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Herr Goeke, das Leitmotiv Ihres Unternehmens lautet „Groundbreaking Automation For Life“, was man mit „bahnbrechende oder wegweisende Automatisierung für das Leben“ übersetzen könnte. Wie kam es zu diesem Satz, mit dem die Messlatte gleich sehr hoch gelegt wurde?
Vor über 36 Jahren habe ich in einem Wohnhaus ein Ingenieurbüro gegründet und glaubte schon damals an das enorme Potenzial von Automationslösungen. Angetrieben von dieser Vision nahm ich erste Herausforderungen der Industrie an, bestimmte Aufgaben zu automatisieren. Aus dieser Leidenschaft für ein spannendes Tätigkeitsfeld entstand das heutige Leitmotiv. Ich lege großen Wert auf technische Perfektion und der Kundennutzen steht für mich dabei immer im Vordergrund. Heute sind wir ein unabhängiges, weiterhin wachsendes Familienunternehmen mit über 280 Mitarbeitern weltweit und verstehen uns als innovative, forschende Unternehmensgruppe.
Ihr Motto ist nicht weniger anspruchsvoll: „Das Unmögliche behandeln, als ob es möglich wäre“. Was war die letzte unmögliche Aufgabenstellung, die dann doch erfolgreich umgesetzt werden konnte?
Nahezu unmögliche Aufgabenstellungen begegnen uns ohne Übertreibung fast jeden Tag. Besonders anspruchsvoll war eine Umsetzung beim Autobauer Tesla. Hier entstand auf der grünen Wiese die Produktion des Models 3. Ohne Musterteile, in diesem Fall ohne Musterkarossen, haben wir technisch aufwendige und funktionierende Automatisierungslösungen geliefert.
Ist Ihre Branche dadurch gekennzeichnet, dass regelmäßig Aufgaben anstehen, die auf den ersten Blick kaum zu lösen sind?
In der Tat. Die Schwierigkeit liegt darin, dass noch keine Erfahrungswerte vorliegen. Es werden oft Produkte oder Prozesse automatisiert, die bislang noch gar nicht auf dem Markt waren und somit noch keine Erkenntnisse hinsichtlich Montage oder Handhabung vorliegen. Zudem ist derzeit ein Trend zu beobachten, der für uns auch eine Herausforderung darstellt, sprich die Ablösung von Handmontagen. Hierbei müssen bestehende Montageprozesse in automatisierte Prozesse übersetzt werden. Das ist komplexer, als es sich anhört, denn es müssen mindestens die gleichen Performancewerte erreicht werden.
IBG entwickelt Roboter- und Automationssysteme für Montage- und Prüfaufgaben, die in vielen Branchen zum Einsatz kommen. Gibt es dennoch Kernbranchen, die von IBG verstärkt bedient werden?
Grundsätzlich arbeiten wir für alle Branchen der Industrie. Wir sind breit aufgestellt und möchten vor allem komplexe Prozesse automatisieren. Die Anfragen und das Interesse an Automatisierung nehmen weiterhin stark zu, vor allem vor dem Hintergrund von Industrie 4.0 und der Digitalisierung.
IBG hat im Jahr 2011 den ersten Robotics Award, den Preis für angewandte Robotiklösungen gewonnen, der vom Industrieanzeiger, der Deutschen Messe AG und der Robotation Academy jährlich ausgelobt wird. Die eingereichte Lösung war die automatische Radmontage im Fließbetrieb, die damals bereits erfolgreich im VW-Werk in Emden lief. War diese Anwendung zum damaligen Zeitpunkt aus Ihrer Sicht ein Durchbruch?
Auf jeden Fall. Die automatische Radmontage im Fließbetrieb war damals in der Tat ein technologischer Durchbruch. Bis dahin war es unmöglich, Räder automatisiert zu montieren, ohne den Fließbetrieb anzuhalten. Durch die Kombination von Schraubtechnik und schneller Bildverarbeitung an einem Industrieroboter sowie besonderer Software-Strategien, die wir in unserem Hause entwickelten, wurde dies erstmalig ermöglicht.
War speziell diese Anwendung so etwas wie ein Ausgangspunkt für weitere, noch anspruchsvollere Lösungen im Fließbetrieb, bei denen der Roboter dann in das Innere der Karosse eintauchte wie zum Beispiel bei der Cockpit-Montage?
