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IoT-Retrofitting: Sensoren und Funkmodule nachrüsten

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IoT-Retrofitting: Sensoren und Funkmodule nachrüsten

IoT-Retrofitting: Sensoren und Funkmodule nachrüsten
Ein Industrieschneider von Fega & Schmitt mit Überwachung dient als Testobjekt. Bild: Würth Elektronik
Anstelle einer Neuanschaffung ist es manchmal wirtschaftlicher, bestehende Maschinenparks weiter zu nutzen und mit Technik-Updates nachzurüsten. Wie so ein IoT-Retrofitting ablaufen kann, zeigen Würth Elektronik, Fega & Schmitt und IAV am Beispiel einer industriellen Schneidemaschine.

» Adithya Madanahalli, IoT-Ingenieur bei Würth Elektronik; Dr. Jan Gieseler, Data Scientist beim Digitallab der IAV; Bernd Grimm, Branchen- und Objektleiter für das Projektmanagement bei Fega & Schmitt; Miroslav Adamov, Senior IoT Solution Architect bei Würth Elektronik; Eduard Richter, Key Account Manager bei Fega & Schmitt

Wer fortschrittliche Technologie einsetzt, hat im Wettbewerb zwar oft die Nase vorn. Es gilt aber auch das Prinzip „Never Change a Running System“: Manchmal ist es besser, bewährte oder sogar veraltete Technologien weiter zu verwenden – auch wenn sie Probleme bei Effizienz, Qualität oder Wartungsaufwand mit sich bringen. Denn in der vorhandenen Technik stecken oft Investitionen in Millionenhöhe und jahrelange Planungen. Daher liegt es nahe, Bestehendes weiter zu nutzen und nachzurüsten.

Sinnvoll ist dabei in jedem Fall eine Steigerung des Automatisierungsgrads, durch die bestehende Anlagen noch an Produktivität gewinnen. Ältere Maschinen sind oft bereits abgeschrieben. Daher sind die wirtschaftlichen Auswirkungen eines solchen Technik-Updates ohne größere Neuinvestitionen besonders vorteilhaft für die Wettbewerbsfähigkeit.

Neue Funktionen auf nicht-invasive Weise hinzufügen

Damit die Modernisierung erfolgreich ist, müssen die automatisierten Maschinen die Betriebsdaten genau aufzeichnen und auswerten. Darüber hinaus ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Schlussfolgerungen, die aus diesen Bewertungen gezogen werden, auf andere Produktionsstandorte übertragbar sind. Ziel der Nachrüstung ist im vorliegenden Fall die Aktualisierung oder das Hinzufügen neuer Funktionen zu bestehenden Anlagen unter Verwendung einer IoT-Lösung auf nicht-invasive Weise, also ohne Eingriff in die bewährte Hardware. Durch die Überführung einer Maschine in ihren digitalen Zwilling kann die Produktion detaillierter und effizienter untersucht und optimiert werden.

Beispiel: Industrieller Cutter

In einer Kooperation mit Fega & Schmitt und IAV hat Würth Elektronik einen Proof of Concept für die Überwachung industrieller Cutter realisiert. Dabei stammte die Projektkonzeption von Fega & Schmitt. Würth Elektronik, Befürworter des Open-Source-Konzepts, lieferte die Vernetzungs- und die Sensorkomponenten und stellte zusammen mit IAV die Cloud-Infrastrukturlösung bereit. IAV steuerte die Datenanalyse und vollständige Systemintegration bei.

Ziel war es, ein einfach zu installierendes Produkt für Fega-Kunden zu entwickeln, um industrielle Schneidemaschinen zu überwachen, die Auslastung anhand von Strommessungen zu ermitteln und mögliche Probleme mit den Schneidwerkzeugen zu erkennen, bevor sie auftreten.

Bewegungsanalyse und Strommessung

Analysiert man die Ursachen für Werkzeugbrüche genauer, stellt man fest, dass die Ursache oft eine bestimmte Kombination von Werkzeugbewegungen ist. Folglich können aus einer genauen Identifizierung dieser Bewegungsabläufe an der Maschine Fehlervorhersagen abgeleitet und Maschinenstillstände verhindert werden. Eine genaue Strommessung ermöglicht zusätzlich die Bestimmung der Maschinenauslastung und vereinfacht den Planungsprozess.

