Firmen im Artikel
Inhaltsverzeichnis
1. Standards als Voraussetzung
2. Zum Nutzen digitaler Zwillinge in der Fertigungsindustrie
3. Effizienzsteigerung und Wachstum
4. Potenziale digitaler Zwillinge heben
5. Auf Basis digitaler Zwillinge flexibler und wettbewerbsfähiger fertigen
6. Readiness-Check für Unternehmen
Um physische Assets wie Maschinen und Anlagen, Werkstücke, Bauteile und Pläne in die digitale Welt der Industrie 4.0 zu integrieren, benötigen Unternehmen virtuelle, dynamische Echtzeit-Modelle, sogenannte digitale Zwillinge oder Digital Twins. Die Herausforderung dabei: Unterschiedliche Systeme müssen zusammenspielen, heterogene Datenströme bündeln und verarbeiten sowie Informationen mit anderen digitalen Zwillingen austauschen – je nach Anwendungszweck unternehmensintern oder auch mit externen Akteuren.
Standards als Voraussetzung
„In der Industriebranche geht es dabei zumeist um die Erstellung ‚digitaler Schatten‘, also um ein Abbild von Identität, Zustand und Ort eines Assets über Unternehmensgrenzen hinweg. Diese Interoperabilität braucht neben einer strategischen IT-Infrastrukturplanung auch standardisierte Formate – umso mehr, je visionärer Fertigungsbetriebe in Richtung dezentraler Daten-Ökosysteme wie Manufacturing-X denken“, sagt Johannes Fuhrmann, Head of Strategic Business Development Manufacturing bei Arvato Systems.
Ein Beispiel: Über den Digitalen Produktpass (DPP) seien Hersteller zukünftig sukzessive verpflichtet, CO2-Fußabdrücke ihrer Produkte auszuweisen, so Fuhrmann. Das sei aber nur möglich, wenn sie aus ihrer Zuliefererkette die relevanten Daten dafür bekommen. Möglich werde dies über die standardisierte Asset Administration Shell (ASS), die durch Standardisierung ein aufwendiges, weil individuelles Bauen von Schnittstellen erübrigt.
Expert*innen aus Industrieverbänden, Forschung und Politik arbeiten mit Hochdruck daran, solche herstellerunabhängigen Standards zu etablieren. „Ein wichtiger Meilenstein war die Veröffentlichung der Version 3.0 der Asset Administration Shell (ASS) durch die Industrial Digital Twin Association (IDTA) im Juli 2023: Die praxisreife Spezifikation 3.0 beschreibt, wie Unternehmen diese Verwaltungsschalen aufbereiten und strukturieren, sodass die Daten eines digitalen Zwillings auf interoperable Weise über den gesamten Lebenszyklus und entlang der Wertschöpfungskette standardisiert zur Verfügung stehen“, erklärt Fuhrmann. Jedes Asset kann über seine eigene Verwaltungsschale identifiziert sowie angesprochen werden und Informationen in einer einheitlichen Sprache bereitstellen. Die Verwaltungsschale fungiert als standardisierte Schnittstelle für digitale Zwillinge, vergleichbar mit einem genormten Datenformat.
Zum Nutzen digitaler Zwillinge in der Fertigungsindustrie
Die gesamte Wertschöpfungskette profitiere laut Fuhrmann von einem standardisierten Datenmodell und davon, dass digitale Zwillinge Produktdaten hochgranular auf Einzelstückbasis nutzbar machen. Dies eröffne eine Vielzahl an Möglichkeiten – dazu ein paar Beispiele:
- Digitaler Mehrwert-Service: Die vorausschauende Wartung auf Basis dynamischer virtueller Abbilder von Maschinen (Predictive Maintenance) geht längst nicht mehr weit genug. Gefragt sind Mehrwerte für den Kunden: beispielsweise produktspezifische Schaltpläne, Produktionsparameter, Anleitungen oder auch automatisierte Webshops für Ersatzteile. Dies schont und optimiert zunehmend den Einsatz knapper menschlicher Ressourcen.