Zunächst traute sich kein Automobilhersteller an die automatische Radmontage heran. Erst ein junger Ingenieur bei Magna hatte den Mut, diese einzusetzen. Mit diesem Schritt hat sich die Radmontage nach und nach etabliert und wurde bei unzähligen Automobilherstellern integriert. Hierdurch haben wir uns einen guten Ruf in der Branche erarbeitet. Mittlerweile haben wir ein großes Portfolio an Automotive-Lösungen. Hierzu gehören neben der Cockpit-Montage, die Sie erwähnen, auch das Getriebefügen, die Schiebedachmontage und verschiedene Dichtungsapplikation.
Apropos Fließbetrieb. Angesichts der steigenden Variantenvielfalt im Automobilbau wird das traditionelle Förderband immer mehr in Frage gestellt. Vielmehr sei die komplexe Fertigung der Zukunft nur noch mit flexiblen Fertigungszellen zu meistern. Was halten Sie von diesem Ansatz und was bedeutet diese Entwicklung für IBG?
Die Idee von flexiblen Fertigungszellen ist uns wohlbekannt. Das erste Konzept hierzu haben wir bereits 2014 erarbeitet. In unserer Lösung mit dem Namen iPROCELL, einer flexiblen Endmontagezelle für die Produktion von Klein- und Kleinstserien, arbeiten drei autonome Roboter symbiotisch zusammen. Mit dieser Technik können modulare Produkte kostengünstig und dezentral auch in kleinen Chargen hergestellt werden. Beispielsweise lässt sich unsere eigene Vision eines Elektrofahrzeugs, das „Vision Car 1“, innerhalb einer Viertel Stunde montieren.
Auf den Internet-Seiten von IBG ist zu lesen, dass rund die Hälfte der von IBG realisierten Projekte Neuentwicklungen sind. Warum ist der Innovationsgrad in Ihrem Markt so hoch? Und wie werden Sie diesem hohen Anspruch gerecht?
Unsere Leidenschaft für Technik und die daraus entstehenden Visionen für die Zukunft sind unser ständiger Antrieb und die Motivation, sich an Produkte und Prozesse heranzutrauen, an die sich niemand anderes wagt. Daher sind unsere Lösungen oft Neuentwicklungen. Zudem sind wir stark forschungsgetrieben. Wir entwickeln unsere eigenen Visionen, um zu zeigen, was mit Automatisierung möglich ist. Zum Beispiel unsere Vision vom Arbeitsplatz der Zukunft, den wir „NXT Level human robot collaboration“ nennen. Hier entstand auf der Hannover Messe 2018 das Bild vom Handschlag mit Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Die Forschung und Entwicklung spielt also für IBG eine zentrale Rolle spielen. Wie sieht zum Beispiel die Zusammenarbeit mit Hochschulen aus? Gibt es aktuelle Forschungsprojekte?
Derzeit arbeiten wir an insgesamt sechs laufenden Forschungsprojekten, wovon fünf Kooperationsprojekte mit verschiedenen Hochschulen und Industrieunternehmen sind. Hier arbeiten wir auch mit heimischen Hochschulen wie der Ruhr-Universität Bochum oder der Universität Lübeck zusammen. Zudem unterstützen wir junge Talente an den Hochschulen mit einem Stipendium.
Sie begleiten den Kunden von der Entwicklung bis zum schlüsselfertigen System. Wie wird die fertige Anlage am Ende abgenommen? Arbeiten Sie hier mit der Berufsgenossenschaft oder anderen Institutionen zusammen?
Die fertige Anlage wird zusammen mit dem Kunden entsprechend den europäischen Normen abgenommen. Zudem haben wir natürlich unsere Ansprechpartner beim TÜV und den Berufsgenossenschaften. Während der Abnahme wird die Anlage mit dem Lastenheft abgeglichen. Es wird also geprüft, ob die Anlage die technischen Anforderungen und die vereinbarte Performance wie Taktzeiten und Stückzahlen erfüllt. Die ausgelieferten Maschinen werden zudem durch unseren betriebseigenen CE-Koordinator auf die Einhaltung der gesetzlichen Verpflichtungen geprüft.
Ist die Mensch-Roboter-Kollaboration, kurz MRK, für Sie ein Zukunftsthema?
MRK ist aus unserer Sicht ein absolutes Zukunftsthema. Durch MRK-Lösungen kann der Mensch Hand in Hand mit dem Roboter arbeiten. Der Roboter kann dabei ergonomisch ungünstige oder häufig wiederkehrende Bewegungen und Aufgaben übernehmen und so den Werker entlasten. Hierfür sind aber noch Entwicklungen notwendig. Wir werden uns in der nächsten Zeit unter anderem mit dem Thema MRK für Schwerlastroboter beschäftigen.