Die Rahmenbedingungen des Kooperationsprojekts waren klar definiert: Während des Proof of Concept durften weder die Infrastrukturen des Kunden beeinträchtigt noch Prozessausfälle verursacht werden.

Die fertige Lösung liefert dem Kunden umfassende Informationen zur Anlagenverfügbarkeit. Durch den Einsatz von Sensoren und KI-gestützter Datenauswertung wird die vorausschauende Wartung zum wesentlichen Unterscheidungsmerkmal der Fega-&-Schmitt-Produkte.

Das Prototyping wurde auf der Basis von Featherwings vorgenommen, eine Serie stapelbarer Boards mit unterschiedlichen Funktionen. Würth Elektronik hat eine Reihe solcher Entwicklungsplatinen im Angebot – Open Source und vollständig kompatibel mit dem Feather-Formfaktor. Dazu gehören Sensor Wings, WE Pro-Ware Wireless-Konnektivität, WiFi und verschiedene Stromversorgungen. Es gibt ein GitHub Repository für alle Open-Source-Boards, einschließlich ihrer Schaltpläne, BoMs, Software und Cloud-Vernetzungsbeschreibungen für Azure und AWS.

Bewegungserfassung mit Beschleunigungssensoren

Da sich Bewegungen ohne externen Bezugspunkt nicht erfassen lassen, ist die Verwendung eines Beschleunigungssensors ein guter Ausgangspunkt für ihre Überwachung. Gemessen werden die durch die Bewegung der Messerhand erzeugten Beschleunigungsmomente. Dabei werden Sensor-Featherwings eingesetzt, um die initialen Datenpunkte zu erzeugen.

Auf dem WE Entwicklungs-Board-Sensor Featherwing sind vier Sensoren verbaut. Zusätzlich zum Adafruit-Feather-Formfaktor ist es auch mit Sparkfuns QWIIC-Connect kompatibel, das eine Standard-I²C-Schnittstelle bietet, die auch mit Stemma QT und Grove/Gravity zusammenarbeitet. Dank dieser offenen Architektur lassen sich verschiedene Sensoren und Geräte unterschiedlicher Hersteller ohne großen Verkabelungsaufwand anschließen und so schnell in Prototypen integrieren.

Verbindung zu Gateway und Cloud

Gateway und Cloud können auf zwei verschiedene Arten kommunizieren. Beide Methoden wurden in cloudbasierten Produktionsumgebungen getestet. Unter Verwendung eines industriellen Raspberry Pi mit LTE-Funkvernetzung wurden während der Modellerstellungsphase große Datenmengen zur Spektralanalyse an die Cloud gesendet. Nach der Erstellung des Modells wurde die Vernetzung auf das Adrastea-I-LTE-M/NB-IoT-Modul von Würth Elektronik umgestellt. Dies reduziert den Netzwerkverkehr und damit auch die Kosten erheblich.

Über ein Gateway, basierend auf dem proprietären 2,4-GHz-Funkmodul Thyone-I Wireless, ist der Knoten mit der Cloud verbunden. Aus Sicherheitsgründen verwendet das Gateway zur Cloud-Verbindung das TLS-Protokoll, und der Knoten nutzt einen ähnlichen Ansatz mit dem Secure Element ATECC608A-TNGTLS von Microchip Technology auf der einen und dem Cloud-Schlüsseltresor auf der anderen Seite.

Die gesamte Verbindung zwischen allen Kommunikationsteilnehmern – Knoten, Gateways und Cloud – ist geschützt und verschlüsselt.

Die Implementierung im Detail

Bewegungserfassung: Nach sorgfältiger Analyse der Messaufgaben fiel die Entscheidung auf einen Drei-Achsen-Beschleunigungs-MEMS-Sensor, der die Bewegungen des Messerarms erfasst. Die Vorteile der MEMS-Sensoren in Bezug auf Größe, Kosten und Zuverlässigkeit nutzen zu können, steht schon länger auf der Wunschliste von Entwicklern, und mit dem WSEN-ITDS-3-Achsen-Beschleunigungssensor können die Vorteile nun voll ausgeschöpft werden.

