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„Die deutschen Unternehmen haben sich mittlerweile sehr stark geöffnet“, sagt Detlef Krause, General Manager für das Deutschland-Geschäft von Servicenow. Die US-Company bietet IT-Service-Management aus der Cloud an. Und auf das Cloud Computing bezieht Krause auch seine Aussage. Deutschland ist bei diesem Thema kein Entwicklungsland mehr. Neben Experten wie Krause belegen auch Studien (siehe Kasten), dass die Firmen hierzulande ihre Scheu vor IT aus der Wolke abgelegt haben.
Kraus bestätigt, dass dies mal anders war. „Vor drei oder vier Jahren haben sich deutsche Unternehmen noch schwer getan bei der Cloud-Nutzung.“ Doch mittlerweile wachse das Geschäft von Servicenow in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern besonders stark. „Das ist natürlich auch ein Aufholgeschäft“, so Krause. Die Deutschen schließen jetzt die Lücke zu den Cloud-Vorreitern.
Im Mittelstand sind die Hürden kleiner
Weltweit gesehen ist Cloud Computing auf dem Weg zur Brot-und-Butter-Technologie. 75 Prozent der Großunternehmen habe entweder Cloud-Anwendungen im Einsatz oder sind gerade dabei, solche einzuführen. Das ist das Ergebnis einer Studie des Service- und Beratungsanbieters Infosys, für die 853 Manager aus der Führungsebene befragt wurden. Diese gehören zu Unternehmen aus den USA, Europa, Australien und Neuseeland.
54 % der Befragten sehen Applikationen aus der Wolke als Grundlage für den digitalen Wandel ihres Unternehmens. Die Cloud liefert die Technik, die dafür notwendig ist.
Das gilt nicht nur für große Firmen. Auch Mittelständler setzen zunehmend auf die Wolke. „Die Akzeptanz ist massiv gestiegen“, berichtet Veit Brücker, der beim Cloud-Pionier Salesforce das Mittelstandsgeschäft in der deutschsprachigen Region verantwortet. Die Cloud ermögliche es mittelständischen Unternehmen im Wettbewerb mithalten zu können, weil sie auf diese Weise die gleichen Technologien einsetzen könnten wie die großen Firmen.
Markus Hannen glaubt sogar, dass die Hürden bei privatgeführten Unternehmen für den Gang in die Cloud oft kleiner sind. „Die Entscheidungswege sind kürzer. Und es gibt die Bereitschaft, auch mal etwas auszuprobieren“, so Hannen, Vicepresident bei PTC – einem Anbieter von Lösungen für das Produktlebenszyklusmanagement, Internet der Dinge und Augmented Reality. „Erfolgreiche Mittelständler haben sich immer wieder neu erfunden. Und das wird auch im Kontext der Digitalisierung der Fall sein.“
Die Bedenken bei den kleinen und mittleren Unternehmen hätten sich gelegt, meint auch Brücker. „Bei Gesprächen über Cloud Computing steht der Datenschutz nicht mehr so im Vordergrund wie früher. Heute geht es eher um die Frage: Wie lässt sich die digitale Transformation stemmen?“
Technik für neue Geschäftsmodelle
Denn wer in dieser bestehen will, braucht Technik auf dem neuesten Stand – etwa zum Analysieren großer Datenmengen. Zum einen lassen sich damit neue Geschäftsmodelle erschließen. Zum anderen bleiben Firmen für junge Mitarbeiter nur dann attraktiv, wenn sie auch Arbeitsplätze mit modernen IT-Systemen bieten können.
Die für die Digitalisierung notwendige Innovationsgeschwindigkeit könne nur die Cloud gewährleisten, meint Krause. „Wir bieten in jedem neuen Release im Schnitt zwischen 200 und 500 Innovationen.“
Ins gleiche Hörn stößt Jim Heppelmann, CEO von PTC. Teile des Portfolios von PTC können Anwender bereits aus der Cloud beziehen. Und dieser Teil soll noch kräftig ausgebaut werden. „Im Laufe der Zeit wollen wir unsere gesamtes Konzept in ein multimandanten-fähiges Software-as-a-Service-Modell umwandeln“, so Heppelmann.