- Verfeinerte Qualitätsanalysen: Sie erleichtern die Identifikation von Verbesserungspotenzialen in verschiedenen Prozessphasen – von der Entwicklung über die Beschaffung bis hin zur Produktion und Logistik. Im Zusammenspiel mit den Akteuren der gesamten Supply Chain lässt sich außerdem der Aufwand für Rückrufaktionen auf Einzelstück-Basis deutlich senken (Track-and-Trace).
- Kundenbindung und -begeisterung: Service-Mitarbeitende profitieren von transparenten, detailtiefen Produktnutzungsdaten und können Kund:innen im After Sales individueller beraten und betreuen – für eine höhere Zufriedenheit und Loyalität der Kundschaft.
- Nachhaltige Fertigung: Das standardisierte und automatisierte Sammeln von Produktdaten zum ökologischen Fußabdruck oder zum Energieverbrauch vereinfacht die Umsetzung von Nachhaltigkeitsinitiativen und gesetzlichen Regularien, beispielsweise in Form eines digitalen Produktpasses.
Effizienzsteigerung und Wachstum
Über die interne Nutzung der Produktdaten hinaus würden in naher Zukunft dezentrale Daten-Wertschöpfungsmodelle an Bedeutung gewinnen, prognostiziert Fuhrmann: „Der digitale Zwilling bietet die nötigen infrastrukturellen Voraussetzungen, um die eigenen Daten mit anderen Marktpartnern zu teilen, um somit neue und lukrative Umsatzquellen zu erschließen. Der Grundgedanke einer global vernetzten Datenökonomie ist nicht nur für Konzerne relevant, sondern insbesondere für KMU eine smarte Idee, um Wachstum zu generieren, ohne physisch zu wachsen: Skalierung kann künftig über das Kerngeschäft hinaus durch rein datenbasierte Geschäftsmodelle gelingen. So könnten Maschinenbauer bestimmte Self-Services anbieten, was die Bestellung von Verschleißteilen automatisiert auslöst und den Beschaffungs-prozess beschleunigt. Auch ließen sich beispielsweise Szenarien für Geräte- oder Materialwechsel virtuell durchspielen und für eine noch bessere Kundenberatung nutzen. Das steigert den Mehrwert und die Effektivität eines Industrieunternehmens – für einen besseren ROI, zur Abfederung des Fachkräftemangels in der Produktion und für eine risikomindernde Diversifizierung in Krisenzeiten.“
Potenziale digitaler Zwillinge heben
Der nächste Schritt auf dem Weg zu Industrie 4.0 sei es nun, die technische Steilvorlage der Asset Administration Shell in individuelle Konzepte mit konkreten Mehrwerten zu verwandeln, sagt Furhmann. Die notwendige Sensorik sei in vielen Maschinen bereits vorhanden oder könne im Rahmen eines Retrofits unkompliziert und mit überschaubarem Aufwand nachgerüstet werden. „Trotzdem scheuen sich viele Betriebe, die Beobachterposition zu verlassen und eigene Projekte zu initiieren – eine riskante Strategie, denn die deutsche Industrie droht in Sachen Digitalisierung international den Anschluss zu verlieren. Unternehmen können problemlos operativ klein starten, sollten aber von Anfang Themen wie Datenstandards und ASS-Readiness berücksichtigen“, erklärt Fuhrmann.
Auf Basis digitaler Zwillinge flexibler und wettbewerbsfähiger fertigen
Auf der Hannover Messe 2024 hat Dassault Systèmes zusammen mit Omron anhand eines Showcase die Relevanz digitaler Zwillinge und roboterbasierter Automatisierung für die globale Wettbewerbsfähigkeit von Industrieunternehmen präsentiert. Dassault Systèmes hat einen virtuellen Zwilling einer autonomen und flexiblen Produktionslösung von Omron entwickelt. Unterschiedliche Vorteile digitaler Simulationen für die Planung, Optimierung und Effizienz sind veranschaulicht worden. Philippe Bartissol, Vice President Industrial Equipment Industry bei Dassault Systèmes erläutert: „Virtuelle Zwillinge können die Digitalisierung beschleunigen. Zugleich erfüllen sie den Wunsch der Industrie nach Lösungen für schnellere Markteinführungen, indem Produkt und Produktionsprozess gleichzeitig entwickelt werden“. Virtual-Twin-Technologie verbessere vielmehr die Flexibilität und die Effizienz durch Robotersimulationen und den Entwurf neuer Arbeitsabläufe.
