassende Lösungen aus einer Kombination der Systeme geben“, prognostiziert er. Man könne sich eine höhere Abstraktionsebene vorstellen, auf der es möglich sein werde, Probleme zu formulieren und die einzelne Implementierung auf dem jeweils passenden Quantencomputer – ob nun supraleitungsbasiert, photonisch oder in Form einer Brückentechnologie – weitgehend automatisch umzusetzen. „Das ist wie in der Fahrschule“, zieht Hauswirth einen Vergleich: „Wir fahren keine Formel-1-Rennen, aber wir fangen jetzt an, mit den Quantencomputern fahren zu lernen.“

Potenziale des Quantencomputings für die Industrie

Weiterführende Informationen zu Quantencomputing

Falls Sie noch mehr über Quantencomputing erfahren wollen, haben wir hier weiterführende Informationen gesammelt:

Quantencomputing bei IBM:

Quantencomputing für die Industrie in Deutschland:

Kontakte:
IBM Deutschland GmbH
IBM-Allee 1
71139 Ehningen
www.ibm.com/de

Q.ANT GmbH
Handwerkstr. 29
70565 Stuttgart
www.qant.de

Fujitsu Technology Solutions GmbH
Mies-van-der-Rohe-Straße 8
80807 München
www.fujitsu.com/de

Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung e.V.
Hansastraße 27c
80686 München
www.fraunhofer.de/fraunhofer-kompetenznetzwerk-quantencomputing


Indset skizziert die Utopie der Quantenwirtschaft.
Bild: Ullstein Buchverlage

Buchtipp

Der norwegische Wirtschaftsphilosoph Anders Indset fragt sich, was nach der Digitalisierung käme. Er ist überzeugt, dass unser bestehendes Wirtschaftsmodell in den Klimakollaps führe. Daher entwirft der Autor drei Szenarien für die Quantenwirtschaft. Wie Quantenrechner funktionieren und welche Vor- oder Nachteile sie gegenüber künstlicher Intelligenz bieten, erfährt der Lesende nicht. Dafür gibt es zuweilen anregende philosophische Ansätze.

Quantenwirtschaft – Was kommt nach der Digitalisierung?
Anders Indset, Ullstein Buchverlage GmbH, 2019, 22 Euro, ISBN: 978-3-430-20272-5

Mehr dazu: www.quantenwirtschaft.de


Nora Nuissl, Redakteurin Industrieanzeiger
Bild: Tom Oettle

Meinung: Einfach mal trauen

Quantencomputer klingen für viele noch nach Zukunftsmusik. Gerade in der Industrie stellt sich die Frage nach dem Kosten-Nutzen-Aufwand. Es gibt derzeit noch keine Pakete, wie sich die Kosten zur Nutzung eines Quantenrechners zusammensetzen würden. Der Mittelstand widmet sich seinem Tagesgeschäft und aktuellen Herausforderungen durch die Pandemie. Doch es sollte nicht vergessen werden, dass die Innovationen, mit denen kleine und mittlere Hidden Champions oft global herausstechen, aus anfänglich vielleicht technologisch weit entfernt wirkenden Ideen entstanden sind. Daher: Haben Sie den Mut zum Ausprobieren.

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