Auch er sieht die Innovationsgeschwindigkeit als einen wesentlichen Vorteil der Cloud. Die Anwender von PTCs Cloud-Services würden alle drei Wochen automatisch auf das neuste Software-Upgrade gebracht.
Die Verwaltung der im eigenen Haus installierten Software sei für Unternehmen zu kompliziert und der Aufwand für Upgrades zu groß, meint Heppelmann. Daher sieht er generell die Zukunft in SaaS-Modellen (Software as a Service). „Es wird ein Prozess sein, aber letztlich werden wir alle dort landen“, glaubt Heppelmann mit Blick auf die gesamte Software-Branche.
Industrie setzt auf das Internet der Dinge
Treiber innerhalb des großen Themas Digitalisierung ist das Internet der Dinge (IoT). Gerade für Industrieunternehmen wächst die Bedeutung von entsprechenden Technologien. Mehr als jedes Vierte der deutschen Unternehmen aus der Industrie und den industrienahen Branchen hat bereits erste IoT-Projekte umgesetzt (28 %). In der Pilotierung befinden sich zurzeit 15 %. Und ein hoher Anteil der Firmen plant und evaluiert (47 %) aktuell neue IoT-Projekte.
Zu diesen Ergebnissen kommt eine Studie des Marktforschungshauses IDC. Befragt wurden IT- und Fachentscheider aus 258 Organisationen mit mehr als 100 Mitarbeitern aus den Branchen diskrete Fertigung, prozessorientierte Fertigung, Energie-, Wasserversorgung und Abfallentsorgung, Handel sowie Transport, Logistik und Verkehr.
Die Technik für IoT kommt aus der Cloud – genauer gesagt von Plattformen wie etwa Siemens Mindsphere, Adamos oder PTCs Thingworx. Dort können sich Unternehmen wie aus einem Werkzeugkasten die Cloud-Services herauspicken, die sie für ihre digitale Transformation benötigt. Dazu zählen zum Beispiel Funktionen, um Maschinendaten auszuwerten. Diese wiederum können die Basis für eine vorausschauende Wartung bilden.
Diese Plattformen führen die IT- und die OT (Operational Technology) zusammen. Denn das ist eine komplexe Angelegenheit. „Es gibt viele Schnittstellen und Protokolle. Die vielen Endgeräte müssen überhaupt erst miteinander verbunden werden“, erklärt Marco Becker, Senior Consultant bei IDC. Es braucht daher eine Integrationsschicht, welche die Daten zusammenzieht und auf ein einheitliches Niveau bringt, damit sie überhaupt verarbeitet werden können.
„Solche IoT-Landschaften wachsen. Deshalb setzt fast jedes dritte Unternehmen, das wir befragt haben, eine IoT-Plattform ein“, so Becker. „Wenn man sich die Projekte anschaut, kommt man zu dem Ergebnis: Ein umfassende IoT-Umsetzung und der Einsatz entsprechender Plattformen gehen Hand in Hand.“
IoT-Projekt innerhalb von ein bis zwei Tagen
Mithilfe solcher Plattformen lassen sich die Möglichkeiten von IoT schnell erschließen. Wie schnell, erklärt Oliver Gürtler, Senior Director der Cloud und Enterprise Business Group bei Microsoft Deutschland. Mit Azure bildet Microsoft die technische Grundlage für viele der auf dem Markt bekannten Plattformen. Gleichzeitig bietet die Software-Company aber auch einen eigenen Baukasten mit Cloud-Diensten. „Einsteiger können ein IoT-Projekt mit Azure ohne viel Spezialwissen innerhalb von ein bis zwei Tagen umsetzen, wenn sie nur die vorgefertigten Software-Bausteine nutzen“, berichtet Gürtler.
Darüber hinaus stellt die Cloud die nötige Rechenpower für Anwendungen, die komplexe Infrastrukturen benötigen und nur mit hohem Aufwand im Unternehmen selbst umgesetzt werden können. Dazu zählen zum Beispiel Virtual Reality und Machine Learning.