Auf der Hannover Messe wurde konkret gezeigt, wie die Virtual-Twin-Technologie auf der 3D-Experience-Plattform von Dassault Systèmes den Prozess der Fabrikplanung bis zum Betrieb vereinfacht, die Effizienz steigert und die Flexibilität erhöht:
- Beispielsweise lassen sich Produktionslinien in der Anlagenplanung vorab in 3D planen, um die Platzierung im Layout zu optimieren.
- Für eine reibungslose Integration ist die virtuelle Inbetriebnahme möglich: Arbeitsabläufe können virtuell simuliert und getestet werden, um Fehler im Steuerungsprozess vor dem physischen Betrieb zu erkennen.
- Der digitale Zwilling auf der 3D-Experience-Plattform dient zudem als Steuerzentrale für das Management der mobilen Roboterflotte, um einen ganzheitlichen Überblick zu behalten.
- Im Bereich After-Sales-Services sorgt ein spezifischer virtueller Zwilling für datenbasierte, nachhaltige und vorausschauende Wartung. In Kombination mit dem Einsatz künstlicher Intelligenz und Augmented Reality sind präzise Diagnosen und verkürzte Reparaturzeiten möglich.
Teil des Showcase ist zudem die Asset Administration Shell gewesen. Das Zusammenspiel der Verwaltungsschale mit der 3D-Experience-Plattform wurde am Beispiel einer flexiblen Fertigungsanlage gezeigt. Diese soll Wertschöpfungsketten optimieren sowie neue Geschäftsmodelle hervorbringen. Damit soll letztlich die Standardisierung der digitalen Industrielandschaft aktiv vorangetrieben werden.
Readiness-Check für Unternehmen
Wie die Voraussetzungen der Fertigungsprozesse für durchgängige Datentransparenz mit digitalen Zwillingen und Software-defined Manufacturing in einzelnen Unternehmen sind, können Unternehmen mit einem „Digital-Twin-Readiness-Check“ herausfinden, den Ascon Systems anbietet. Laut Anbieter soll der Check eine Analyse der aktuellen technische Infrastruktur und des Transformationsbedarfs sowie eine Roadmap für die Strategie und Integration von digitalen Zwillingen als Basis für Software-defined Manufacturing bieten.
Jens Mueller, CEO von Ascon Systems, kommentiert: „Diese digitale Transformation hin zu einem orchestrierten, automatisierten Produktionsbetrieb scheitert oft schon am Beginn, wenn keine Klarheit über die technischen und prozessualen Rahmenbedingungen und Verantwortlichkeiten besteht. Wir haben deswegen mit dem Digital-Twin-Readiness-Check ein niederschwelliges Tool entwickelt, das diese Hürden nimmt, benutzerfreundlich ist und vor allem zu einem schnellen, eindeutigen Ergebnis kommt. Wir wollen damit dazu beitragen, dass Unternehmen ihre digitale Weiterentwicklung in der Industrie 4.0 schneller vorantreiben können und so ihre Wettbewerbsposition stärken. Wir tragen auch dazu bei, Unternehmen technologisch in die Lage zu versetzen sich an das Industrial Metaverse von NVIDIA anzudocken, deren Partner wir sind.“
Ascon Systems unterstützt Unternehmen in einem mehrstufigen Digital-Twin-Readiness-Check darin, schnell zu erkennen, wie ihre Infrastruktur aufgestellt ist, wie sie in Hinblick auf die Integration von digitalen Zwillingen optimiert werden müsste und welche Strategie einer Roadmap zur Umsetzung zugrunde gelegt werden kann. Zu den Schritten gehören:
- Analyse der vorhandenen Infrastruktur
- Stakeholderanalyse
- Risikoanalyse
- Reifegradermittlung
- Strategie für die Roadmap
- Roadmap für die Umsetzung