Messung der Stromstärke: Strommessungen dürfen die überwachten Geräte nicht beeinträchtigen, sie müssen daher nicht-invasiv ausgelegt sein. Eine weitere Vorgabe: Die Lösung sollte einfach auf jede ähnliche Maschine übertragbar sein. Daher werden der Wago Split-Core-Stromwandler 855–4101/400–001 und der Sparkfun ACS723 Hall-Effekt-Sensor-Breakout verwendet. Der Vorteil des Hall-Effekt-Sensors: Die Schaltung, die den Sensor abtastet, und die Schaltung, die den Sensor ausliest, sind elektrisch isoliert. Daher kann die Schaltung, die den Sensor abtastet, mit höheren Gleich- oder Wechselspannungen arbeiten als die Hauptplatine.

Konnektivität auf zwei Wegen: Im Proof of Concept kommen zwei Versionen der Vernetzungslösungen zum Einsatz. Version eins der Vernetzung, die in der ersten Phase der Datenerfassung verwendet wurde, ist ein mit dem Raspberry Pi kompatibles Industrial-IoT-Gateway. Um das Maschinenverhalten zu validieren, ist eine große Menge an Daten erforderlich. Deshalb wird ein Linux-basiertes System verwendet, um C-Code zu generieren und die Datenerfassung und -übertragung zu optimieren.

Für die Cloud wurde ein Dashboard für die Echtzeitüberwachung der Daten mit Node-Red und Grafana programmiert. Eine Analyse der Zeitstromdaten mit maschinellem Lernen macht Trends und Muster deutlich. Ähnliche Prozessmuster werden automatisch erkannt und gekennzeichnet, die restlichen als unbekannt markiert. Diese Daten dienen dann als Grundlage für Prozessstatistiken, die für verschiedene Anwendungsfälle genutzt werden können, zum Beispiel Prozessüberwachung, Qualitätssicherung und vorausschauende Wartung.

Herausforderungen bei Praxistest

Während des Praxistests vor Ort musste das Projektteam zahlreiche Herausforderungen überwinden, zum Beispiel Datenverluste aufgrund der Entfernung und der verschiedenen Funkquellen in der Fertigungshalle, Belastungen durch die ständige Bewegung der stapelbaren Platinen oder Probleme bei der Stromversorgung.

Die Beschleunigungssensoren wurden am Messerarm montiert. Da in der Nähe keine Stromquelle verfügbar war, wurden LiPo-Akkus zur Spannungsversorgung eingesetzt. Diese waren aber meist schon nach zwei bis drei Tagen leer, trotz des geringen Stand-by-Stromverbrauchs. Das liegt an der großen Datenmenge, die es zu übertragen gilt, was den Stromverbrauch in die Höhe treibt. Die Lösung war ein Solarpanel zum Aufladen der Batterie. Dabei wurde wieder eine Open-Source-Lösung von Adafruit verwendet.

Das zweite Problem betraf die drahtlose Datenübertragung. Der Sensor muss sich auf dem Werkzeuggriff befinden, der ein bewegliches Teil ist. An der Maschine sind aber alle beweglichen Teile durch Metallgehäuse geschützt, die wie faradaysche Käfige wirken. Obwohl die integrierte Antenne klein und effizient ist, konnte sie in der abgeschirmten Umgebung nicht funktionieren und musste durch eine externe Antenne an der Außenseite des Gehäuses ergänzt werden.

Ebenfalls nicht unproblematisch: Der Stromsensor besteht aus Split-Core-Stromwandlern und Hall-Effekt-Sensoren für jede Phase. Die Kombination von zwei Sensoren erforderte eine Kalibrierung, die von Würth Elektronik durchgeführt wurde.

Schneller dank Open Source

Im Proof of Concept wurde zunächst ein effektives Modell im Prototyp konzipiert und getestet. In der zweiten Phase wurden lokale Modelle auf dem Mikrocontroller implementiert. Jetzt wird nur noch das absolute Minimum an Daten gesendet. Die erforderlichen Daten sendet ein Adrastea-I-Mobilfunkmodul an die Cloud.

Wichtig für Entwickler: Würth Elektronik bietet kostenlose SDKs im Arduino-Stil für verschiedene Prozessoren an und vertreibt Featherwings. Diese Boards können mit Daten (PCB und BoM) von Würth Elektronik oder Adafruit‘s Awesome Feather Github leicht angepasst werden.

Bei der Erstellung des Proof of Concept hat sich der Einsatz von Open-Source-Komponenten bewährt. Die Kombination bereits vorhandener Platinen mit Standard-Pinning und Sensoren mit Standardanschlüssen erleichtert das Testen und Experimentieren mit dem Aufbau. So lässt sich die Prototyping-Zeit deutlich reduzieren.

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