Ein eindrucksvolles Beispiel wie sich dank Cloud Computing die Nutzung von selbstlernenden Systemen voranbringen lässt, liefert das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Das dortige Institut für Robotik und Mechatronik nutzt unter anderem die Computer Engine von Googles Cloud-Plattform, um den humanoiden Roboter Justin mithilfe von Deep Learning zu trainieren.
Dabei wird auch mit Simulationen gearbeitet. „Wir simulieren Hunderte von Welten parallel, in denen Justin sich gleichzeitig bewährt und seine Strategie verbessert“, erklärt Berthold Bäuml, der am DLR das Labor für autonome lernende Roboter leitet. Doch das erfordere „massive Rechenleistung“, so Bäuml.
Die kommt aus der Cloud, die immer die aktuelle Technologie und die IT-Konfiguration liefert, die gerade gefragt ist. Hinzu kommt: Der Bedarf an Rechenleistung ist nicht immer gleich. „In der Cloud bezahlen wir nur das, was wir wirklich brauchen. Es steht somit keine Hardware in unserem Institut herum, die nur gelegentlich im Einsatz ist.“
Bäuml und sein Team nutzen die Cloud-Technik auch, um die Signale der Haut auszuwerten, mit der die Roboterhand überzogen ist. „Obwohl es die Haut schon seit zehn Jahren gibt, lassen sich die Signale erst jetzt mit dem Deep-Learning-Verfahren auswerten“, so der Wissenschaftler.
Manchmal müssen Rechenoperationen aber auch direkt vor Ort ausgeführt werden, weil zum Beispiel eine kurze Reaktionszeit verlangt wird. Das DLR nutzt dafür dann Edge-Computing – eine Sonderform des Cloud Computing, bei der die Anbieter einen Teil ihrer Dienstleistung im Unternehmen bereitstellen.
Der Bedarf an Edge-Computing wächst, weil sich damit eine Lücke schließen lässt. „Alle Daten müssen ja erst mal zu einer IoT-Plattform gebracht werden, um dort verarbeitet zu werden. Und nach der Analyse werden sie wieder zurückgeschickt. Das dauert eine gewisse Zeit“, erklärt Becker von IDC. Für gewisse Anwendungsfälle sei das nicht sinnvoll. Mit Edge Computing bringe man daher die Analyse zum Ort der Datenentstehung.
Gürtler von Microsoft sieht für dieses Modell eine große Zukunft. „Wir glauben, dass sich künftig mehr Intelligenz auf das IoT-Gerät verlagern wird. Unsere Schlagworte sind daher Intelligent Cloud und Intelligent Edge“, sagt Gürtler. Das bedeute, die klassische Rechenzentrums-Struktur zu verlassen und SaaS-Lösungen direkt auf dem IoT-Gerät zu platzieren.
Die IDC-Studie bestätigt seine Einschätzung. Edge Computing sei für den industriellen Sektor besonders relevant, heißt es dort. 24 % der Befragten verarbeiten bereits Daten am Edge, weitere 60 % prüfen derzeit den Mehrwert in Pilotprojekten oder planen das zu tun. Der größte Treiber für 34 % der Unternehmen seien die dadurch deutlich schnelleren Transaktionen bis hin zur Echtzeitverarbeitung. „Wir gehen davon aus, dass 2022 bereits 40 Prozent der initialen IoT-Analysen am Edge stattfinden werden“, sagt Elena Georg, Projektleiterin und Consultant bei IDC.
Edge Computing aus Deutschland
Wer die Möglichkeiten nutzen möchte, die sich durch Edge-Computing ergeben, kann seit kurzem auch auf ein Angebot aus Deutschland zurückgreifen. Gemeinsam haben die Technikanbieter German Edge Cloud, Bosch, IoTOS und Rittal eine Edge-Cloud-Lösung namens Oncite entwickelt. Damit erhalte die Fertigungs- und Automobilzuliefererindustrie eine hochverfügbare und schlüsselfertige All-in-One-Lösung für die aktuellen Anforderungen der Fahrzeugbauer sowie gleichzeitig eine Lösung für eigene Digitalisierungsmaßnahmen, heißt es von Seiten der Hersteller.
Oncite basiert auf einem hochverfügbaren und skalierbaren Edge-Cloud-Rechenzentrum. Dieses steht vor Ort in der Fabrik. Die Daten werden daher zeit- und ortsnah erfasst, gespeichert, verarbeitet und ausgewertet. So lassen sich mit Oncite etwa Machine-Learning-Technologien nutzen.
Anwender behält die Kontrolle
Neben der schnelleren Verarbeitung der Daten direkt vor Ort bietet Edge Computing noch einen weiteren großen Vorteil: Sensible Informationen bleiben innerhalb der Firmenmauern und werden nicht auf einen externen Rechner in die Cloud geschickt.
„Dadurch, dass alle gesammelten Daten vor Ort bleiben, behält der Anwender die volle Kontrolle und entscheidet selbst, ob und wie er die verarbeiteten Daten an die verschiedenen digitalen Produktionsplattformen der OEMs und Top-Tier-Supplier übermittelt“, erklärt Sebastian Ritz, Geschäftsführer von German Edge Cloud.
Viele Experten glauben, dass die Zukunft hybriden Modellen gehören wird. Will heißen: Unternehmen nutzen sowohl Cloud-, als auch Edge- sowie Onpremise-Lösungen – also Systeme, die im eigenen Unternehmen installiert sind. Welches Modell gewählt wird, hängt dann von den Anforderungen ab, welche die entsprechenden Anwendungen und Daten stellen.
„Wir sehen zwar am Markt ein sehr viel intensiveres Nachfragen unserer Kunden nach Cloud-Lösungen“, berichtet Annette Maier, die Chefin von Google Cloud in Deutschland. „Aber viele nutzen nach wie vor auch Onpremise-Systeme.“
Das werde auch so bleiben. Es werde auch künftig Dinge geben, die im eigenen Unternehmen bereitgestellt werden müssen. „Dass in den kommenden Jahren alles in die Cloud wandern wird, ist utopisch“, so Maier. Bei Google habe man daher verstanden, dass die Zukunft in der hybriden Lösung liegt.
„Das Core Data Center, ob im Unternehmen oder in der Cloud, wird nach wie vor relevant für umfassende und rechenintensive Analysen bleiben“, sagt Elena Georg von IDC. Wichtig sei, die leistungs- und kostenoptimale Balance zwischen Cloud, eigenem Rechenzentrum und dem Edge zu finden.
Deutschland geht in die Cloud
In Deutschland strömen Unternehmen verstärkt in Richtung Public Cloud, heißt es in einer Analyse des Marktforschungs- und Beratungsunternehmen ISG. Weltweit betrug das Jahreswachstum den ISG-Analysten zufolge 14 %, während es in Deutschland 25 % waren. Die Zahlen beziehen sich auf die globalen Märkte für Infrastructure-as-a-Service (IaaS) und Software-as-a-Service (SaaS).
Grund für die steigenden Cloud-Ausgaben ist der Studie zufolge die rasch wachsende Menge an Daten von Seiten der Kunden und aus dem Internet der Dinge. Die in der Cloud verfügbaren Analysewerkzeuge helfen den Unternehmen dabei, diese Daten zu erfassen und zu interpretieren.
„Die Leistungen der Public Cloud-Anbieter und ihrer Service-Partner haben mittlerweile ein beachtliches Niveau erreicht“, sagt Heiko Henkes, Director und Principal Analyst bei ISG sowie Lead-Autor der Studie. „Dies trifft sowohl auf die angebotenen Werkzeuge als auch auf Plattformen, Services und Leistungsversprechen, die SLAs, zu.“ Zudem verzeichne der Markt immer neue Anbieter – zum Teil Ausgliederungen von Konzernen, die sich auf Spezialbereiche der Cloud spezialisieren.
Bei der Auswahl von Cloud-Anbietern legen deutsche Unternehmen besonderen Wert auf den Standort der Rechenzentren, den Managed-Services- beziehungsweise Partner-Support und die Vertragsflexibilität – und weniger auf das Portfolio der angebotenen Funktionen. Besondere Bedeutung kommt im deutschen Markt den Analysten zufolge auch den Datenschutzgesetzen zu, welche die lokale Speicherung bestimmter Daten vorschreiben.